Ausstellungsbesprechungen

Ich bin eine Pflanze. Naturprozesse in der Kunst, Kunstmuseum Ravensburg, bis 8. November 2015

Kunst soll die Natur abbilden, soll über sie hinausgehen, ganz anders als Natur sein – über einen Mangel an Theorien zum Verhältnis von Natur und Kunst können wir uns wahrlich nicht beklagen. Warum es also nicht gleich gestehen: »Ich bin eine Pflanze«? Genau das macht in diesen Tagen das Kunstmuseum Ravensburg und versammelt Werke rund um Baum, Busch und anderes Grünzeug. Marco Hompes hat es sich angesehen.

Für ihre aktuelle Sonderausstellung über »Naturprozesse in der Kunst« wählten die Ausstellungsmacherinnen des Kunstmuseums Ravensburg einen humorvollen Übertitel: »Ich bin eine Pflanze«. Der Schau wird jedoch eine weniger humorvolle These vorangestellt, dass nämlich unsere Beziehung zur Natur heute nicht mehr in deren Ausbeutung besteht. Vielmehr solle ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Mensch und Natur angestrebt und weiterentwickelt werden. In Zeiten von Fracking und Massentierhaltung kann man darüber sicher diskutieren. Viel spannender ist hingegen die Frage, was das denn mit der Kunstgeschichte zu tun haben soll. Laut Ausstellungsflyer sollen nämlich Künstler »Vorreiter für ein solches empathisches Naturverhältnis« gewesen sein.

Derartige Versuche, der Ausstellung einen theoretischen Rahmen zu geben, sind leider überaus kontraproduktiv. Denn eigentlich zeigt das Museum eine schöne Werkschau mit einer ganzen Reihe von wunderbaren Kunstwerken. Durch die bemüht wirkende Kontextualisierung verkommt das Ganze dann allerdings zu einem wilden Ritt durch die Kunstgeschichte, bei dem überhaupt nicht klar ist, worum es eigentlich gehen soll.

Dies wird gleich zu Beginn der ansatzweise chronologischen Ausstellung deutlich. Hier soll gezeigt werden, dass Künstlerinnen und Künstler »als Reaktion auf eine durch Verstädterung und Industrialisierung zunehmend entzauberte Umwelt die Natur verstärkt in den Blick genommen« haben. Doch nicht Romantik oder Symbolismus stehen am Anfang des Rundgangs, auch nicht die Maler von Barbizon und die Protagonisten der Künstlerkolonien, sondern der Expressionismus: ausgerechnet jene Kunstrichtung, in der die Großstadt zum Hauptsujet avancierte, in der sich Künstlerinnen und Künstler ganz dem Menschen verschrieben hatten und Natur oft Mittel zum Zweck malerischer Unternehmungen wurde. Diese Herangehensweise wird nur durch die richtige Schlüsselfigur nachvollziehbar. In diesem Fall heißt diese Paula Modersohn-Becker. Ihre Malerei versinnbildlicht den Sprung vom Zeitalter der Künstlerkolonien hin zum unmittelbaren (Farb-)Ausdruck der Expressionisten. In Ravensburg zu sehen ist eine ihrer wunderbaren »Birken im Moor«. Vielleicht vom Japonismus beeinflusst, zentriert die Malerin die Birkenstämme, konzentriert sich ganz auf die Wiedergabe der Rinde. In beeindruckender Leichtigkeit löst sie die Struktur in einem pastosen Duktus auf. Ob das nun ein »empathisches Naturverständnis« ist, bleibt dahingestellt. Gleiches gilt für den eher singulären Emil Nolde, der ebenfalls mit zwei Werken präsent ist. Seine Blumenbilder zelebrieren die Farbe und dienten dem Künstler mitunter dazu, eigene Befindlichkeiten festzuhalten.

Ein Höhepunkt ist eine hierauf folgende Arbeit von Giovanni Segantini. Seine »Landschaft mit Frau im Baum« ist Teil seiner Auseinandersetzung mit diesem Motiv, das im berühmten Werk »Die bösen Mütter« von 1894 mündete. Im Ravensburger Katalog wird das Bild interpretiert als »Vorstellung einer paradiesischen Einheit von Mensch und Natur für die damalige Gegenwart«. Der Arbeit zu Grunde liegt tatsächlich ein Gedicht, in dem die Strafe für eine Abtreibung thematisiert wird. Segantini setzte diese Bestrafung in ein Bild um, das neben dem Leid auch hingehend einer Erlösung gelesen werden kann. Das Werk, obwohl in den 1880er entstanden, bildet eine erstaunliche Brücke zum Surrealismus, dem sich ein weiterer Bereich der Ausstellung widmet. Erwähnenswert sind hierbei vor allem die Arbeiten von André Masson, der sich immer wieder dem Thema der Metamorphose widmete und damit an den Daphne-Mythos anknüpfte. Hierzu passen auch Max Ernsts Frottagen, bei denen aus realen Naturformen phantastische Szenen und anthropomorphe Wesen entstehen sowie einige kleine Zeichnungen Joseph Beuys'.

Am Übergang zwischen Surrealismus und Nachkriegszeit steht eine Arbeit von Richard Oelze aus der Kunsthalle Bremen. Seine oft auf der Technik der Décalcomanie basierenden Gemälde zeigen irritierende, düstere Landschaften. Auch »Innen« ist eine solche, an schroffe Felsenformationen erinnernde Komposition, die ein helles, ansatzweise rechteckiges Zentrum besitzt. Im Katalog zur Ravensburger Ausstellung wird die Arbeit der 1950er Jahre im Zusammenhang mit traumatischen Kriegserfahrungen gedeutet, was so nicht unbedingt zutreffend ist. Nichtsdestotrotz gehören Oelzes und Segantinis Werke zu den Kernstücken im Rundgang, da sie Landschaft ins Phantastische übertragen und so als atmosphärisch aufgeladenes Sinnbild fungieren können.

Auf der zweiten Etage des Museumsgebäudes verfolgen die Ausstellungsmacherinnen das Thema in der zeitgenössischen Kunst weiter und verlieren dabei leider gänzlich den roten Faden. Der Bereich beginnt mit einer herrlich ironischen Arbeit von Nezaket Ekici, in der die Künstlerin in der Verkleidung eines Kaktus auftritt und sich selbst mit einer Gießkanne bewässert. Mit der Arbeit nimmt sie eben jene Verbindung von Frau und Natur, wie sie noch eine Etage weiter unten immer wieder verhandelt wurde, aufs Korn.

Darüber hinaus kann nur wenig im Kontext der Ausstellung überzeugen: Aus Stoff und Draht gefertigte Pflanzen von Anne Carnein treffen auf abstrahierende Holzschnitte von Matthias Mansen, einen Mann mit Rosenkopf von Stephan Balkenhol und Aquarelle von Bernd Koberling. Man muss sich fragen, was denn hier die »Naturprozesse« sind. Nach den zahlreichen hervorragenden Arbeiten im ersten Obergeschoss wirkt dieser Bereich leider sehr ernüchternd und hinterlässt die Besucherinnen und Besucher womöglich mit vielen Fragen. Wo sind die Künstler und Künstlerinnen, welche die Ausbeutung der Natur tatsächlich kritisieren, wie Newton und Helen Harrison oder Jürgen Drescher? Wo sind die Künstler, die ganz explizit die Analogie zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos thematisieren, wie Matta oder Anselm Kiefer? Wo sind Kunstschaffende, die Naturprozesse nutzen, um mitunter auch soziopolitische Themen anzusprechen, wie Louis Weinberger oder Hélio Oiticica? Wo sind Jannis Kounellis und Robert Smithson und wo wird explizit nach animistischen und anthropomorphen Tendenzen im 20. Jahrhundert gefragt? Und warum wurde nicht versucht, einen Blick über den eurozentristischen Tellerrand zu werfen?

Man hätte im Vorfeld das Ausstellungsthema spezifischer formulieren und das Feld genauer abstecken müssen, um eine inhaltlich überzeugende Schau zu gestalten und den präsentierten, mitunter grandiosen Arbeiten gerecht zu werden. Am Ende gewinnt man ein wenig den Eindruck, als sei die Ausstellung um prominente Namen konzipiert worden.

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