Ausstellungsbesprechungen

Illusion – Moving Space, Kunstkraftwerk Leipzig, bis 12. November 2017

Abgedunkelte Räume, Raum- und Klangerlebnisse und die Unendlichkeit erwarten die Besucher des 2016 eröffneten Kunstkraftwerks in Leipzig. Beeindruckende Exponate laden zum Besuch ein, findet Stefanie Handke.

Kunst und Wissenschaft im Dialog, aber auch Kunst im Dialog mit der Gesellschaft, das ist das Anliegen der Macher, und so ist man mit Betreten des Kunstkraftwerks im Grunde genommen gleich in der Ausstellung: Dort erwarten Ief Spincemailles Objekte »Feedback«, Reversed Blinking« und »Virtual Ground« die Besucher. Sie können genommen und ausprobiert werden; »Reversed Blinking« etwa simuliert eine Kamera: Man setzt sich eine verdunkelte Brille auf und mit Druck auf einen Knopf wird ein ganz kurzer Blick in den Raum offenbart – zu schnell vorbei als dass der Besucher seine Bewegungen koordinieren könnte. Auf diese Weise wird der Raum zum Mysterium: wo war nochmal die Wand? Stand dort jemand oder nicht? Wer will, kann die Objekte auch auf seinem Ausstellungsrundgang mitnehmen. Man muss aber nicht.

Denn die weiteren Werke sind so beeindruckend, dass man sich ganz auf sie einlassen will. Sie spielen mit der menschlichen Wahrnehmung und mit unseren Konzepten von Raum und Dasein. »Seeing with eyes closed« von Ivana Franke treibt das wahrscheinlich auf die Spitze: In einem durch Vorhänge abgedunkeltem Kabinett setzt sich der Besucher einer LED-Lichterwand gegenüber, schließt die Augen und betätigt einen Knopf – dann flackern die hier angebrachten LEDs mehr als drei Minuten lang und rufen ein halluzinatorisches visuelles Erlebnis hinter den Augenlidern des Besuchers, der sich darauf einlässt, hervor. Was er sieht, das ist bei jedem Besucher anders – individueller kann ein Kunsterlebnis wohl kaum sein. »Portée« dagegen, geschaffen vom französischen Kollektiv Lab212 lässt Musik im Raum wirken: leuchtende Fäden durchspannen den Raum am einen Ende, ihnen gegenüber steht ein E-Piano. Berührt man einen der Fäden, so spielt es eine Klangfolge – abhängig von Dauer und Intensität der Berührung. So wirkt der Klang im Raum und die Raumerfahrung verändert sich.

Eine andere Raumerfahrung erschafft auch das Wisp Kollektiv. »The Stranger within us« Boden und Decke eines kleinen Raumes bestehen aus verspiegelten Flächen, während an die Wände eine illusionäre Landschaft projiziert wird. Betreten die Besucher den Raum, so reagiert diese auf sie und verändert sich. Manchmal tauchen merkwürdige Punktwolken in Form menschlicher Körper auf und nur wenn die Menschen im inneren dieses endlosen Raumes deren Bewegungen nachahmen, bleibt die geschaffene Landschaft erhalten. Der Mensch als Sklave eines virtuellen Raumes.

Überhaupt ist das Spiel mit dem Licht bei der Mehrheit der Kunstwerke der Hauptakteur. »Valley« von Karolina Halatek erschafft einen Raum aus Licht. Mitten im Raum stehen zwei Wände, deren Inneres einen Gang aus Licht bildet. Der Besucher kann sich entscheiden, ob er ihn betritt und die Wirkung dieses Lichtraums auf sich selbst erkundet oder ob er lieber außen vorbeigeht und auf diese Erfahrung (ein weiches, reines Gefühl?) verzichtet. Das komplette Gegenteil erlebt man dagegen in den abgedunkelten Räumen um »Nuit Étoilée« (Guillaume Lachapelle), »Drawing in Space – Horizon« (Jeongmoon Choi) und dem »Sternenspiegelraum« (Holger Schulze) – die Objekte erhellen diese als einziges, sodass der Blick ganz auf sie fokussiert bleibt.

Guillaume Lachapelle schafft Dioramen in Kästen aus verspiegeltem Glas. Durch die Spiegelung entstehen monotone, unendliche Räume, auf die wir von oben und von der Seite aus schauen. Die Unendlichkeit entsteht vor unserem Blick und doch wissen wir, dass sie direkt vor uns endet, also gar nicht da ist. Diese Illusion beweist, dass unsere Beziehung zur Realität durch unsere Wahrnehmung beeinflusst werden kann, dabei aber nicht immer zwischen Gesehenem und tatsächlich vorhandenem unterscheiden kann: Die Augen sehen die Unendlichkeit des in dem Diorama befindlichen Parkplatzes, obwohl unser Intellekt weiß, dass sie gar nicht da ist und nur durch eine optische Spielerei entsteht! Zugleich lädt der unendliche Raum zur Reflexion ein: Ist das ein Raum der Möglichkeiten, kann man auf dem Parkplatz spielen? Oder ist die dunkle Endlosigkeit nicht doch eher bedrohlich?

Auf den ersten Blick erinnert Jeongmoon Chois Arbeit ein wenig an die Bildschirmschoner älterer Windows-Versionen: scharf aussehende Fäden durchziehen in mathematisch errechneten Mustern den Raum. Je nachdem, auf welcher Route man sich zwischen ihnen bewegt, verändert sich die Sicht auf das Kunstwerk, eröffnen sich dem Besucher neue Perspektiven und andere Sichtweisen. Zunächst orientierungslos, sucht man sich den Weg durch den Raum, zwischen den Fäden hindurch und findet doch irgendwie wieder heraus. Der Raum bewegt sich selbst dabei nicht, aber wir bewegen uns durch ihn hindurch und konstituieren so eine neue Raumerfahrung.

Das wohl aufwendigste Kunstwerk ist der »Sternenspiegelraum« des Innenarchitekten Holger Schulze. Dieser beschäftigt sich schon lange mit unserem Verhältnis zum Raum und seinen Manifestationen und kombiniert in seinem Objekt zwei Projektionsflächen mit mehreren Spiegelflächen. Diese sind so geformt und angebracht, das aus der Spiegelung der Projektionen Sterne entstehen, die einen in der Projektion entstehenden kreisförmigen Raum zu rahmen scheinen. Fast erinnert das Ganze ein wenig an die Kaleidoskope unserer Kindheit, mit dem Unterschied, dass hier nichts gedreht werden muss, sondern wir um das Objekt kreisen im Versuch, den Raum in den Spiegeln (oder hinter den Spiegeln) zu erkunden.

Nach dem fulminanten Start im Jahr 2016 legt das Leipziger Kunstkraftwerk auch 2017 wieder eine wunderbare Ausstellung vor, die sich dem großen Thema der Illusion auf fantastische Weise nähert. Parallel dazu ist bis zum 5. März die Installation »#Selfie_Leipzig« der italienischen Künstlerin Darya von Berner zu sehen. Diese kokettiert mit dem Phänomen des Selfie, das sich dank Smartphone und Instagram nicht abbrechender Beliebtheit erfreut. Im riesigen Maschinenraum des ehemaligen Kraftwerks befindet sich eigentlich nichts – außer den durch fluoreszierende Bänder hervorgehobenen architektonischen Wänden und einem Lichtkegel. Diesen kann der Besucher betreten und findet dann eine Projektion seiner selbst an der Wand der Halle wieder. Ein Moment-Selfie, das nach acht Sekunden wieder erlischt. So wird der Besucher Teil der Installation und vervollständigt diese – und wer will, kann mit seinem Smartphone ein »echtes« Selfie machen.

Das innovative Konzept des Kunstkraftwerks – zeitgenössische Kunst in ihrem Dialog mit Wissenschaft und Gesellschaft für ein breites Publikum erfahrbar zu machen, geht auf. Die durchdachten Werke werfen uns auf uns selbst zurück, lassen uns uns selbst und unsere Umgebung hinterfragen und machen dabei obendrein Spaß: man kann sie ausprobieren, sich selbst spielerisch zu ihnen verhalten und einfach auch nur Freude an ihnen haben.

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