Ausstellungsbesprechungen

Im Licht des Südens, Marseille zu Gast

Mit der Ausstellung „Im Licht des Südens. Marseille zu Gast“, die bis zum 17. September 2006 zu sehen ist, hat die Hamburger Kunsthalle ein wunderbares Thema für den Sommer gefunden. Zu sehen sind etwa 70 Werke der französischen Malerei und Fotografie des 19. und 20. Jahrhunderts, von Künstlern wie beispielsweise Adolphe Monticelli, Paul Cézanne, George Braque, Paul Signac, László Moholy-Nagy, Germaine Krull oder Man Ray. Bereits beim Betreten der Ausstellungsräume atmet man das mediterrane Flair des Südens, das sich jedoch – und bisweilen sehr überraschend – stets in gewandelter Form zu präsentieren weiß.

Dank der klaren thematischen Strukturierung der Ausstellung wird der Besucher langsam in das Sujet der provenzalischen Landschaftsmalerei eingeführt, so dass Entwicklungen und Zeitphänomene besser nachvollzogen werden können.

 

Bereits in den Beschreibungen von Théophile Gautier avancieren die Hügel der Aygalades im Norden von Marseille zu einem paradiesischen Ort. Der Dichter zaubert eine Illusion der harmonischen Einheit von Mensch und Natur, wobei er darüber hinaus durch Einbeziehen der Dimension „Kultur“ ein Sehnsuchtsbild evoziert. Bevor die einschneidenden Veränderungen durch die Folgen der Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts eintraten, verkörperte die Gegend um Marseille ein zeitloses Arkadien. So waren die Aygalades im 18. Jahrhundert ein beliebtes Sujet der Landschaftsmaler, die angezogen von Gärten, Parks und Wasserfällen die paradiesische Stimmung einzufangen suchten.

 

Auch Jean-Antoine Constantin, der Begründer der Pleinairmalerei in der Provence, war fasziniert von dem Panorama, das sich ihm von den Hügeln der Aygalades bot. Seine romantischen Landschaftsbilder waren jedoch noch stark kulissenhaft, so dass auch seine Werke von erhabenen Landschaftsmotiven „dem theaterhaften Inszenierungsstil verpflichtet“ waren. [Jenns Howoldt, Ausst.Kat.S.17] Eine Abkehr von der Ästhetik des Erhabenen und der Romantik hin zum Realismus, der eine gesteigerte topographische Genauigkeit in den Landschaftsbildern propagierte, fand jedoch bereits in den 1820er Jahren statt.

 

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Constantins Interesse an der provenzalischen Landschaft wurde von seinen Schülern weitergeführt, wobei sie sich aber dem Sujet mit anderen Schwerpunkten annäherten. Émile Loubon etwa entwirft in seinem in der Hamburger Ausstellung präsentierten Werk „Ansicht von Marseille von den Aygalades aus, an einem Markttag“ von 1853 ein Panorama der die Stadt umgebenden Natur und kontextualisiert dies mit der menschlichen Arbeit. Loubons Landschaften wurden von Zeitgenossen geradezu als aktuell empfunden, denn dem Künstler gelang es den Blick zu weiten und das für Südfrankreich charakteristische Licht in Farbe zu bannen. So wurde das gleißende, flirrende Licht der Provence erstmals durch die Hell-Dunkel-Kontraste der Farben, die expressiv anmutenden Schattierungen und die scharfen Konturen eingefangen.

 

Einen ganz anderen Blick auf den Süden Frankreichs wirft dagegen Adolphe Monticelli – ein großes Vorbild Vincent van Goghs. Monticelli verhalf, in der Wiederentdeckung seiner Heimat, der Farbe und Form zu einer eigenständigen Sprache und verlieh so der provenzalischen Landschaftsmalerei einen neuen Impetus. Während seine Zeitgenossen die Provence in eine helle Farbigkeit tauchten, war Monticellis Palette von düster-leuchtenden Farben bestimmt, die das Melancholische jener Landschaft offenbarte. Markant ist neben den erdigen Tönen der pastose Farbauftrag, der bis zur Modellierung der Farbe reichte. Kennzeichnend für Monticelli sind darüber hinaus die den Gemälden innewohnende leuchtende Farbigkeit und die „rauschhafte[n] Farbakkumulationen“ [ebd.S.20], wie sie auch bei dem in der Ausstellung präsentierten Gemälde „La Roche persée“ von 1881/82 zu beobachten sind. Monticelli wurde wohl selten besser als Künstler und besonders Kolorist gewürdigt, als in dem Brief, den Vincent van Gogh seiner Schwester Ende August 1888 schrieb: „Monticelli ist ein Maler, der den Süden in lauter Gelb, in lauter Orange, in lauter Schwefel gemalt hat. Die meisten Maler sehen diese Farben nicht, weil sie keine wirklichen Koloristen sind, und nennen einen Maler verrückt, der mit anderen Augen sieht als sie selber…“

 

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Doch wagen wir uns auf der Zeitleiste einige Schritte weiter und treffen auf das beeindruckende Gemälde „Viadukt in l’Estaque“, das Paul Cézanne im Jahr 1883 schuf. Das Gemälde ist bestimmt von einem kraftvollen Pinselduktus, der durch die Parallelität der einzelnen Pinselstriche eine eindrucksvolle Gleichmäßigkeit angenommen hat. Darüber hinaus spielen die gesättigten Farben, die die Vitalität und Ausdruckskraft des Gemäldes unterstreichen, eine tragende Rolle. Cézanne erfasste bereits 1876 in einem Brief an Camille Pissarro den malerischen Prozess und das Charakteristische Südfrankreichs in eindrucksvollen Worten, wenn er schreibt: „Die Sonne ist hier so fürchterlich, dass es mir scheint, als ob alle Gegenstände sich als Silhouetten abhöben, und zwar nicht nur in Weiß oder Schwarz, sondern in Blau, in Rot, in Braun, in Violett. Ich kann mich täuschen, doch mir scheint, als sei dies das Gegenteil von Modellierung.“

 

Separat von den Räumen der Malerei trifft der Besucher schließlich auf die Fotografien von Marseille. Dabei wird das Zentrum des Interesses, welches das damals neue Medium verfolgt, schnell deutlich: der Pont transbordeur. Diese Schwebefähre – als technisches Meisterwerk verstanden – verband beide Quais des Hafenbeckens von Marseille und zog die Fotografen der internationalen Avantgarde besonders in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in seinen Bann. Es können geradezu paradigmatisch am Pont transbordeur, der in über 20 fotografischen Arbeiten im Zeitraum zwischen 1925 und 1945 festgehalten ist, die charakteristischen Merkmale und gestalterischen Positionen der Fotokunst benannt werden.

 

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Germaine Krull, die 1926 für Reportagen in Marseille war, fotografierte in filmisch-dynamischer Manier das 1905 erbaute Geflecht aus Stahl und Eisen, wobei sie sich der Brücke aus der Nähe und in Untersicht nähert, was die Fotografien in ihrem Spannungsgehalt umso mehr steigert. Dies entsprach dem Interesse der Fotografin an Eisen- und Stahlkonstruktionen, wie sich auch in ihrem Buch „Métal“ von 1927/28 zeigt. Das Buch Krulls gilt bis heute als das erste und zentrale Werk der Fotografie des Neuen Sehens in Frankreich.

 

Ein zusätzliches Highlight der Ausstellung stellt der von Moholy-Nagy 1929 gedrehte achteinhalb Minuten dauernde Film „Impressionen vom alten Marseiller Hafen“ dar. Zu sehen sind ästhetische Bilder von Stadt und Hafen sowie zufällig beobachtete Szenen des alltäglichen Lebens und der sozialen Gegensätze, wobei beide Komponenten auf eine sehr reizvolle Art miteinander verbunden sind.

 

„Im Licht des Südens. Marseille zu Gast“ ist eine faszinierende Kombination von erfrischend kräftigen und düster anmutenden Farben, von sanften Pinselzügen und einem wuchtigen, kraftvollen Pinselduktus, von klassischen Landschaftssujets und dem abstrakten Blick der Moderne auf die provenzalische Landschaft. Aber gerade diese Mischung und das sich bisweilen entwickelnde Spannungsverhältnis macht das Betrachten zu einem Erlebnis der besonderen Art. Insgesamt ist der Hamburger Kunsthalle eine Ausstellung gelungen, die durch meisterliche Werke, durch eine hervorragende Strukturierung sowie durch ein dem Thema angepasstes „Marseiller Flair“ zu überzeugen weiß!

Weitere Informationen

Öffnungszeiten

Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr

Mo geschlossen

 

Eintritt

8,50 € (Ausstellung inkl. Museumsbesuch

ermäßigt 5 €

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