Ausstellungsbesprechungen

Image. Max Ernst im Foto. Max Ernst Museum Brühl des LVR. Bis 23. April 2023

Max Ernst wurde 1891 in der zwischen Köln und Bonn gelegenen, vom repräsentativen Barockschloss Augustusburg dominierten Kleinstadt Brühl geboren. Genau hundert Jahre später fand im Kreuzgang des ehemaligen Brühler Franziskanerklosters, damals städtische Berufsschule, inzwischen das Rathaus der Stadt, die Ausstellung „Max Ernst. Fotografische Porträts und Dokumente“ statt. Begleitet wurde sie von einem umfangreichen und äußerst sachhaltigen Katalogbuch, das bis heute als Standardwerk zum Thema gelten darf. Zweiunddreißig Jahre danach hat sich nun das Brühler Max-Ernst-Museum erneut dieser Thematik angenommen. Rainer K. Wick hat die aktuelle Ausstellung „Image. Max Ernst im Foto“ gesehen.

Ausstellungsansicht, Foto © Rainer K. Wick
Ausstellungsansicht, Foto © Rainer K. Wick

Max Ernst gilt neben Pablo Picasso als eine der am häufigsten fotografierten Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Von der Präsenz des Künstlers im Medium Fotografie zeugt die umfassende fotografische Sammlung des im Jahr 2005 eröffneten Max-Ernst-Museums in Brühl, die mittlerweile auf mehr als neunhundert Fotos angewachsen ist. Aus diesem Fundus hat die Sammlungsleiterin und Kuratorin der Ausstellung Friederike Voßkamp eine Auswahl getroffen, die in einem repräsentativen Querschnitt fast siebzig Schaffensjahre eines der herausragenden Künstlers der Moderne abbildet. Das Spektrum reicht von privaten Schnappschüssen über dokumentarisches Fotomaterial und klassische Porträtaufnahmen bis hin zu kongenialen fotografischen Inszenierungen bedeutender, als Meister ihres Fachs gefeierter Fotokünstler:innen. So bietet die Ausstellung Einblicke in Max Ernsts „Leben und Schaffen, sein Auftreten in der Öffentlichkeit wie im Privaten und erlaubt es, dem ‚Bild‘ des Künstlers, seinem Image im eigentlichen und übertragenen Sinne nachzuspüren“ – so die Kuratorin. Die ausgestellten Fotografien belegen, dass Ernst kein Künstler war, der sich in den sprichwörtlichen Elfenbeinturm zurückzog, sondern durchaus medienbewusst und öffentlichkeitswirksam sein Image zu pflegen verstand, freilich ohne dass dies jene obsessiven Züge annahm wie etwa bei Pablo Picasso, einem unübertroffenen Großmeister der Selbstdarstellung. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die großartige Schau „Ichundichundich. Picasso im Fotoporträt“ 2011/12 im Kölner Museum Ludwig.

Die Brühler Präsentation erfolgt nicht nach einem streng chronologischen Ordnungskriterium, sondern in thematischen Gruppen, die, obwohl nicht immer ganz trennscharf, das qualitativ sehr unterschiedliche Bildmaterial in nachvollziehbarer Weise gliedern. Von Max Ernsts künstlerischen Anfängen zeugt ein Foto, das den achtzehnjährigen Schüler im Jahr 1909 mit Staffelei und Palette als Landschaftsmaler im Brühler Schlosspark zeigt – der Fotograf ist unbekannt. Bald darauf stieß Ernst zum Kreis Rheinischer Expressionisten um August Macke, nach dem Ersten Weltkrieg hob er zusammen mit Johannes Baargeld die Kölner Dada-Bewegung aus der Taufe, 1922 siedelte er nach Paris über und wurde dort zu einem der maßgeblichen Protagonisten der sich gerade formierenden Surrealisten-Gruppe.

links Unbekannt, Max Ernst als Maler, 1909, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst, rechts Unbekannt, Max Ernst in Tarrenz bei Imst, 1921, Reprofoto Rainer K. Wick
links Unbekannt, Max Ernst als Maler, 1909, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst, rechts Unbekannt, Max Ernst in Tarrenz bei Imst, 1921, Reprofoto Rainer K. Wick


Damals entstand sein berühmtes, heute im Kölner Museum Ludwig befindliches Gemälde „Das Rendezvous der Freunde“, französisch „Au rendez-vous des amis“, ein Gruppenbild, in dem der Künstler sich selbst, einige seiner künstlerischen und geistigen Ahnen und seine Pariser Künstlerfreunde dargestellt hat. Waren die 1910er Jahre im Hinblick auf die Ausbeute an fotografischem Material ein eher mageres Jahrzehnt, so setzt nun – „zwischen Dokument und Inszenierung“ (Friederike Voßkamp) – eine breite Überlieferung im Medium Fotografie ein. In Anspielung auf Max Ernsts Bild präsentiert die Kuratorin am Anfang der Ausstellung unter dem Titel „Au rendez-vous des amis“ Fotos, die den Künstler im Kreis von Freunden und Bekannten zeigen und „zwischen ungezwungenen Momentaufnahmen“ und „repräsentativen Gruppenporträts“ oszillieren. Eines der eindrucksvollsten Bilder in diesem Kontext ist das 1929 entstandene, artifiziell arrangierte Foto Man Rays, das Max Ernst mit seiner zweiten Frau Marie-Berthe Aurenche, mit der Fotografin Lee Miller, damals Geliebte Man Rays, und mit dem Fotografen selbst zeigt.

Man Ray, Marie-Berthe Aurenche, Max Ernst, Lee Miller und Man Ray, 1929, Fotografie, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst, © Man Ray 2015 Trust / VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Man Ray, Marie-Berthe Aurenche, Max Ernst, Lee Miller und Man Ray, 1929, Fotografie, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst, © Man Ray 2015 Trust / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

In der Abteilung „Fotografische Begegnungen“ finden sich herausragende Porträtaufnahmen, die längst „ikonischen“ Status genießen. Hervorzuheben ist hier etwa Man Rays Porträtfoto des Künstlers aus dem Jahr 1934. Durch die Anwendung des Verfahrens der Solarisation, das schon den Fotopionieren des 19. Jahrhunderts bekannt war, aber erst in der surrealistischen Fotografie zur Erzeugung von Verfremdungseffekten größere Bedeutung erhielt, wird das Bild des Künstlers gleichsam in einer der alltäglichen Erfahrung enthobenen, irrealen Sphäre angesiedelt. Offen bleibt die Frage, ob es sich bei einer derartigen Aufnahme allein um die Schöpfung eines autonom agierenden, originellen Fotokünstlers – hier: Man Ray – handelt, oder ob es eventuell auch einen konzeptionellen Anteil Max Ernsts im Sinne einer spezifischen Selbstdarstellungsabsicht gegeben haben könnte. Ähnliches lässt sich angesichts des exquisit inszenierten, von einer gekonnten Lichtregie zeugenden Porträts der US-amerikanischen Fotografin Berenice Abbott aus dem Jahr 1942 sagen.

Man Ray, Max Ernst, 1934, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst, © Man Ray 2015 Trust, VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Man Ray, Max Ernst, 1934, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst, © Man Ray 2015 Trust, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Ein eigenes Kompartiment gilt in der Ausstellung dem Kapitel „Im Atelier“. Man muss das Atelier nicht unbedingt als „geheimnisvollen Ort kreativen Schaffens“ (Voßkamp) mystifizieren. Tatsache ist allerdings, dass der Arbeitsplatz eines Künstlers oder einer Künstlerin in der Regel nur einem sehr begrenzten Kreis von Menschen zugänglich ist, und das gilt prinzipiell auch für Max Ernst. Insofern sind die ausgestellten Fotos von besonderem Interesse, als sie uns Nachgeborenen Eindrücke von ganz unterschiedlichen Ateliersituationen vermitteln oder auch Werkprozesse wie die Entstehung von Frottagen (Victor Schamoni jun., 1963), die Nutzung eines breiten Flächenspachtels bei der Arbeit an dem Gemälde „Ein Schwalbennest“ (Edward Quinn, 1966) oder die Bearbeitung eines Gipsmodells der Großskulptur „Capricorne“ mit einer Raspel (Lord Snowdon, 1963) veranschaulichen.

Victor Schamoni jun., Für den Film „Entdeckungsfahrten ins Unbewußte“ zeigt Max Ernst die Entstehung einer Frottage, 1963, Fotografie, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst, © Victor Schamoni (Schamoni Film)
Victor Schamoni jun., Für den Film „Entdeckungsfahrten ins Unbewußte“ zeigt Max Ernst die Entstehung einer Frottage, 1963, Fotografie, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst, © Victor Schamoni (Schamoni Film)

In deutlichem Kontrast zu diesen Fotografien stehen die zahlreichen Fotos, die in der Ausstellung unter der Überschrift „In der Öffentlichkeit“ präsentiert werden und bei Vernissagen, Empfängen, Ehrungen oder der feierlichen Einweihung von Kunstwerken im öffentlichen Raum entstanden. Oft handelt sich um Schnappschüsse, die als Zeitdokumente wichtig und wertvoll sind, ohne aber höchste Ansprüche an die Bildgestaltung zu erfüllen – so etwa die Aufnahmen, die der Lokalreporter Helmut Weingarten anlässlich der Einweihung des Max-Ernst-Brunnens in Brühl im Jahr 1971 machte. Eine Ausnahme bilden in diesem Zusammenhang etwa die hochprofessionellen, in ästhetischer Hinsicht beeindruckenden Porträts, die Fritz Kempe im Rahmen der Verleihung des Hamburger Lichtwark-Preises an Max Ernst im Jahr 1964 geschaffen hat.

Helmut Weingarten, Bundeskanzler Willy Brandt und Max Ernst, 1971, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst, © Rhein-Erft-Kreis
Helmut Weingarten, Bundeskanzler Willy Brandt und Max Ernst, 1971, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst, © Rhein-Erft-Kreis

Unter dem Titel „Beziehungen“, das auch „Max Ernst und die Frauen“ heißen könnte, bietet die Ausstellung interessantes Bildmaterial, das den Künstler und seine zahlreichen Partnerinnen zeigt. Man Rays Gruppenfoto, auf dem Max Ernst mit seiner zweiten Ehefrau Marie-Berthe Aurenche zusammen mit Man Ray und Lee Miller erscheint, wurde oben bereits erwähnt. Lee Miller war es, die dann in den späten 1930er Jahren Max Ernst mit seiner dritten Ehefrau Leonora Carrington und seit den 1940er Jahren den Künstler mit seiner fünften Ehefrau Dorothea Tanning fotografiert hat. Beide waren übrigens selbst respektable surrealistische Malerinnen, was in der Ausstellung allerdings nicht thematisch wird. Hervorstechend sind das Foto von John Kasnetsis, auf dem das Paar Ernst–Tanning 1948 in Sedona mit Ernsts surrealistischer Betonplastik „Capricorne“ figuriert, und die exquisite Studioaufnahme von Irving Penn aus dem Jahr 1947, auf der das geradezu glamourös inszenierte Paar gleichermaßen mit Eleganz und Lässigkeit brilliert. Ab 1946 bildete der kleine Ort Sedona in der Wüste Arizonas den Lebensmittelpunkt des Künstlerpaares, 1955 ließen sich Max Ernst und Dorothea Tanning dann im französischen Huismes unweit der Loire nieder. Beide Orte bilden die Folie für eine Reihe interessanter Aufnahmen zum Teil prominenter Fotografen – u.a. von Henri Cartier-Bresson –, die in der Ausstellung in zwei separaten Kompartimenten dargeboten werden.

Irving Penn, Max Ernst und Dorothea, 1947, Fotografie, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst, © The Irving Penn Foundation
Irving Penn, Max Ernst und Dorothea, 1947, Fotografie, Max Ernst Museum Brühl des LVR, Stiftung Max Ernst, © The Irving Penn Foundation

Die attraktiv gestaltete Schau, in der sich die fotografischen Arbeiten wirkungsvoll von starkfarbig gestrichenen Wänden abheben, ist unbedingt einen Besuch wert. Nicht nur wegen der Einblicke in das Leben des 1976, einen Tag vor seinem 85. Geburtstag, verstorbenen Künstlers, sondern auch wegen der Begegnung mit Werken einiger der prominentesten Fotograf:innen des 20. Jahrhunderts. Nebenbei sei bemerkt, dass einige von ihnen wie Henry Cartier-Bresson, Yousuf Karsh, Lee Miller, Irving Penn, Edward Quinn und Man Ray nicht nur Max Ernst fotografiert haben, sondern auch den „Jahrhundertkünstler“ Pablo Picasso, woraus sich reizvolle Gegenüberstellungen ergeben könnten. Gern würde der in der Fotogeschichte des 20. Jahrhunderts unkundige Besucher Näheres über die Fotograf:innen hinter den Bildern und deren fotoästhetischen Positionen erfahren. Leider Fehlanzeige, sowohl in der Ausstellung selbst als auch im opulenten, reich bebilderten und mit einem Verzeichnis der fotografischen Sammlungsbestände ausgestatteten Katalogbuch, so dass man gut daran tut, auf die Kurzbiografien in der eingangs erwähnten Publikation „Max Ernst. Fotografische Porträts und Dokumente“ von 1971 mit ihren substanzhaltigen Textbeiträgen zurückzugreifen. Neben einem Vorwort von Achim Sommer, bis 2022 langjähriger Direktor des Max-Ernst-Museums, haben die Kuratorin Friederike Voßkamp, die Co-Kuratorin Clara Märtterer und Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Landschaftsversammlung Rheinland, dem politischen Gremium des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), dem das Museum angehört, Texte zum aktuellen Katalog beigesteuert.


Image. Max Ernst im Foto

Ausstellung:
Max Ernst Museum Brühl des LVR
Bis 23. April 2023

Katalog:
296 Seiten
über 220 Abbildungen
Autor:innen: Clara Märtterer, Achim Sommer, Friederike Voßkamp, Jürgen Wilhelm
39,90 € (broschiert)
49,90 € (gebundene Ausgabe)
im Museumsshop erhältlich

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