Buchrezensionen

Ina Ströher: K.O. Götz. Werkverzeichnis, Wienand Verlag 2014

Karl Otto Götz, der Meister des Informel, feierte im letzten Jahr seinen 100. Geburtstag. Er kann nicht nur auf ein langes, sondern auch auf ein umtriebiges Schaffen zurückblicken. Seine mehr als 1000 Werke zu erfassen, an diese Aufgabe hat sich Ina Ströher gemacht. Eine Sysiphosarbeit – und das Ergebnis ist ein Mammutwerk! Raiko Oldenettel hat es sich angesehen.

Manchmal nimmt man sich einer Aufgabe an und erkennt, wie weitreichend eigentlich die zugrunde liegende Verantwortung, das Ausmaß der sich selbst gesetzten Ziele ist. Und dann verzweifelt man. Ina Ströher ist da anders. Sie hat sich an einen Künstler herangewagt, der mit seinen mittlerweile 101 Jahren nicht nur ein reichhaltiges und erfülltes Leben zu Papier bringen könnte, sondern auch ungebändigten Fleiß in das Schaffen seiner Gemälde hat fließen lassen. So viel Fleiß, dass Ina Ströher in dem von ihr angefertigten einmaligen Werkverzeichnis dermaßen zahlreiche Werke aufgestöbert, benannt, mit Bildern versehen, vermessen, in ihrer Provenienz verfolgt und datiert hat, dass einem schwindelig wird. Karl Otto Götz, dessen Atelier zu Bestzeiten vor schnellen Pinselstrichen nur so gerauscht haben durfte, ist ein wichtiger Vertreter des deutschen Informel. Er ist nicht nur für seine vielschichtigen Bilder und Themen bekannt geworden, sondern auch für seine Rolle als Dozent an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er unter anderem Polke, Graubner und Richter unterrichtet hat. Dass er noch unter uns weilt und Fragen zu seinen Werken beantworten kann, Geschichten über seinen Unterricht erzählen und manches Male eine schöne Anekdote zum besten geben kann, ist ein seltener Genuss. Doch noch sind wir nicht an dieser Stelle angekommen. Zunächst zählen für die ersten beiden Bände aus dem Hause Wienand nur die Fakten.

Wenn der Postbote einem ächzend die Treppe entgegenkommt und er froh ist, das Paket endlich auf der Schwelle abzustellen, dann sieht man sich selbst als Rezensent ähnlich großen Aufgaben entgegen, wie Ina Ströher es tat. Vermeintlich jedenfalls. Ich war überrascht, dass es kaum Biographie, keinerlei Schwank und Lehrstück von Götz enthielt, dafür aber jede Menge Abbildungen. 1060 Werke hat Ströher zusammengefasst. Eine Schafsherde an Bildern, die überall auf der Welt verteilt, hauptsächlich in Deutschland konzentriert, und auch nach vielen Stunden Beschäftigung mit den Daten respekteinflößend undurchsichtig ist. Dabei macht es für den Verlag Sinn zu warten. Und auch für Ina Ströher. Sie ruft in diesem Werkverzeichnis noch im Vorwort dazu auf, Hinweise zu liefern: über den Verbleib mancher Bilder, oder Abbildungen zu Werken, die nicht mehr aufzufinden oder zerstört sind. Auch der hundertste Geburtstag des Künstlers selbst macht eine vorgeschaltete Logik der früheren Veröffentlichung für den Verlag unabdingbar. Ist das jetzt langweilig? Einfach nur die Seiten durchblättern und hoffen, dass der im Sommer 2015 erscheinende Besprechungsband genug Unterhaltung bietet diese Zweiteilung zu rechtfertigen? Nicht, wenn man sich an den Fakten und Bildern selbst erfreuen kann.

Der Trick ist der Detailreichtum. Ina Ströher wuchs in einem Haushalt auf, in dem selbst Werke von Götz gesammelt wurden. Sie machen in der Tat einen beträchtlichen Teil dieses Privatbesitzes aus, angesichts der Masse an Gemälden. So kann sie, geschult durch kindliche und jugendliche Beobachtungen, verfeinert mit ihren Fähigkeiten als Wissenschaftlerin, einen ganz eigenen Blick auf die Faszination der Bilder liefern. Die Werktechnik zum Beispiel, die sie zwar nüchtern zusammenfasst, die aber in der Erklärung durchscheinen lässt, dass im Moment der Entstehung schon Erstaunliches vonstattengeht. Oder die Recherche, die eine schauerliche Anzahl von Stunden in das Auffinden von privat erworbenen Götzes gefressen haben mochte und in einer hervorragenden Ausbeute von Daten mündete. Man liest den Band nicht, man verinnerlicht ihn. Verläufe werden eindeutig, Sammlerkulturen erkennbar. Hier und da möchte man spüren, wann das Interesse der Museen am größten gewesen war. Dann wird das Auseinanderreißen von Triptychen und Schwesterbildern nur durch die Erwähnung dreier unterschiedlicher Besitzer zum Krimi im Speziellen. Was ist hier passiert? Was konnte der Künstler dafür?

Die beiden Bände bereiten eine ganze Fragenlandschaft vor, die nur darauf wartet mit dem Begleitband erkundet und beglichen zu werden. Keinerlei Zweifel, Wienand hat auch bei der Qualität der Bände im Schuber keine Kosten gescheut. Der starke Preis ist absolut in der Drucktechnik wiederzufinden. Wo man sich als Student noch nägelkauend vor den Dozenten schämte, dass eine Abbildung aus einem Buchscan verschwommen und unbrauchbar während des Vortrages an der Leinwand prangte, holt Ina Ströher selbst aus knittrigem Archivmaterial ein vorzeigbares Maximum heraus. Schade nur, dass man noch keinen Eindruck von der Ausführung und Tiefe der Werke bekommen konnte. Eine Mischung aus Zinkweiß, Kreide und Hasenleim, die mit einer Rakeltechnik eingeschrieben und anschließend mit nassem Pinsel verbunden wurde – das klingt hochspannend und muss noch gezeigt und greifbarer werden.

Als mir nach 346 Seiten die Hand lahm war und ich nicht mehr blättern konnte, habe ich eine beliebige Seite aufgeschlagen und musste schmunzeln. Wieder ein Gemälde im Besitz aus der Familie Ströher, Darmstadt. Ein wunderschöner Gedanke, den Künstler, über den man leidenschaftlich eine wissenschaftliche Arbeit schreibt, schon so früh und allgegenwärtig in seinem Leben gespürt zu haben. Ob ich Angst habe, dass sie deswegen ins schwärmerische Salbadern kommen könnte? Diese Vermutung nimmt Ihnen die Akkuratesse schon auf den ersten Seiten des Werkverzeichnisses ab. Dennoch kann man es sich ja wünschen, heimlich, dass Ina Ströher tief im Herzen ein wenig Feuer in den Text einschreibt und uns ein fantastischer Begleitband bevorsteht.

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