Kataloge, Rezensionen

Ingried Brugger/Lisa Kreil (Hg.): Aiwasowski - Maler des Meeres, Hatje Cantz 2011

Gelegentlich kann man noch unbekannte Meister entdecken. Im Frühjahr dieses Jahres präsentierte das Kunstforum Wien das Werk des in Osteuropa berühmten, in Westeuropa aber praktisch unbekannten Iwan Aiwasowski, einem Genie des Seestücks, dessen spektakuläre und hochromantische Bilder allenfalls die Konkurrenz eines William Turner zu fürchten haben. Stefan Diebitz las für PKG den schönen Katalog.

Wer nach Osteuropa fährt, wird selbst bei kunstinteressierten Leuten auf Unverständnis stoßen, wenn er nach einem Caspar David Friedrich fragt, den in Deutschland jedes Kind kennt. Wen das wundert, der sollte sich fragen, wie es dazu kommen konnte, dass ein Iwan Konstantinowitsch Aiwasowski bei uns vollkommen vergessen ist. Denn dieser Maler, der von 1817 bis 1900 lebte, feierte zu seinen Lebzeiten auch in Westeuropa Triumphe, und das über Jahrzehnte hinweg. Aufgewachsen in Feodossija auf der Krim als Kind einer verarmten armenischen Familie, fand er bereits als Jugendlicher einen Förderer, der ihm ein Stipendium in Petersburg bezahlte, und wurde noch als Student berühmt, während er 1840 eine Europareise mit ersten eigenen Ausstellungen absolvierte.

Eine echte Blitzkarriere, der ein langes und ungemein produktives Leben folgte. Gute sechzig Jahre lang war er ein europaweit gefeierter Star, der glücklich war, wenn er malen durfte, und der dank eines unbändigen Fleißes oder einfach nur wegen seiner unendlichen Freude an der künstlerischen Arbeit ein unüberschaubar umfangreiches Werk von etwa sechstausend Bildern vorlegte. Ein großer Teil davon ist aquatisch, also allen möglichen Erscheinungen des Wassers gewidmet. Aber natürlich besonders und vor allem dem Meer, dem er seit seiner Jugend an den Ufern des Schwarzen Meeres verbunden war. In Russland, der Ukraine und in Armenien, aber auch in der Türkei und in Griechenland ist er bis heute geradezu populär, bei uns aber praktisch unbekannt.

Viele seiner Bilder sind schon in einem ganz platten Sinne romantisch, etwa die berühmte »Ansicht von Konstantinopel bei Mondschein« mit schlanken Minaretten rechts und einem Segelschiff auf gelb glitzerndem Wasser links. Und nun gar die Veduten von Venedig oder Petersburg oder endlich die Ansichten von Neapel mit Pinien vor einer dekorativ im Meer versinkenden Sonne… Alternativ dazu scheint der Mond über der Bucht, und selbstredend raucht der Vesuv auf allen diesen Bildern. Dazu kommt jede Menge Küste mit Sonnenauf- oder –untergang und entsprechend gelben und roten Himmeln. Das sind Bilder, die zumindest gelegentlich in die Nähe des Kitsches geraten. Dass ein Maler mit Aiwasowskis stupenden technischen Fähigkeiten und glühenden Sonnenuntergängen Erfolg hatte und immer noch hat, mag man wohl glauben.

Lisa Kreil bringt in ihrem Beitrag die zunehmende Bedeutung des Landschaftsbildes (denn auch das Meer ist ja eine Landschaft) mit der Vernichtung der Natur durch die Industrialisierung in Verbindung. In Russland setzte diese einige Jahrzehnte später ein als in Westeuropa, und so erscheint das autonome Landschaftsbild entsprechend später.

Aiwasowski war auch Hofmaler, und wahrscheinlich war er tatsächlich zu Schlachtengemälden verpflichtet, von denen eines die »Schlacht bei Sinope« von 1853 zeigt. Es ist Nacht, aber der von Rauchwolken verdüsterte Himmel ist feuerrot, während das kaum bewegte Meer von dem Widerschein zahlreicher Brände und des Himmels glüht. Man ahnt die Inspiration, die dieser Maler durch die niederländischen Meister des Goldenen Zeitalters wie Wilhelm van de Velde erfahren hat. Aber selbst die großzügige beidseitige Abbildung im Katalog wird wohl nicht den Eindruck hervorrufen, den der Betrachter vor dem Bild selbst hat, denn dieses Bild hat die Maße 223 x 332 cm, ist also riesengroß, und ich glaube, dass mich der Anblick des feuerroten Himmels erschlagen würde.

In einem temperamentvollen und inspirierten Essay spricht der Literar- und Ideenhistoriker Hartmut Böhme einleitend »die naturphilosophische und kataklystische Dimension« dieser Bilder an. Er konnte, als er seinen Beitrag verfasste, nicht wissen, dass die diesjährige Hamburger Ausstellung zu William Turner (»Maler der Elemente«) denselben Gedanken in den Mittelpunkt stellte: die Bedeutung der antiken Elementenlehre für einen Marinemaler. Turner und der um vieles jüngere Aiwasowski bewunderten einander heftig, und auch für den großen Engländer lässt sich das sagen, was Böhme über Aiwasowski schreibt: »Jenseits der narrativen Züge seiner Gemälde verfolgte dieser russische Maler lebenslang ein leidenschaftliches Interesse: nämlich die ästhetischen Valenzen von Wasser, Wolken, Eis, Meer, Luft, Sturm, Erde, Felsen, Gebirgen zu erkunden und vor allem von Licht und Äther, die als das alles belebende Element jedweges Seiende erst zur Erscheinung bringen.«

Über das Malerische an den Bildern Turners, ihrem Interesse an atmosphärischen Erscheinungen etwa, ist schon viel geschrieben worden. Vieles davon kann man getrost auf die Gemälde Aiwasowskis übertragen, und zwar auf die besten unter ihnen. Auch diese Bilder sind publikumswirksam und spektakulär, aber wohl weniger romantisch.

Das gilt besonders für einige wenige seiner Hauptwerke, die buchstäblich nur noch Wasser zeigen – meist ist es das aufgewühlte, weiß schäumende, sich aufbäumende und tobende Meer. Bei den meisten der Katastrophenbilder sind noch Segelschiffe zu sehen oder wenigstens auf und vor riesigen Wogen tanzende Rettungsboote (»Die Woge« von 1889, 304 x 505 cm), aber »Zwischen den Wellen« von 1889 und »Die Erschaffung der Welt« von 1864 (196 x 233 cm) zeigen tatsächlich nur noch die Wassermassen des sich schrecklich auftürmenden Meeres, und oben muss wohl der Himmel sein, denn es gibt dort so etwas wie das Auge des Sturms. Böhme schreibt zu derartigen Gemälden: »Entscheidend aber ist, dass Aiwasowski den Horizont aufgelöst hat, sodass die wattig zerfransten, tiefen Wolken mit dem Wasser verschmelzen. Dadurch entsteht ein dimensionsloser Raum. Dieser ist Aiwasowskis Pointe.« Anstelle von Pointe könnte man auch sagen: Er ist das Malerische an seinem Werk. Und es ist seine Modernität.

Merkwürdig werden es viele finden, dass Aiwasowski die Freilichtmalerei, nachdem er sich eine ganze Weile in ihr versucht hatte, ablehnte und allein im Atelier nach seinem offenbar sehr getreuen Gedächtnis malte; er brauchte nicht mehr als wenige knappe Striche, die man kaum Skizze nennen kann, um dann einen Sonnenuntergang an einer Küste zu malen, die er nur nachmittags bei bedecktem Wetter besucht hatte. Offenbar war es ausreichend, den Küstenverlauf ungefähr zu kennen – dann kam ein feuriger Abendhimmel dahinter, und schon lockt ein Bild die Massen an. Das ist natürlich eine etwas bösartige Darstellung, aber ganz unproblematisch scheinen mir die farbenfrohen und spektakulären, immer auf das breite Publikum abzielende Sonnenuntergangsbilder nicht zu sein, der Virtuosität ihres Schöpfers zum Trotz. Zumindest gelegentlich tendieren sie ein wenig in Richtung Kitsch.

Aber das ist nur einer der vielen Aspekte von Aiwanowskis Schaffen, über den nachzudenken sich lohnt. Mit fünf substantiellen kunsthistorischen Beiträgen, dem Katalogteil sowie zahlreichen Abbildungen im Text bietet der Katalog dafür eine ausgezeichnete Grundlage. In jedem Fall ist dieser Maler eine wirkliche Entdeckung.

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