Ausstellungsbesprechungen

Inventur - Zeitgenössische Radierungen in Deutschland

Von den reproduzierenden Techniken gehört der Tiefdruck – Radierung, Kupferstich – erstaunlicherweise nicht mehr zu den allseits bekannten. Dass Sieb- und Offsetdruck das Rennen klar gemacht haben im 20. Jahrhundert, liegt auf der Hand.

Aber verglichen mit dem Hochdruck, etwa dem Holzschnitt, scheint die Radierung kaum noch präsent zu sein. Allein daran, dass HAP Grieshaber, Gert Fabritius und andere die Arbeit am Holz so leidenschaftlich hochhielten und –halten, kann das kaum liegen, auch nicht, dass – im süddeutschen Raum – etwa Bietigheim-Bissingen und Reutlingen die großartige Tradition des Hochdrucks unermüdlich pflegen. Dass die Radierung auch heute keine Randerscheinung darstellt, stellen Reutlingen und Münster nachhaltig unter Beweis. Dabei tun die Ausstellungsmacher nicht mehr und nicht weniger, als in einer Namensparade zu zeigen, wie selbstverständlich die Künstler hauptsächlich oder nebenbei mit dem Stichel umgehen. Und wo der nicht mehr genügt, wächst der Druck schon mal zum Experimentierfeld oder gar zur Installation aus. (Der unermüdliche Einsatz von Clemens Ottnad, Geschäftsführer des Kunstvereins Reutlingen, und dem Stuttgarter Kunstprofessor Volker Lehnert ist fast schwerelos im Hintergrund nur zu ahnen: Zwei Jahre hat die Vorbereitung der Schau gedauert.)

Gut, nicht jeder Maler begibt sich in die Gravurgräben des Tiefdrucks, weshalb man auf Namen wie Gerhard Richter verzichten muss. Aber die Liste derjenigen, die sich in den letzten zwanzig Jahren damit beschäftigten, ist beachtlich. Darunter begegnet man Arbeiten von Georg Baselitz, Moritz Baumgartl, Matthias Beckmann, Franz Bernhard, Holger Bunk, Peter Chevalier, Emil Cimiotti, Peter Doig, Marie Drea, Paul Uwe Dreyer, Felix Droese, Eberhard Freudenreich, Eckhard Froeschlin, Felix M. Furtwängler, Hubertus Giebe, Johannes Grützke, Friedemann Hahn, Johannes Hüppi, Karl Imhof, Per Kirkeby, Karin Kneffel, Christopher Kochs, Dieter Krieg, Jörg Mandernach, Linda Mjöll Leifsdóttir, Peter Nagel, Jürgen Palmtag, A. R. Penck, Thomas Ruppel, Volker Sammet, Malte Sartorius, Hanns Schimansky, Michael Schoenholtz, Walter Stöhrer; Rolf Szymanski, Jan Peter Thorbecke, Max Uhlig, Friedemann von Stockhausen und Jerry Zeniuk. Hervorzuheben sind die Jüngsten im radierfreudigen Reigen, die der Radierung eine großartige Zukunft sichern: Nach 1980 geboren sind Christoph Knecht, der seit 2004 bei Peter Doig studiert und erotisch anzügliche, gewitzte Motive auf triviale Pappteller druckt, Jochen Mühlenbrink, dessen Stadt- und Alltagsmotive zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit zum besten gehört, was in der Ausstellung zu sehen ist, sowie der Lehnert-Schüler Vincent Schmid, der feinnervige Landschaftssignaturen und dramatisch-ausgewogene Schwarzweißzeichen entwirft.
 

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Insgesamt räumen die rund 100 Künstlerinnen und Künstler mit dem Vorurteil auf, die klassischen Drucktechniken seien ein Fall für die Volkshochschule. Gerade die jungen Künstler finden wieder unverkrampft und beherzt den Weg zu den oft ins Abseits gestellten Druckerpressen, zu den schweren Druckwalzen und den dreckigen Farblappen – wahren Handwerkskammern der Kunst. Und siehe da: immer öfter rücken die druckgrafischen Werkstätten wieder ins Zentrum der Akademien. Da ist es kein Wunder, dass der Katalog aus dem Modo-Verlag (Freiburg) prompt zum bebilderten Nachschlagewerk der zeitgenössischen Radierung wurde. Neben einer alphabetisch geordneten Künstlerliste bietet das Buch originelle Textbeiträge, die ein Bild der Tiefdruckgeschichte genauso vermitteln wie die Variationsbreite der Radiertechnik. »Was immer Lehrbücher suggerieren«, so Volker Lehnert, Mitkurator und Beiträger, »d i e Technik der Radierung gibt es nicht. Was es gibt, sind bestimmte Grundprinzipien. Alles darauf Aufbauende muss immer wieder neu entwickelt und gedacht werden«.
 

 


Weitere Informationen
 



Kunstverein Reutlingen
Öffnungszeiten
Mittwoch bis Freitag 14-18 Uhr
Samstag, Sonntag/Feiertag 11-17 Uhr
Montag, Dienstag geschlossen

Graphikmuseum Pablo Picasso Münster
Öffnungszeiten
Dienstag bis Freitag 11-18 Uhr
Samstag, Sonntag, Feiertage 10-18 Uhr

 

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