Buchrezensionen

Iris Berndt, Helmut Börsch-Supan: Carl Blechen. Innenansichten eines Genies, Lukas Verlag 2017

Carl Blechen ist der vielleicht Unbekannteste unter den großen deutschen Malern des 19. Jahrhunderts, ein Künstler, dem sein früher Tod nur wenig Zeit gab, sich in die Kunstgeschichte einzutragen. Ein schmales Buch versucht sich jetzt an den Innenansichten seines Genies. Stefan Diebitz hat den schmalen Band gelesen.

Es sind nicht allein seine Lebensdaten, die Carl Blechen (1798 – 1840) in die Zeit zwischen Caspar David Friedrich und Adolph von Menzel einordnen. Er war wirklich ein Maler zwischen Romantik und Realismus, und ihn verbinden wirklich verschiedene Momente mit beiden großen Malerfürsten des 19. Jahrhunderts. Wie in manchen Bildern Menzels, so finden sich bereits bei Blechen Fabriken, sogar in idyllischer Umgebung wie in der »Schlucht bei Amalfi«. Aber in die Augen fallender ist die Verbindung mit Friedrich, denn auch Blechen liebte dunkle Bilder mit einem hellen Zentrum wie »Im Sturm« – dem spektakulären Bild eines steilragenden Leuchtturms vor einem sturmzerfetzten Himmel – oder »Wald bei anbrechendem Morgen«, auf dem man eine junge Frau unter dem düsteren Gewölbe der Laubbäume auf eine Kirche vor einem Sonnenaufgang zugehen sieht: ein außergewöhnlich schönes Bild, für dessen Symbolik man nicht auf christliche Motive zurückgreifen muss.

Romantik hie, Realismus da? Mit einer so schematischen Einordnung wird man einem großen Individualisten keinesfalls gerecht. In Blechen trafen sich sehr verschiedene Tendenzen, und sein Werk scheint viel weniger einheitlich als das von Friedrich, mit dem ihn sonst etliche seiner bevorzugten Motive verbinden. Einmal hat er im Auftrag des preußischen Königs ein wunderbares Gemälde eines Treibhauses gemalt – »Das Innere des Palmenhauses« (1832 – 1834) –, für das sich in seinem Werk sonst keine Parallele findet. Obwohl in Berlin gemalt, macht es einen orientalischen Eindruck, der wohl auch auf eine kleine, ziemlich bunte Figurengruppe zurückzuführen ist. Er schuf mehrere Bilder, die sich kaum in sein übriges Werk einordnen.

Anders als Friedrich liebte er Italien, und die Studienreise in das Land seiner Träume wurde das herausragende Ereignis seines Lebens. Auch war er der bessere Figurenmaler. Nicht zuletzt die Schnelligkeit, mit der er zeichnen konnte und die für den angesichts seiner kurzen Schaffenszeit erstaunlichen Umfang seines Werkes verantwortlich war, unterscheidet ihn; während Friedrichs Werke genauestens durchkalkuliert sind (sogar den Goldenen Schnitt findet man in ihnen), zeichnete und malte er sehr viel vor Ort, und seine Bilder wirken allemal spontaner.

Blechen gilt als der Maler, in dessen Werk sich die meisten Ruinen finden: das ist eines der Motive, die ihn mit Friedrich verbinden. Doch unterscheiden sich seine Ruinen deutlich. Besonders zeichnet es sie aus, dass sie im Wasser stehen. Immer wieder finden sich Wasserflächen zwischen dem Gemäuer oder auch davor, ohne dass er sie als Spiegel nutzte. Meist ist es eine dunkle, stehende Fläche. Und seine Bäume sind ganz anders, nämlich viel schlanker und jugendlicher. Außerdem und wohl wichtiger: Die Werke Blechens lassen sich nicht allegorisch durchbuchstabieren, auch wenn sich in ihnen immer wieder eine symbolische Bedeutung bestimmter Landschaftsformationen aufdrängt – zum Beispiel bei einem seiner berühmtesten Bilder, bei dem »Bau der Teufelsbrücke« von 1833, das die Autoren sehr schön beschreiben:

»Blechens Blick wandert nach Italien zurück. Erschöpft liegen die Arbeiter da, manche wie tot. Im abendlichen Licht leuchtet die neue Brücke mit dem Gerüst für den Bau des Bogens hell auf. Der Kran lässt an einen Galgen denken. Zunächst führt der Weg ins Dunkel, aber eine hohe, von der Sonne angestrahlte Stange deutet nach oben auf das dreieckige Stück Himmel, das an die Geometrie der Brücken anknüpft. Der Übergang über den reißenden Strom kann als Transzendenz gedeutet werden. Für Blechen ist es auch eine verklärende Erinnerung an Italien.« Bei dieser Gelegenheit muss man auf die nicht eben überragende Qualität der Abbildungen verweisen. Das ist bei dem geringen Preis des Buches kein großes Manko, aber ein Ölgemälde wie den »Bau der Teufelsbrücke« sollte man sich doch noch einmal woanders anschauen, denn im Buch sind besonders die dunklen Partien nur undeutlich zu erkennen. Und Dunkles, Düsteres, Verschattetes findet sich nur allzu häufig in den Bildern des Meisters.

Für einen hochsensiblen Menschen wie Blechen vielleicht nicht ganz folgenlos mag ein Totalverriss von »Blick auf Assisi« gewesen sein, besonders, wenn man seinen frühen Tod bedenkt. Das 1832 in der Berliner Akademie ausgestellte, ziemlich große Gemälde ist zweifellos nicht einfach bloß schön, sondern birgt wie so viele seiner Bilder buchstäblich Abgründe, aber der Verriss, den der Philologe und Archäologe Adolf Schöll dem Künstler um die Ohren haute, ist in seiner kruden Verständnislosigkeit tatsächlich eine Ungeheuerlichkeit. Dieses Gemälde, so Adolf Schöll (und er wusste noch andere Beleidigungen ähnlichen Kalibers), »ist kein seelenvolles Angesicht der Natur und will es nicht sein; sondern seine Züge verhalten sich zu diesem wie die eines Hirnverbrannten zum gesunden Menschengesicht.«

Die erste Hälfte des Buches, für das die beiden Autoren in allen seinen Teilen gemeinsam verantwortlich zeichnen, schildert das Leben des in Cottbus geborenen Künstlers, der erst spät, mit 24 Jahren, sein Studium an der Berliner Akademie der Künste aufnahm. Und dann wurde er ja nicht einmal 42 Jahre alt! So blieb ihm nicht viel Zeit, und vielleicht, nein wahrscheinlich hat er nie ganz zu sich selbst finden können. Trotzdem legte Blechen eine Fülle von Ölgemälden, Ölstudien und Zeichnungen vor, von denen man viele als meisterlich qualifizieren kann und die zweifellos ganz sein geistiges Eigentum sind.

Der zweite Teil stellt in 26 kleinen Kapiteln unter dem Titel »Vergleichende Blicke« je zwei sehr verschiedene Bilder zu einem Thema gegenüber – ein sehr sinnvolles Verfahren, weil es den erstaunlichen stilistischen Reichtum seines Werkes veranschaulicht und zeigt, wie viele Möglichkeiten Carl Blechen besaß. Bemerkenswert an diesem Teil des Buches sind die sehr gekonnten, in jedem einzelnen Fall genau beobachteten Bildbeschreibungen, die sehr häufig in eine für meinen Geschmack etwas zu direkte psychologische Ausdeutung münden. Denn ohne groß darüber zu verhandeln, gehen eigentlich alle Interpretationen davon aus, dass »sein Inneres sich im Bild äußert«, wie es in dem Text zu der Miniatur »Am Wasser« von 1834 heißt: »Die Intimität der Miniatur im Widerspruch zur Außenwelt erzeugt eine Harmonie von innerlich Gefühltem und mit dem Auge Gesehenen.«

Woher kennen wir das innerlich Gefühlte? Eine psychologische Deutung drängt sich natürlich bei einem Maler auf, der es offenbar nicht ganz leicht mit sich selbst hatte und ja am Ende seines kurzen Lebens nicht etwa an einer organischen Erkrankung litt, sondern ein psychiatrischer Fall wurde. Leider aber scheint über die Art seiner sehr schweren Erkrankung keine genaue Kenntnis vorzuliegen, denn es wird immer (also nicht allein in diesem Buch) nur von einer »Geisteskrankheit« gesprochen, ohne sie irgendwann einmal genauer zu spezifizieren. War er depressiv? Schizophren? Warum starb er so jung? Denn schließlich leidet man schrecklich an einer solchen Erkrankung, aber stirbt doch nicht an ihr. Aber wenn man nichts Genaues über seine Gemütserkrankung weiß, wie will man deren Spuren in seinen Bildern aufsuchen?

Im Augenblick ist dieses Büchlein die einzige Publikation über Blechen im Buchhandel und schon deshalb hochwillkommen. Sie legt ein solides Fundament für die Beschäftigung mit einem sehr großen Meister, der viel mehr Aufmerksamkeit verdient, als er in den letzten Jahrzehnten erfahren hat.

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