Ausstellungsbesprechungen

Isa Genzken. Sesam, öffne dich!, im Kölner Museum Ludwig, bis zum 15. November

Ihre erste, längst überfällige Retrospektive nennt Isa Genzken »Sesam, öffne dich!«. Der Berg ‚Sesam’ birgt im osmanischen Märchen »Ali Baba und die vierzig Räuber« allerlei Schätze. Wer den ‚Sesam’ des Kölner Museum Ludwigs betritt, findet sich jedoch nicht in einer Schatzkammer wieder, sondern auf dem »Straßenfest«. So heißt Genzkens jüngste und wohl schrillste Installation in der Ausstellung. Dieses »Straßenfest« erinnert an ein wildes Karnevalsfest: männliche Schaufensterpuppen sind grotesk verkleidet mit Plastikbrüsten, Chanelhandtaschen und Totenkopfhosen, sie stehen auf mehreren Rollwagen, die sonst dem Transport von Lebensmittelpaletten dienen. Ästhetisch erhebt Genzken ‚Trash’ zur Kunst. Der niederländische Kunstkritiker Paul Groot wertet ihre Arbeiten als Versuch, Traditionen zu zerstören.

Genzken vermischt Traumata wie die Anschläge am 11. September 2001 mit Humor und stellt damit eine eigentlich unmögliche Verbindung her. Was wir in ihren Skulpturen „Ground Zero“ sehen, ist gleichzeitig ernst und karnevalesk. Um die künstlerische Sprache von Genzken besser zu verstehen, hilft vielleicht ein Verweis auf den Literaturtheoretiker Michail Bachtin. Dieser schreibt, literarische Sprache sei ein »anarchistisches Kommunikationsspiel, das Hierarchien auf den Kopf stellt, Gegensätze vermischt und die ‚jolly relativity of all things’ verkündet«. In gewisser Weise gilt das auch für die Kunst von Isa Genzken.

Verglichen mit Genzkens frühen Arbeiten scheint die grell-bunte Staffage in »Straßenfest«, ohne jeden Zusammenhang. Die Kuratoren der Kölner Ausstellung stellen alte wie neue Arbeiten schroff nebeneinander.

Genzken (1948 geboren) studierte zunächst an der Hamburger Hochschule Malerei, dann Fotografie und Grafik in Berlin. Ihren Abschluss machte sie 1977 als Meisterschülerin von Gerhard Richter an der Düsseldorfer Akademie, mit Richter war sie von 1982-1994 verheiratet. In der für Konzeptkunst und Minimal Art bekannten Galerie Konrad Fischer bekam sie 1976 ihre erste Einzelausstellung. Tatsächlich kann man Genzkens Frühwerk dem Post-Minimalismus zurechnen. Zu ihren Freunden gehören unter anderem die Künstler Jeff Wall, Dan Graham ebenso wie Wolfgang Tillmans und Lawrence Wiener, dessen Konzeptkunst sie besonders beeinflusst hat.

Ein frühes Schlüsselwerk ist Genzkens »Weltempfänger«, ein grauer Betonklotz mit Antennen. Genzken scheint hier dem unsichtbaren Senden und Empfangen von Tönen nachzuspüren. Etwas später nimmt sie Fotos von Frauenohren auf, als frage sie sich, wohin all die Töne und Informationen im Menschen verschwinden.
Mit ihrer »X-Ray«-Serie von 1986 überschreitet Genzken ihre eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten, indem sie ihren Kopf röntgen lässt während sie Wein trinkt.

Architektur ist ein anderes Hauptthema von Isa Genzken. Im Anschluss an den ‚Weltempfänger’ und die ‚X-Rays’ geht es dabei um den Gegensatz von sichtbarer Fassade und unsichtbarem Inhalt. Teppiche aus kleinen Spiegelquadraten erinnern bei Genzken an Hochhausfassaden, die den Blick auf das Innere verwehren und stattdessen den Betrachter reflektieren.
Ab 2001 baut Genzken »New Berlin Buildings« — Modelle, die an Hochhäuser erinnern. Bunte Plexiglas-Scheiben stehen kreuz und quer zueinander, sind bloß locker angelehnt. Genzken verwischt die Grenze zwischen Form und Inhalt und wendet sich zugleich der öffentlichen Wahrnehmung zu.

Das Öffentliche, woraus sich das kollektive Gedächtnis stetig speist, und das Private vermischen sich im Kopf eines Jeden. Dies zeigt Genzken in der Assemblage »Spielautomat«, die zwischen 1999 und 2000 entstand. Ganz oben ein Bild von Isa Genzken, darunter Fotos von Leonardo DiCaprio und scheinbar zufällig ausgewählte Fotos aus New York. Da die Künstlerin selber immer wieder in New York lebte, zeigen diese wohl Genzkens private Umgebung. Alles wirkt, wie oft bei Genzken, provisorisch gebastelt.

In zwei Serien (entstanden zwischen 1989 und 2002) hat Isa Genzken Fotografien aus dem Magazin »Der Spiegel« ausgeschnitten, alle Bildunterschriften und Copyrights entfernt, sie einzeln gerahmt und in eine Reihe gehängt. Neben Bildern des Zeitgeschehens wählt Genzken beispielsweise auch ein Foto der Band »Sonic Youth« aus, mit deren Mitgliedern sie eine Freundschaft verbindet. Wie sich unser kollektives Gedächtnis stetig verändert und sich mit unseren privaten Erinnerungen vermischt, macht Genzken sichtbar.
Genzken unterläuft in ihren Arbeiten das menschliche Verlangen, Sinn herzustellen. Denn sie spiegeln die chaotischen, unzugänglichen, absurden und bisweilen karnevalesken Zustände in der Welt und in uns selber.


Die Ausstellung »Isa Genzken. Sesam öffne dich!« läuft noch bis zum 15.11.2009 im Museum Ludwig in Köln. Ein inhaltsreicher Katalog ist bei Walther König erschienen, er kostete 48,- Euro.

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