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Jaschi Klein - Im Wind. Installationen - Fotografien, Kehrer Verlag 2011

Kunst um ihrer Selbst willen, diesem Credo verschreibt sich die Foto- und Installationskunst Jaschi Kleins zur Gänze. Höchst aufwendige Installationen werden nur zu dem Zweck ihrer fotografischen Ablichtung konzipiert und aufgebaut. Was am Ende übrigbleibt: einige Dutzend auf ein Minimum reduzierte und von allem Dekor befreite Fotos. Yi-Ji Lu hat sich den kürzlich im Kehrer Verlag erschienenen Fotoband für Sie angesehen.

Die multimedialen Projekte der Hamburger Künstlerin Jaschi Klein verbanden schon immer das Thema Natur mit den Gattungen Skulptur und Fotografie. Nach einem Studium der Malerei und Fotografie in Kiel, Hamburg, Paris, London und New York erlangte sie mit diesem einzigartigen Zugang großes Ansehen auf nationaler und internationaler Ebene. Dies führt sie auch in ihrem neuen Projekt fort. Hier dreht sich alles um den Wind, so schon der Titel ihres neuesten Fotobandes »Im Wind«. In aufwendigen Installationen, die sie in Schwarz-Weiß ablichtet, geht sie mittels fünf Meter hohen Stangen- und Stoffinstallationen den Bewegungen des Windes nach, um das Unsichtbare sichtbar zu machen und gänzlich in der Abstraktion aufzulösen.

Kleins Kunst ist nicht nur das fotografische Endprodukt, sie ist ein prozessualer Dialog mit der Natur: die monatelange Suche nach der geeigneten Landschaft, die aufwendige Planung und das geduldige Warten auf die richtige Jahreszeit, der stundenlange Aufbau und der ständige Abgleich anhand dessen, was die Landschaft und Winde hergeben. Trotz all dieser Vorbereitungszeit muss Jaschi Klein oftmals in nur wenigen Momenten reagieren, um die unvorhersehbaren Windbewegungen ihrem ästhetischen Anspruch genügend einzufangen. So blitzschnell wie die Winde sich von einem Moment auf den anderen drehen, so flexibel und intuitiv muss auch die Künstlerin handeln.

In ihrer Kunst nehmen die sonst unsichtbaren thermischen Bewegungen kontemplativ und zugleich rätselhaft Gestalt an, ablesbar an den eingefrorenen Bewegungen der metallenen oder hölzernen Stelen und Stoffkonstruktionen. So fragt sich der Betrachter zunächst, wieso nur einige der geometrischen Segel im Wind wehen und andere scheinbar unberührt an ihren Aufhängungen herab hängen. Dann zeichnen sich allmählich vor dem geistigen Auge jene Bilder von sichtbar gemachten Luftverwirbelungen ab, wie sie im Windkanal entstehen. Doch sind die Windskulpturen mehr als eine bloße spielerische Beschäftigung mit abstrakten Formen. In dem Ensemble von Ruhe und Unruhe, Licht und Schatten, Berechnung und Zufall, eröffnen die Fotografien zugleich einen Raum für die gedankliche Auseinandersetzung mit der eigenen Befindlichkeit und Verortung.

Denn die Künstlerin präsentiert mit ihren Aufnahmen in zweierlei Hinsicht ein „Verortungsangebot“. Einerseits stellt sie sich und ihre Kunst bewusst in den Dialog mit der Natur, wenn Installation mit Wind, Wiese, Strand, Meer und Wüste komplementär ein Ganzes bilden. Andererseits erlangt Kleins Auseinandersetzung mit abstrakten Formen durch die sorgsame Auswahl ihrer Orte universellen Charakter; kein Baum, keine Person geben spezifische Hinweise auf Lokalität oder Kulturkreis. Wie eine pochende Wunde strahlt das Foto über seine Grenzen hinaus auf das betrachtende Ich und zieht es vollends in die Szenerie.

Über diese doppelte Bewegung schafft Klein ein Bewusstsein für das nicht Wahrgenommene, für die meditative Ruhe, die sich in Wellen-, Sand- und Graskonstellationen und den Stangenkonstrukten ausdrückt. Zugleich eröffnet sie ein Spiel mit der Imagination und Assoziation, die der Betrachtung strenger geometrischer Formen und ihrer Brechung entspringen. Einem semiotischen Feuerwerk gleich, erinnern die Installationen trotz oder gerade wegen ihres hohen Abstraktionsgrades an seltsame Fragmente unserer soziokulturellen Wirklichkeit: Industrieanlagen, Wäscheständer, Schmetterlinge auf der Wiese, Sandwüsten nach Dali, einsame in weite Gewänder gehüllte Personen. In dieser Weise stellt ihre Kunst eine antagonistische Spannung zur materialistischen und zwecksorientierten Gesellschaft und Kultur her, wie Jaschi Klein verrät: »[I]n gewisser Weise versuche ich, die Absurdität zurückzuerobern; dem scheinbar Sinnlosen, nicht direkt Anwendbaren einen Raum zu geben, der dem materialistischen Gedanken Kontra bietet.«

»Im Wind« ist ein wärmstens zu empfehlender Fotoband. Er setzt dem Betrachter eine beinahe greifbare Spannung zwischen Beständigkeit und Vergänglichkeit, ephemer Leichtigkeit und bleierner Schwere vor und zwingt ihn zum Nachsinnen. Zugleich gibt er tiefe Einblicke in das Werk, denn sowohl die Einleitung von Mojib Latif, der Aufsatz von Maren Welsch, als auch das abgedruckte Interview mit der Künstlerin selbst lassen keine Fragen offen. Die hochwertige Papierqualität, die sehr gute Bindung und der schöne Druck machen das Durchblättern sodann auch zu einem sinnlichen Vergnügen.

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