Buchrezensionen

Jean-Philippe Postel: Der Fall Arnolfini. Auf Spurensuche in einem Gemälde von Jan van Eyck, Verlag Freies Geistesleben 2017

Jean-Philippe Postel war bis vor wenigen Jahren noch praktizierender Allgemeinmediziner. Nun seziert er die kunstgeschichtlichen Theorien zu Jan van Eycks Gemälde »Die Arnolfini-Hochzeit« (1434). Sein unbefangener Blick fördert dabei so manch Unglaubliches zu Tage. Rowena Schubert-Fuß weiß mehr.

Der Zufall ist schon etwas Seltsames. Ihm verdanken wir jedoch die besten Dinge, sagte schon Casanova. Ob Postel den »größten Liebhaber der Welt« (und nach eigenen Aussagen besonders der Frauen) gelesen hat, ist unbekannt. Doch widmet sich der Franzose offenbar mit gleicher Leidenschaft gewissen Steckenpferden. So hat ihn diese Doppeldarstellung van Eycks gleich bei seinem ersten Besuch in der Londoner National Gallery in Staunen versetzt und nicht mehr losgelassen. Denn er verstand den Trick des Künstlers nicht. Bei genauerem Hinschauen vermeinte Postel schließlich verschiedene Täuschungsmanöver zu erkennen, die den wahren Sachverhalt verschleiern. Es handelt sich um insgesamt 14 Einzelheiten, die der Autor mit geradezu kriminalistischem Gespür zusammengetragen hat.

Zunächst steht die doppeldeutige Inschrift oberhalb des Spiegels an der hinteren Wand des dargestellten Raumes zur Debatte: »Johannes de Eyck fuit hic / 1434« steht dort – nicht etwa »Johannes de Eyck me fecit / 1434«. Nein, anscheinend soll es heißen »Jan van Eyck ist hier gewesen 1434«. Nach dieser Deutung entspräche Eycks Bild, so Postel, einem Doppelporträt des Malers mit seiner Frau Margarete. Der Autor glaubt, in der Männergestalt den Künstler wiederzuerkennen und zieht ein angebliches Selbstbildnis van Eycks mit rotem Turban heran (ebenfalls National Gallery London), um das Argument zu stärken. Fakt ist aber, dass über das Leben Jan van Eycks kaum etwas bekannt ist. Man kann weder das genaue Jahr seiner Geburt, noch den Ort, noch seine Ausbildung oder den weiteren Lebensweg rekonstruieren. Gesicherte Darstellungen seines Selbst fehlen ebenfalls.

Van Eycks Arnolfini-Hochzeit als Doppelporträt von sich und seiner Frau zu sehen, ist äußerst fragwürdig. Aber lassen wir uns auf dieses Gedankenspiel ein. Die Theorie des Selbstporträts stützt der Autor zusätzlich durch den Hinweis, dass sich keine Geschäftsbeziehungen oder Freundschaftsbande zwischen dem Niederländer und der angeblich dargestellten Familie Arnolfini herstellen lassen. Ja, warum überhaupt Arnolfini? In einer ersten Nennung hieß das Werk noch »Hernoule-Fin mit seiner Frau« (Inventar der Margarete von Österreich aus dem Jahr 1516). Erst 1857 machten zwei Kunsthistoriker in ihrer Abhandlung über flämische Malerei aus »Hernoule-Fin« das phonetisch nahe »Arnolfini«. Merkwürdigerweise hielt sich der Name.

Wie aus mehreren Inventaren und Berichten hervorgeht, verstanden Zeitgenossen das Doppelbildnis bis zum Zeitpunkt der Umbenennung im 19. Jahrhundert als ironischen Kommentar zum Thema Ehe. »Hernoule-Fin», übersetzt »Arnulf«, war der Schutzheilige der Gehörnten. Doch ging nicht nur die Bezeichnung verloren, auch den funktionalen Rahmen hat das Werk eingebüßt. Als Mitteltafel eines Triptychons konzipiert, zierten einst Verse aus Ovids Ars amatoria die hölzerne Umrandung. Diese sprachen davon, dass sich beide Dargestellten betrügen würden: »… Reich an Verheißungen kann immer ein Jeglicher sein«.

Immerhin: Das aufgebauschte Kleid der Dame lässt vieles vermuten. Ob eine Schwangerschaft vorliegt oder nicht, ob es sein Kind ist oder nicht, deswegen geheiratet werden muss oder nicht, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob der dargestellte Mann von einer gewitzten, vielleicht schwangeren Frau nun vorgeführt wurde oder nicht. Genauso infrage stellen ließe sich daher die These, ob Jan van Eyck der Gehörnte ist oder nicht. Es fügt sich in die Reihe an Zweifeln zur Entstehungszeit ein. Fest steht, dass sich die Bedeutung des Gemäldes in einer Metaebene versteckt. Das, was wir sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs.

Jean-Philippe Postel versteht es, den Leser Detail für Detail immer tiefer in das Bild zu ziehen, bis er in den eingangs beschriebenen Hohlspiegel blickt. Dessen Oberfläche offenbart eine gänzlich andere Sichtweise auf die Dargestellten. Plötzlich stehen zwei nicht näher definierte Männer in der Zimmertür. Diese sind es wohl, denen die Grußgeste des Hausherrn zugedacht ist. Etwas blass steht er neben seiner Gattin in dem mit kostbaren Möbeln ausgestattetem Interieur. Seine schwarze Kleidung steht in scharfem Kontrast zu den belebenden Grün- und Blautönen seiner Frau.

Der Autor glaubt dann auch an eine Erscheinung: Sie ist eine Wiedergängerin, die ihren Mann erschreckt. Daher reicht er ihr nur zögerlich die Hand und begrüßt betreten die Gäste. Den Hintergrund für Postels Mutmaßungen bilden die Erzählung über das unerwartete Widerfahrnis der Tante des Melanchthons, Schilderungen des Fegefeuers Dante Alighieris, Katharina von Genuas und die Abhandlungen über Geistererscheinungen des französischen Benediktinerabtes Augustin Calmet. – Ach ja, und eine verloschene Kerze im Kronleuchter über der Dargestellten.

Es überrascht wenig, dass Postel am Ende der Doppeldeutigkeit des Bildes erliegt. Seine Betrachtungen bleiben »Träumereien«, so das Fazit. Die dargelegte Sichtweise ist damit nur eine weitere Spekulation unter vielen. Dennoch ist sein erquickliches Buch ein willkommener Begleiter, den man beim nächsten Besuch in der National Gallery gern aus der Tasche zieht, wenn man vor dem Original steht und über dessen Mystik sinniert.

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