Ausstellungsbesprechungen

Jeroen Krabbé – Der Untergang des Abraham Reiss, Felix Nussbaum Haus Osnabrück, bis 26. Februar 2012

Abraham Reiss war der Großvater des Schauspielers und Künstlers Jeroen Krabbé. Er war ein wohlhabender jüdischer Bürger Amsterdams, der 1943 von den Nationalsozialisten in das Durchgangslager Westerbork und anschließend in das Vernichtungslager Sobibor deportiert wurde. In der Gemäldeserie »Der Untergang des Abraham Reiss« (2010) malte Jeroen Krabbé die Lebensphasen seines Großvaters. Cornelia Ganitta hat sich die einprägsamen Werke angesehen.

Er ist ein alter Hase im Filmgeschäft. Viele kennen ihn als paranoiden Schriftsteller in Paul Verhoevens Krimi »Der vierte Mann« (1983), als Gangsterboss in »Gnadenlos« (1986), als KGB-General im Bond-Streifen »Der Hauch des Todes« (1987) oder in der Hauptrolle des Albert Schweitzer in »Ein Leben für Afrika« (2009). Auch mit seinem Regiedebüt beim mehrfach ausgezeichneten Film »Kalmans Geheimnis« von 1998, einer im jüdisch-orthodoxen Milieu angesiedelten Handlung über die schwierige Beziehung zwischen der ersten und der zweiten Opfergeneration nach dem Krieg, hat sich Jeroen Krabbé hierzulande einen Namen gemacht. Als Bildender Künstler hingegen ist der niederländische Schauspieler und Regisseur in Deutschland nahezu unbekannt. Dabei kann der 67-Jährige, der nach der Schauspielschule und ersten Erfolgen in diesem Metiér noch ein Studium an den Amsterdamer Kunstakademien (Rijks- und Rietveld) anhängte, auch auf eine Malerkarriere verweisen, die ihren bisherigen Höhepunkt 2008 in einer großen Übersichtsausstellung im Museum de Fundatie im niederländischen Zwolle fand.

Jetzt ist Krabbé mit einer kleinen, feinen Schau auch diesseits der Grenze zu sehen. Genauer: Mit neun großformatigen Gemälden im Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück, die zuvor bereits im Museum de Fundatie präsentiert wurden. Neun Bilder, die es in sich haben, da sie nur einem Thema gewidmet sind: der Geschichte seines jüdischen Großvater Abraham Reiss. Krabbé spannt darin den Bogen vom Leben des Herrn Reiss als wohlhabendem jüdischen Bürger Amsterdams, über die Besetzung der Niederlande durch die Deutschen, bis hin zu seiner Deportation 1943 nach Sobibor, wo er 70-jährig, gleich nach seiner Ankunft, ermordet wurde.

Bisher eher als "Maler des Glücks" unterwegs, der überwiegend heitere, farbenfrohe Landschaftsmotive von seinen vielen Reisen nach Russland, Indonesien, Frankreich und anderswo mitbrachte, lässt Krabbé mit »Der Untergang des Abraham Reiss« erstmals dieses dunkle Kapitel der Geschichte in seine Malerei einfließen. Ein Anlass unter mehreren war seine Regiearbeit für den Film »Die Entdeckung des Himmels« nach dem Roman von Harry Mulisch. »Für den Film bin ich 2000 in Auschwitz gewesen. Nach zwei Tagen allein an diesem furchtbaren Ort war mir klar, dass ich etwas über meine eigene Familie machen musste. Ich wusste nur noch nicht, was. «, erzählt Krabbé. Einen weiteren, entscheidenden Anstoß lieferte das Erbe seiner Mutter, die vor zehn Jahren verstarb. Sie hinterließ ihm ein Buch, das von ihr verfasste Berichte und Erzählungen über ihren Vater enthielt, außerdem Fotos und Korrespondenzen (»Hunderte von Briefen und Karten«) zwischen ihr und ihrer Schwester während deren Zeit in Westerbork, dem niederländischen Durchgangslager Richtung Osten. Es brauchte dann noch einige Jahre, um zu der Form zu gelangen, die Krabbé für die Umsetzung dieses Holocaust-Traumas für die beste hielt: eine Erzählung in Bildern. Als dann im November 2009 in München der Prozess gegen den ehemaligen KZ-Wachmann Iwan Demjanjuk begann, war für Krabbé die Zeit reif, um mit dem Schicksal von Abraham Reiss an die Öffentlichkeit zu gehen. »Plötzlich ging alles ganz schnell. In nur drei Monaten waren die Bilder gemalt«, resümiert der Amsterdamer. Erst durch die intensive Beschäftigung mit seinem nie gekannten Großvater sei er diesem ganz nah gekommen. »Ich fühlte, dass ich mit meiner Malerei dabei war, ihm seine Existenz zurückzugeben. Und das ist mir gelungen: Heute spricht man seinen Namen wieder aus«.

Die mit Holzkohle, Asche, zerriebenem Stroh und Öl gemalten Bilder, die nun im oberen Gang des Felix-Nussbaum-Hauses zu sehen sind, ziehen den Betrachter durch die Lebensgröße der Dargestellten und ihre Nähe unausweichlich in ihren Bann. Ein Bild fällt wegen seiner Farbigkeit besonders aus dem Rahmen. Es zeigt das Lager Sobibor, eine Baracke, einen rauchenden Schornstein, Birken und rote Gänse. »Diese Gänse haben Blut an ihren Federn«, sagt Jeroen Krabbé. In Sobibor habe man Gänse gehalten, die, sobald ein Transport kam, von Lager Zwei in das Lager Drei getrieben wurden. Dort sollten sie mit ihrem Geschnatter die Schreie aus der Gaskammer übertönen. »Grausam aber wahr«, erzählt Krabbé: »Als ich davon erfuhr, war ich so geschockt, dass ich dieses schreckliche Detail in meinem Bild verarbeitet habe«.

Mit diesem Denkmal an seinen Großvater hat Krabbé auch mit einem Teil seiner eigenen Geschichte abgeschlossen. Nun kann sich der vielseitige Künstler wieder neuen Projekten widmen. Ob als Maler oder Schauspieler bleibt abzuwarten. »Es gibt Zeiten, da fühle ich mich mehr als Maler. Dann denk´ ich nicht mehr ans Schauspielern«, sagt Krabbé, und: »Zurzeit überwiegt die Malerei«. Sein Vater und auch Großvater (väterlicherseits) hätten dies sicherlich gerne gesehen. Beide waren ihres Zeichens Kunstmaler.

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