Ausstellungsbesprechungen

Jochen Lempert, Ausstellung in der Overbeck-Gesellschaft, Lübeck, bis 23. November 2014

Dass sich der studierte Biologe und Fotograf Jochen Lempert insbesondere mit der Natur- und Tierwelt beschäftigt, scheint naheliegend. Im Pavillon der Lübecker Overbeck-Gesellschaft stellt er in diesem Herbst seine Schwarzweiß-Aufnahmen aus. Stefan Diebitz hat die Ausstellung besucht und rätselt über den wissenschaftlichen Wert der künstlerischen Arbeiten.

Jochen Lempert hat schon etliche wichtige Auszeichnungen erhalten und kann auf eine Reihe von auch internationalen Einzelausstellungen und Buchpublikationen zurückschauen. 1958 in Moers geboren, studierte er von 1980 bis 1988 Biologie in Bonn, gehörte aber zu derselben Zeit auch der Film- und Performancegruppe »Schmelzdahin« an, deren Arbeit er mit seinen eigenen Projekten fortsetzt. In der Selbstdarstellung der Gruppe heißt es, dass ein wichtiger Aspekt »die verschiedenartige und außergewöhnliche Behandlung des Materials« war. Die Mitglieder der Gruppe kauften fremde und natürlich bereits belichtete Filme und lagerten diese »in einem Teich, bis sich Algen am Material anlagerten. Bakterien griffen die Filmschicht während der Lagerung in einem Garten an. Die Filmernte wurde anschließend gesäubert und getrocknet und auf einer selbstgebauten Maschine kopiert.«

Bis heute arbeitet Lempert mit ähnlich eigenwilligen Techniken, die ihn von anderen Fotografen unterscheiden. Er benutzt keine Digitalkamera, sondern fotografiert immer noch analog mit einer Kleinbildkamera – dazu sogar schwarzweiß. In Lübeck gab es nicht nur normal entwickelte Bilder zu sehen, sondern auch solche, für die Pflanzenblätter wie Filme behandelt wurden. Lempert legte sie nämlich in den Vergrößerer und belichtete sie bis zu einer halben Stunde lang, so dass die Zellstrukturen auf dem Papier zu sehen sind. Dazu kommen Unsauberkeiten des Films, zum Beispiel kleine Löcher. Ganz offensichtlich schwebt diesem Fotografen nicht die Perfektion vor, die sonst mit Hochglanzfotos angestrebt wird, und ebensowenig ist die Aura von alten Schwarzweißfotos sein Ziel. So ist das Weiß seiner Fotos das frostig-kalte, ganz gleichmäßige der Industriefotografie.

Auch werden die Bilder auf Barytpapier mit Klebestreifen an die Wand geklebt – eine je nach Perspektive unprätentiöse oder sogar pointiert lieblose Darbietung und ein entschiedener Gegensatz zu der Präsentation von Fotos in anderen Ausstellungen. Son etwa im Lübecker Museum für Natur und Umwelt, wo Ingo Arndt in diesen Tagen seine spektakulären Tierfotos ausstellt. Lempert selbst hat während der Eröffnung erzählt, wie achtlos er nach einer Aufnahme mit seinen Negativen umgeht, denn oft schaut er sich seine Bilder erst lange nachher an.

Auch deshalb ist es merkwürdig, wenn es im Pressetext der Ausstellung heißt, dass »Jochen Lemperts Arbeiten […] auf dem schmalen Grat zwischen wissenschaftlicher und künstlerischer Wahrnehmung« balancieren. Ein wissenschaftliches Bild müsste einerseits den höchsten technischen Ansprüchen genügen, nämlich so viel Details wie überhaupt nur möglich zeigen und schon deshalb in den allermeisten Fällen auch farbig sein, andererseits müsste ein wissenschaftlich arbeitender Fotograf akribisch über Ort und Zeit sowie über die technischen Daten der Aufnahme Buch führen, um vor einer kritischen Öffentlichkeit jederzeit Rechenschaft ablegen zu können. Ein Foto genügt schließlich nicht schon deshalb wissenschaftlichen Ansprüchen, weil der Fotograf studiert hat und Pflanze oder Tier korrekt benennen kann.

Das eine erklärte Ziel dieses Fotografen ist eine Unmittelbarkeit des Zugangs für den Betrachter – deshalb weder Rahmen noch Glas –, ein anderes die Vernetzung aller Bilder innerhalb der Ausstellung und damit eine Anregung des Besuchers, der sie assoziativ verbinden soll. In einem Essay zu einer Ausstellung 2013 in der Hamburger Kunsthalle schrieb Brigitte Kölle, dass sich nichts in Lemperts Ausstellungen oder Büchern isoliert betrachten lasse. »Alles hängt irgendwie mit allem anderen zusammen.« Es ist die Ästhetik des Wikipedia-Zeitalters mit seinen Links und Querverweisen, die hier bestimmend wird, und das »irgendwie« kann man noch zusätzlich unterstreichen, denn die Zusammenhänge sind, wenn sie überhaupt vorhanden sind, höchst indirekt und meist auch eher metaphorischer Natur. Kölles eigenes Beispiel lautet der »lächelnde Kindermund voller Zahnlücken und die Zuckerwatten-Wolke am Himmel«.

Eines der Vorbilder von Lempert ist Anna Atkins (1799 - 1871), die Mitte des 19. Jahrhunderts das erste mit Fotografien illustrierte Buch überhaupt in einer winzigen Auflage herausgegeben hat. Die Lübecker Ausstellung zeigt zwei »Bildschirm-Photogramme«, die Lempert von Pflanzen-Photogrammen aus Atkins Büchern »British Algae« von 1843 und »Cyanotypes of British and Foreign Flowering Plants and Ferns« (1854) angefertigt hat. Allerdings, während sie eine avantgardistische Technik benutzte, stellt sich Lempert dem technischen Fortschritt entgegen und orientiert sich an einem höchst altmodischen Verfahren, das nicht einmal besonders detaillierte Abbildungen erlaubt, sondern abstrahiert, nämlich die Gegenstände auf ihre Strukturen reduziert und damit letztlich ihrer Wirklichkeit entkleidet. Deshalb ist es auch etwas verblüffend, in einem Zusammenhang mit diesen Fotos von der Nähe zur Wissenschaft zu hören – gehören die Farben nicht zur Natur dazu?

Die Frage, warum er keine Farbfotos macht, beantwortete Lempert damit, dass man ja auch nicht fragt, warum ein Künstler den Bleistift einem Pinsel vorziehe. Aber erstens ist auch bei Zeichnungen diese Frage legitim, und zweitens besitzt die Zeichnung ihre Vorzüge gegenüber einem Ölbild oder Aquarell, indem sie etwa Konturen und Strukturen deutlicher hervortreten lässt. Aber warum verzichtet ein Fotograf generell, also tatsächlich bei jedem einzelnen Bild, auf Farbe?

Als Verbeugung vor Lübeck lichtete Lempert die Wakenitz ab, früher der Grenzfluss zur DDR, ein zwar recht kurzes, aber gar nicht kleines, von Schilf und dichtem Wald bekränztes Fließgewässer, seines wild wuchernden Bruchwaldes wegen gern als »Amazonas des Nordens« bezeichnet. Lempert meint, dass Flüsse auf der ganzen Welt gleich aussehen, aber hätte er auf die Farben geachtet, hätte er gesehen, dass das nicht stimmt – das Grün aller Bäume unterscheidet sich nur zu deutlich voneinander, und man hätte auf einem Farbfoto sofort erkannt, ob es Weiden sind oder vielleicht doch Erlen oder Eichen. Auch Jahres- wie Tageszeit hätte man ablesen können. Er hat eben nicht den Amazonas fotografiert, sondern nur die Wakenitz – nur sehen können wir das nicht.

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