Buchrezensionen, Rezensionen

Johann-Christian Klamt: Verführerische Ansichten. Mittelalterliche Darstellungen der Dritten Versuchung Christi, Schnell + Steiner 2011

Klamt spürt markanten mittelalterlichen Darstellungen der Dritten Versuchung Christi nach und führt uns die Ikonografie der Szene unter Berücksichtigung der zeitgenössischen theologisch-exegetischen Literatur vor Augen. Xenia Ressos hat den instruktiven Band gelesen.

»Wieder nahm ihn der Teufel mit sich und führte ihn auf einen sehr hohen Berg; er zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht und sagte zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest« (Mt 4,8-9). Mit diesen Worten schildert der Evangelist Matthäus den letzten der drei Versuche Satans, Jesus in der Wüste in Versuchung zu führen.

Bis ins 20. Jahrhundert beschäftigten sich zahllose Künstler mit der beschriebenen Szene und setzten sie unter Benutzung verschiedenster Chiffren ins Bild. Den unterschiedlichen Darstellungsweisen in Werken des 9. bis frühen 17. Jahrhunderts aus dem gesamteuropäischen Gebiet ist Johann-Christian Klamt auf der Spur.

Grundlegend für das Verständnis christlicher Motivik – insbesondere in Werken des Mittelalters – ist die Kenntnis der literarischen Texte, die ihr zugrunde liegen, sowie ihrer Auslegung durch die Kirchenschriftsteller. Entsprechend beginnt Klamt seine Untersuchung mit einer Vorstellung der voneinander abweichenden Überlieferungen des Geschehnisses in den synoptischen Evangelien. Wie er darlegt, setzten sich bereits die frühesten Exegeten mit der Problematik der von den Evangelisten Matthäus und Lukas in unterschiedlicher Reihenfolge wiedergegeben Versuchungen Jesu durch den Teufel auseinander. Ihre einfallsreichen Begründungen für diese Abweichung fasst der Autor kurz und verständlich im Fließtext zusammen, nicht ohne sie fundiert durch die entsprechenden lateinischen Zitate in den Fußnoten zu belegen. Der typologischen Auslegung der Dritten Versuchung Jesu, die mit der Versuchung Adams in Bezug gesetzt wurde, ist ein eigenes Kapitel gewidmet.

In der ikonografischen Gestaltung der Szene ist durch die Jahrhunderte hindurch eine erstaunliche Variationsbreite zu beobachten. Anhand von Beispielen, die zum Großteil der Tafelmalerei und der Buchkunst entstammen, stellt Klamt dem Leser die typischen Bildelemente der Szene vor und erläutert ihre für den heutigen Betrachter nicht immer augenfälligen Bezüge zu den Worten der Bibel bzw. der Kommentatoren. Besondere Beachtung finden die ikonografischen Besonderheiten einzelner Werke. So überraschen neben den regelmäßig in den Darstellungen zu findenden Verlockungen der »regna mundi«, die der Teufel Jesus in Form von allerlei Kostbarkeiten aus Gold und Silber in Aussicht stellt, mitunter fantasievolle Eigenwilligkeiten, wie beispielsweise die Zufügung von Pferd, Schaf und Rind oder auch einer möglicherweise als Biber zu identifizierenden Kreatur. Bemerkenswert ist nicht selten auch der Auftritt des Versuchers, der eine Mönchskutte oder elegante (Frauen?-) Kleidung tragen kann oder inmitten eines Schneegestöbers erscheint. Der Autor diskutiert die Interpretationsmöglichkeiten dieser Variationen und weist den Leser darüber hinaus auf die regelmäßig in den Darstellungen durch Architekturabbreviaturen angedeuteten »Reiche der Welt« hin, die vereinzelt durch eine detailliertere Ausführung als reale Orte identifiziert werden können. Die Untersuchung schließt mit einem kurzen Ausblick auf das Nachleben des Motivs in der protestantischen und gegenreformatorischen Bildpropaganda des 16. und frühen 17. Jahrhunderts.

Die ikonografische Studie von Johann-Christian Klamt zur Dritten Versuchung Christi behandelt das Motiv erstmals ausführlich. In gewohnt klarer, lebendiger und kurzweiliger Art und Weise erläutert der Autor die Besonderheiten der bildnerischen Umsetzung und ihre theologischen wie auch kulturhistorischen Hintergründe. Bedauerlicherweise beschränkte man sich bei der Realisierung der kleinformatigen Publikation auf eine geringe Anzahl farbiger Abbildungen: neben 80 Schwarzweißreproduktionen im Textteil wurden lediglich 13 der zumeist wunderbaren zusammengetragenen Beispiele als Farbtafeln am Ende des Buches angefügt, als solle dem Leser jegliche Versuchung durch eine allzu große Pracht erspart bleiben – was glücklicherweise jedoch kaum gelingen will.

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