Ausstellungsbesprechungen

John Cage / Milan Grygar: Chance Operations & Intention, Ludwig Museum Koblenz, bis 8. November 2015

Der Zufall als künstlerisches Prinzip vereint den Amerikaner John Cage und den Tschechen Milan Grygar, ebenso die Beschäftigung damit wie sich Geräusche visualisieren und darstelen lassen – also beste Voraussetzungen, ihr Werk einander gegenüber zu stellen. Susanne Braun hat es sich angesehen.

Die im Museum Ludwig ausgestellten Werke John Cages und Milan Grygars brechen mit Erwartungen: Während die Bilder des »Musikers« John Cage zur aufmerksamen Kontemplation in aller Stille einladen, stellt der »Maler« Milan Grygar eher akustische Eindrücke in den Vordergrund. Gemeinsam ist beiden Künstlern, dass sie überwiegend mit sehr reduzierten darstellerischen Mitteln arbeiten und dem Zufall eine dominierende Rolle bei der Gestaltung einräumen.

»John Cage war der Meinung, dass wir bei null wieder anfangen müssen«, beschreibt die Leiterin des Ludwig Museum in Koblenz, Prof. Beate Reifenscheid, die Intention des Künstlers. Der 1912 in Los Angeles geborene Cage arbeitet mit Naturmaterialien wie Feuer oder Stein, unterschiedlichsten Gestaltungstechniken und zahlreichen Untergründen. Die Spannbreite reicht von scheinbar einfachen Bleistiftzeichnungen über mit Feuer gefärbtes Papier bis hin zu Techniken, die am Anfang von Fotografie und Drucktechnik standen: Heliografie und Radierung. Mit großer Sorgfalt hat Cage nicht nur den Inhalt des Bildes gestaltet, sondern auch den Untergrund ausgewählt, so dass etwa die Strukturen des Fabriano- oder des handgeschöpten Papiers einen wesentlichen Teil der Gesamtkomposition ausmachen, genauso wie durchsichtiges Plexiglas.

Cages intensive Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus und der europäischen Avantgarde um die Dadaisten, Surrealisten und das Bauhaus ist an vielen Punkten spürbar. Auf dem Bild »Where R= Ryoanji R/14« beispielsweise hält er die Umrisse von Steinen mittels Bleistift auf handgeschöpftem Japanpapier fest. Die feinen grauen Linien auf dem dicken Papier mit deutlich gröberer Struktur wirken allenfalls chaotisch, sind es aber nicht. Cage hat zuvor den bekannten Steingarten des Zen-Tempels Ryōan-ji in Kyōto besucht und von dort sechzehn Steine mitgenommen. Wie in den anderen Arbeiten ist der Bildinhalt, in diesem Fall die Positionierung der Steine und deren Umrisse, nach dem Zufallsprinzip auf Basis des I Ging, einem auf uralten asiatischen Weisheiten basierenden Buch, bestimmt worden. Dahinter steht eine Absage an die Vorstellung eines »Genies« als Ursprung kreativer Prozesse – eine Haltung mit Parallelen sowohl zu der Avantgarde-Bewegung um die Dadaisten und Surrealisten als auch dem Zen-Buddhismus. Während im Zen-Buddhismus das Ego als Hindernis für das Erleben der Welt und den Weg ins Nirvana betrachtet wird, war für die Avantgarde-Bewegungen nach dem als Katastrophe empfundenen Ersten Weltkrieg das althergebrachte Wertesystem nicht mehr tragbar. Cage bricht konsequent mit vielen traditionellen Darstellungs- und Wahrnehmungsformen und setzt ihnen ungewohnte visuelle Konzepte entgegen.

Die Mehrzahl der »Akustischen Zeichnungen« des tschechischen Künstlers Milan Grygar sind mit schwarzer Tusche auf weißem Papier gestaltet. Charakteristisch für sie ist, dass sowohl Bild als auch Ton mit Hilfe derselben Alltagsgegenstände wie Holzstäben, Blechdosen, Glocken, Zahnräder, Kreisel oder mechanischem Kinderspielzeug hergestellt worden sind. Teilweise extrem laut und verzerrt hinterlassen die Gegenstände einen Höreindruck, der sich oft nicht mehr klar zuordnen lässt, obwohl die verwendeten Gegenstände sogar neben jeder Zeichnung angegeben werden. Mit dem Inhalt der Zeichnung verhält es sich ähnlich: Die zum Teil eng nebeneinander liegenden schwarzen Umrisse lassen kaum ein Objekt, sondern vielmehr bestimmte Verbindungen zwischen Zeichen und eine gewisse Rhythmik erkennen. Klarheit über den Herstellungsprozess bietet erst ein Film, der ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist und Milan Grygar bei der Produktion von Bild und Ton zeigt. Scheinbar rein zufällig zieht er darin mechanisches Spielzeug auf, zündet Streichhölzer an oder bläst von Zeit zu Zeit in eine Hupe. »Bei Milan Grygar löst sich der Klang von der Arbeit. Wenn ich zuhöre, bin ich bei einem autonomen Klang, der eine Akustik erschließt, die sich verselbständigt«, beschreibt Prof. Beate Reifenscheid die Wirkung. »Das alles findet zunächst ohne Plan und ohne Ziel statt. Das Ergebnis verfügt aber über alles, was ein Kunstwerk ausmacht«.

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns