Ausstellungsbesprechungen

Jonathan Meese. Die hermetische Revolution [die Diktatur der Kunst]. Performance

Noch bevor die Performance überhaupt beginnt, wird der Besucher der Ausstellungsräume mit Songs wie „She loves you“ von den Beatles empfangen, die aus der 8 Meter hohen, 20 Meter breiten und 40 Meter langen „Black Box“ herausschallen.

In diesem schwarz eingefassten Raum befindet sich die von Meese für Frank Castorfs „Kokain“-Inszenierung an der Berliner Volksbühne entworfene Drehbühne und eine ihr gegenüberliegende Tribüne, auf der sich die Zuschauer recht schnell zusammenfinden und gespannt auf den Auftritt des charismatischen Jungkünstlers warten.

Die Bühne, ein in Schräglage versetztes Eisernes Kreuz mit vulkanartigen Schornsteinen, ist ein Konglomerat aus Malereien, Fotografien, plakativ in Szene gesetzten Schlagworten und Wortneuschöpfungen des Künstlers, sowie flimmernden Bildschirmen, auf denen Meese in Aktion zu beobachten ist. Ausgestattet mit Alltagsgegenständen, Puppen und Skeletten wird die Bühne nur wenig später zum Agitations- und zum Teil zum Schlachtfeld Meeses werden.

Schließlich erscheint Jonathan Meese und beginnt, aus einer Tasche ein Paar Hosenträger, verschiedene Jacken und Gürtel auszupacken, die er im Laufe der Performance abwechselnd an- und wieder ausziehen wird. Er läuft unruhig auf der sich drehenden Bühne, trinkt Wein und grüßt mal in körpergespannter, mal in tänzerischer Gebärde mit dem Hitlergruß. Dabei läuft das Lied „Tanz den Mussolini“ der in den 1980er Jahren populären Kultband „Deutsch-Amerikanische Freundschaft“ (DAF). Es entspannt sich eine energiegeladene Bewegungsabfolge, die schon in den Anfangszeilen „Geh in die Knie. Und wackle mit den Hüften. Klatsch in die Hände. Und tanz den Mussolini. Tanz den Mussolini! Und jetzt den Adolf Hitler. Beweg Deinen Hintern. Und tanz den Jesus Christus.“ den Künstler bis hin zur Ekstase hoch katapultiert. Wie rasend wirft er die in Reihe auf der Bühne stehenden Skelette um oder gar auf das Dach des Eisernen Kreuzes. Es fliegen Puppen und Gegenstände wild durcheinander und letzten Endes reißt Meese sich seine Jacken und sein Shirt vom Leib und malt mit schwarzem Stift das Eiserne Kreuz auf seinen Oberkörper. Er hat tausende von Ideen im Kopf, die sich wie ekstatisch Raum verschaffen wollen. Man bekommt den Eindruck, als wäre der Künstler partiell nur das Medium seiner in ihm sitzenden Kreativität.

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Der Künstler findet auf wundersame Weise immer wieder neue Interessenpole für das Publikum und schließlich setzt er mit flammender Rede zur „hermetischen Revolution“ an. Fernab der Norm und der Realität kreiert Meese in dieser Performance sein eigenes Universum und seine energisch aufgestellte These „In der Kunst haben wir anmaßend zu sein, aber nicht in unserer Realität“ zieht sich wie ein roter Faden durch eine zweistündige, atemberaubende Aktion. Daneben ist Meese nun stark an der gleichfalls Titel gebenden „hermetischen Revolution“ gelegen und er konstatiert für die gegenwärtige Gesellschaft: „Wer retten will, vernichtet, wer neutral ist, will nichts.“ Er also will neutral sein, denn die Zauberworte der Zukunft seien Neutralität und Hermetik.

Rassismus der Zukunft, sei kein Rassismus mehr gegen Menschen, sondern gegen Außerirdische, Tiere und die Natur. Wichtig ist für ihn, dass eine Meinung nie zum Gesetz erhoben werden darf, denn „der Kunst ist die Meinung scheißegal“, weshalb sie ja gerade schön sei. Auch sei der Kunst gleichgültig, ob er (Meese) nun ein guter oder schlechter Mensch sei, schließlich schöpft sich alles ja aus einem hermetischen Zustand. Wie aber nun wird man Hermetiker? Meese gibt gleich die Lösung dazu: „Wenn ihr durch das Tal der Liederlichkeit geht, dann seid ihr Freunde der Hermetik.“

Neben den in der Bühnenausstattung festgehaltenen Assoziationen zu allen erdenklichen Macht-Menschen, Mythen und Geistesgrößen der Historie, finden sich auch Spuren von Stars und Sternchen der Popkultur oder Helden aus Sience Fiction und Spielfilmen. Meese ist beeinflusst und beeindruckt von Menschen wie Caligula und Nero, zu deren Personen er mit Bedauern feststellt: „Hätte man sie nur gewähren lassen! Aber nein – die Befindlichkeit.“ Darüber hinaus ist die Rede von Balthus und Dr. No, um nur einige Personen und Figuren zu nennen, denen Meese einen neuen Bedeutungszusammenhang schafft, wobei er aber bewusst die Konventionen überschreiten und seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt.

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Als es dem Ende zugeht, fordert Meese immer wieder das Lied „Tanz den Mussolini“ der Gruppe DAF zu spielen, und stets auf Neue wird der Künstler aufgeputscht und setzt zu seinem energetischen „Tanz“ an. Letztlich aber musste es doch ein Ende finden und Meese, auf einem Korbstuhl auf dem Dach des Eisernen Kreuze sitzend, erhält rasenden Applaus und ein Zuschauer ruft ein lautes, wohlverdientes „Danke“ dem imposanten Künstler entgegen.

Da sich der Künstler nun erneut bereit erklärt hat, auch noch eine dritte Performance in den Deichtorhallen zu machen, so sei an dieser Stelle eine Empfehlung zu einem Besuch gegeben. Denn der Besucher wird – vielleicht nach anfänglichem Befremden – erkennen, dass hier ein junger Mensch am Werk ist, dem nicht alles egal ist, sondern der sich in seiner Kunst frei geschwommen hat und mit aller Schärfe gesellschaftliche Defizite aufgreift und verarbeitet!

 

Weitere Informationen

 

Eine weitere Performance findet am 29. August 2006, ab 20 Uhr in den Deichtorhalle statt:

„FRÄULEIN OVERKILLI’S TANZBODEN, rattenscharf, klarmachen (DAS hermetische DUELL des NUGGET-JIM de Gong und DR. BILLY the KIDADDY am Ealge-TAIL von Sherif ´Marshall-DIRN´ (nach’ dem SPINNENTEAFOREST MAMMUTUS 1912))

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