Ausstellungsbesprechungen

José Antonio Hernández-Díez – I will fear no evil, MACBA Barcelona, bis 26. Juni 2016

Ein Panorama zahlreicher Albtraumvisionen entfaltet der Venezuelaner José Antonio Hernández-Díez in seiner ersten Einzelausstellung in Barcelona. Was auf den ersten Blick wie der blanke Horror erscheint, weist aber zahlreiche Bezüge zu christlichen Bildtraditionen auf und holt sie in die Gegenwart. Karin Ego-Gaal hat sich die Schau angesehen.

Die Begegnung mit Straßenkindern, die um ihr Leben kämpfen; ein menschliches Herz, das in einem kreuzartigen Behälter schlägt; ein ausgestopfter Hund, dessen Geschichte berührt und ein Miniaturgrab, das die schlimmsten Vorstellungen von lebendig begrabenen Kindern hervorruft, lassen die Emotionen gefrieren. Die Betrachtung der brillant ausgearbeiteten Video-Kunstwerke, die exzellente Technik und die grandiose Inszenierung seiner Werke bestätigen, dass Antonio Hernandez-Diez (geb. 1964), der Künstler der Ausstellung »I will fear no evil« im MACBAC, ein Mensch mit vielen Talenten ist und mithilfe seiner Kunstwerke Geschichten erzählt, die unter die Haut gehen und an das Bewusstsein der menschlichen Instinkte appellieren.

Die Ausstellung umfasst seine frühen experimentellen Videoarbeiten sowie Werke der späten 80er und frühen 90er Jahre. Im Fokus steht eine neue christliche Ikonografie, in der Tod, Bewusstsein und Auferstehung durch eine Serie von Arbeiten visuell und emotional präsent werden.

Inspiriert von der Ballade »Annabel Lee« (1988) des Schriftstellers Edgar Allen Poe, der vor allem für seine Mysterium- und Horrorgeschichten bekannt war, führt die Installation den Betrachter an den Ursprung der Taphephobie, die Angst davor, lebendig begraben zu sein. Eigens dafür kreierte Hernandez-Diez einen Querschnitt eines Miniaturgrabes inklusive Grabstein und Blumenkranz. Unter der Erde jedoch, auf einer Videoaufnahme, ist ein Kind zu erkennen, das sich wie in Trance zu bewegen scheint und die Annahme, lebendig begraben zu sein, bestärkt.

Illusionen und Spezialeffekte dominieren ebenso sein Werk »Houdini« (1989). Auf einem Fernsehbildschirm, eingetaucht in einem Wassertank, ist ein Video zu sehen, in dem der Künstler den bekannten Unterwasser-Entfesselungstrick des bekannten Magiers Houdini vorführt. Die Mythologie über Houdini und die ikonische Illusion besagt des Öfteren, dass der große Magier dabei gestorben sein soll. Das sich einprägende Bild von Hernandez-Diez in Ketten wie sein Vorbild Houdini entwickelt sich zu einem grausamen Selbstporträt, welches den Monitor als Foltergerät benutzt und das sich wiederholende Video als einen Mechanismus von unendlicher Ungewissheit.

Diese frühen Werke ließen viele seiner Bedenken erahnen, welche er in seinen ersten skulpturalen Arbeiten in den 1990ern vertiefte. Die Beziehung zwischen Aberglaube und Strenggläubigkeit, Anatomie und Technologie, heiligem Symbolismus und dem grenzüberschreitende Ort von Kindern und Tieren in einem frommen Bewusstsein, wird immer mehr zum Fokus seines Schaffens.

Unter den drei bedeutenden Werken, die seit seiner bahnbrechenden ersten großen Ausstellung 1991 in Caracas nicht mehr gezeigt wurde, findet sich auch »San Guinefort« (1991). Es ist das facettenreichste, bizarrste und provokativste Werk, welches auf die wohl zweifelhafte Begegnung von katholischer Geschichte und alter Tradition hinweist. Die hier dargestellte Geschichte wurde etwa 1260 aufgeschrieben und spielt in Frankreich. Ein Ritter und seine Ehefrau beauftragen ihren Hund Guinefort, ihr Baby zu beschützen und zu bewachen. Als sie zurückkommen, finden sie eine leere Wiege vor und einen blutverschmierten Hund. Sie töten ihn sofort in der Annahme, dass er ihr Kind umgebracht hat. Der Irrtum wird aber schnell aufgedeckt, denn der treue Hund hat das Kind vor einer Schlange beschützt. Guinefort wir schließlich im Wald vergraben, doch als die Menschen der Umgebung von seinem märtyrerhaften Tod erfahren, glauben sie an seine Kraft, Kinder zu beschützen und bringen ihre kranken Kinder zu seinem Grab. Hernandez-Diez setzt diese Geschichte auf seine Art und Weise um und schafft damit eine neue christliche Ikonografie. Ein ausgestopfter schlafender Hund liegt in einer Glasvitrine, an der lange schwarze Gummihandschuhe befestigt sind. Die Assoziation der isolierten Kammer mit der medizinischen Wissenschaft liegt nahe; verstärkt durch die Handschuhe, welche normalerweise in der Medizin als Schutz verwendet werden.

Die Verbindung von medizinischer Technologie und christlicher Theologie vereint der Künstler auch in der Installation »Sagrado Corazon activo« (1991). Ein schlagendes Herz treibt in einem mit Flüssigkeit gefüllten, transparenten, kreuzförmigen Behälter; es ist an einem lebenserhaltenden, medizinischen Gerät angeschlossen, welches den Herzschlag ermöglicht. Das instinktive Werk beschäftigt sich mit der Verehrung des Herzens von Jesus Christus im katholischen Glauben und ist ebenso Schlüsselpunkt unterschiedlicher Theologien. In der heutigen Zeit liegt der Gedanke an Organe und deren Transplantation nahe; ein Prozess, welcher die medizinische Innovation sowie auch den christlichen Gedanken und Glauben bei der Spende eines Organs fordert.

Gleich am Eingang sowie Ende der Ausstellung konfrontiert der Künstler die Besucher mit zwei sehr emotionalen Werken. In »La Caja« (The Box, 1991) erscheinen Bilder von Straßenkindern in Caracas und Bogota, die von der Gesellschaft verstoßen und als Untermenschen bezeichnet, weit entfernt von jeglichem Schutz der Gesetze leben. Hernadez-Diez erinnert an die soziale Ungerechtigkeit, die in vielen Teilen unserer Erde herrscht. Die Video-Illusion von »Vas pa’l cielo y vas llorando« (You’re going to heaven and you’re crying, 1992) zeigt das Aufwachen der kleinen Engel; die Seelen der Kinder, welche vom Grab zum Himmel aufsteigen. Die Interpretation der katholischen Kirche sowohl als auch der Glaube an die ueberirdische Kraft vereinen sich in der Ideologie, dass Kinder, die sterben, zu Engeln werden und daher nicht weinen sollen, sondern jubeln.

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