Buchrezensionen

Joseph Leo Koerner: Die Reformation des Bildes, C.H. Beck 2017

Dem Wandel der Auffassung von der Bedeutung alles Bildlichen im Protestantismus der frühesten Zeit geht der amerikanische Kunsthistoriker Joseph Leo Koerner in einer umfangreichen Studie nach, die Stefan Diebitz gelesen hat.

Jeder Kirchenbesuch macht es deutlich, dass Katholiken und Protestanten eine ganz andere Auffassung von der Bedeutung alles Bildlichen besitzen. Es ist eine Differenz, die sich bis heute selbst bei wenig oder überhaupt nicht religiösen Menschen erhalten hat und ihr Verhältnis zu Kunst wie Architektur (mit-) bestimmt.

Seit seinen ersten Anfängen stand der Protestantismus nicht allein Marienbildnissen und Heiligenverehrung ablehnend gegenüber, sondern wies auch sonst den Bildern aller Art eine andere, viel weniger bedeutende Rolle und Funktion zu. Für Luther war Christi Reich »ein hör Reich, nicht ein sehe Reich«, wie es in seiner Schrift »Über Bilderbücher« heißt. Dem Reformator kam es also auf das Wort an, nicht auf das Bild. Er selbst nahm noch eine tolerante Position ein, akzeptierte also auch in Kirchen Gemälde und vor allem das Kruzifix, aber manche seiner Weggefährten waren viel strenger, und so war der Aufstieg des Protestantismus immer wieder von ikonoklastischen Aktionen (Bildzerstörungen) begleitet, wohl ein erstes Mal in Wittenberg selbst.

In seiner grundgelehrten Studie geht Koerner dem Selbstverständnis des Protestantismus in seiner Gründungsphase nach, und notwendigerweise muss der Leser neben sozial- und kulturgeschichtlichen Problemen auch theologischen Fragen ein gewisses Interesse entgegenbringen. Schon dass der dritte von drei großen Teilen »Das Sakrament« überschrieben ist, weist auf die Bedeutung der Theologie für das Thema; und in diesem Teil steht dann auch wirklich die religiöse Praxis im Mittelpunkt, und es werden auf sehr kenntnisreiche und subtile Weise Fragen diskutiert, die für Kunsthistoriker nur bedingt von Interesse sind.

Zielpunkt von Koerners Argumentation ist das Werk von Lucas Cranach, schon dank seiner großen Nähe, ja Freundschaft zu Luther der protestantische Maler schlechthin; insbesondere der »Reformationsaltar« der Wittenberger Stadtkirche, vermutlich das Epitaph des Reformators, wird von Koerner im Hinblick auf die Bedeutung des Wortes und die Praxis des protestantischen Gottesdienstes durchdekliniert. Der obere Teil des Werkes wird allerdings erst im dritten Teil – eben mit Blick auf die seelsorgerische Praxis – vorgestellt und interpretiert; zunächst gilt das Interesse allein dem unteren Teil, der Predella.

Dieser Altar ist das Werk, das fünfundzwanzig Jahre, nachdem die Kirche 1522 »gereinigt« worden war, aufgestellt wurde. Mit »Reinigung«, einem Euphemismus für Bildzerstörung, hat Koerner den ersten von drei Teilen seiner Arbeit überschrieben, in dem er im Rückgriff auf eine beeindruckende Zahl von Quellen aller möglichen Art den geistes- und religionsgeschichtlichen Hintergrund des Reformationsaltars schildert, also vor allem die Auseinandersetzungen über die Bedeutung des Wortes und des Bildes zu Beginn der Reformation sorgfältig nachzeichnet. Deshalb kann oder sollte man statt von einem kunsthistorischen Buch besser von einer kulturgeschichtlichen Studie mit dem Schwerpunkt auf Kunst- und Religionsgeschichte sprechen, der wahrscheinlich für die religiösen Bilder Cranachs der Status eines Standardwerks zugesprochen werden wird.

An der Zerstörung des Schmucks der Stadtkirche war wesentlich Andreas Bodenstein von Karlstadt beteiligt, der Luther in der Zeit von dessen Abwesenheit als Prediger vertrat und sich in seiner Schrift »Von abtuhung der Bylder« für eine radikale Zerstörung der Kircheneinrichtungen ausgesprochen hatte. Aber schon bald darauf sah er sich von Luther bekämpft und von dem wie immer unversöhnlichen Reformator auch aus anderen Pfarrstellen vertrieben. In Wittenberg aber stellte ein Vierteljahrhundert später die Gemeinde anstelle des zerstörten gotischen Retabels »erneut ein Bild auf: eines, das den Ikonoklasmus verwirft, der ihm Raum gab – das unhintergehbare Kruzifix des Herzens.« Die minuziöse Auslegung der Predella, nicht etwa des ganzen Werks, ist das Thema des zweiten Teils, der bezeichnenderweise mit »Das Wort« überschrieben ist.

Das Altarbild verwirft den Ikonoklasmus, weil es ja schließlich selbst ein Bild ist; aber ohne die Zerstörung seines Vorgängers hätte es diese Darstellung der Wittenberger Gemeinde und ihres Predigers niemals gegeben, und so gab ihr der Ikonoklasmus in den Worten Koerners erst den Raum. Dieses Bild ist das auf dem Umschlag abgebildete »Luther predigt der Wittenberger Gemeinde«. Links auf dem Bild ist die Gemeinde zu sehen, rechts predigt Luther auf der Kanzel, die rechte Hand ausgestreckt. In der Mitte aber, dem Betrachter entgegenschauend, steht das Kruzifix, das also der Gemeinde wie Luther die Seite zukehrt. Eigentlich ist es ein kaltes und verhältnismäßig leeres Bild, denn in ihm nehmen ja die kahlen Wände der entbilderten Kirche einen großen Raum ein, wogegen das Figurative zumindest in der Mitte weitgehend eliminiert wurde.

Die erste Gesamtausgabe der Bibel zeigte 1534 auf der ersten Seite seines Evangeliums Lukas, den Patron der Maler, an seinem Zeichen-, Mal- und Schreibtisch, und draußen vor dem Fenster kann man ein Kruzifix sehen, »das vorrangige Ziel ikonoklastischer Zerstörungswut«. Luther schrieb in seiner Antwort auf Karlstadt, dass man sich Christus gar nicht anders als in diesem Bild vorstellen könne, und bereits deshalb darf man davon ausgehen, dass die Abbildung des Evangelisten mit dem Kruzifix vor dem Fenster mit den Überlegungen des Reformators unbedingt übereinstimmt, wenn die Konzeption auch dieses Holzstiches nicht sogar auf Luther selbst zurückgeht.

Koerners Ausdeutung der Wittenberger Predella beginnt mit einer genauen Analyse des dargestellten Raumes, der schon fast illusionistisch den wirklichen Kirchenraum der Stadtkirche fortzusetzen scheint und mit seinen von Bildern und jedem Schmuck entblößten Wänden die Kahlheit der gereinigten Kirche so wiedergibt, wie es auch einige der Holzstiche in der ersten Gesamtausgabe der Bibel tun – dort werden besonders die Synagogen des Alten Testaments derart kahl vorgestellt. Im Werk Cranachs schaut man auf nackte Steinquadern und auf einen gefliesten Boden.

Als einen Grundzug der lutherischen Kunst bezeichnet Koerner den Verzicht auf die Darstellung Gottes. Luther Gottesvorstellung ist der »deus absconditus«, der verborgene Gott, der bereits die Theologie des Kusaners bestimmt und mit dessen Idee es sich nicht vereinbaren lässt, dass das Bild dem Gläubigen eine transzendente Welt vorgaukelt. Wörtlich spricht Koerner deshalb von der »Blindheit des Glaubens«. Das Kruzifix des protestantischen Malers Cranach bezeichnet er mit einem Ausdruck des Klassikers der modernen Logik, Gottlob Frege, als »Zeichen eines Zeichens« und will damit sagen, dass es etwas ist, das »verstanden und geglaubt werden kann, ohne dass es der eigenen Erfahrung entspricht.« So erklärt sich die wenig ansprechende, sogar frostige Kahlheit der Wittenberger Predella.

Der frühe und also vorprotestantische Cranach hatte noch anders gemalt, nämlich das Geschehen um den Kreuzestod mit der Hilfe vieler lebensvoller Details so gestaltet, dass der Betrachter selbst Teil des Geschehens werden kann. Bedeutet das, dass der protestantische Cranach wirklich ein kaltes Wissen malt? Zumindest verzichtet er, so die Analyse von Koerner, in seinem Spätwerk auf die Evokation eines Erlebens. Das einsam aufragende Kruzifix ist das betont irreale Zeichen für den »verborgenen Gott«, und das flatternde Lendentuch in der unbewegten Luft der Kirche steht für diese Irrealität. Um das Kruzifx auf sein Dasein als Zeichen zu reduzieren, blendet Cranach zusätzlich alles Zufällige und Nebensächliche aus, so dass das Kruzifix nackt auf den Steinen des Kirchenbodens steht. Schon eingangs seines Werkes schreibt Koerner: »Das lutherische Kruzifix ist Ikone und Ikonoklasmus zugleich«; es »bekräftigt mit bildnerischen Mitteln, dass das, was es zeigt, anderswo und unsichtbar ist.«

Für Luther stand immer das Wort im Mittelpunkt – diese Bedeutung des Wortes auch für die Bilder zeigt Koerner auf zahlreichen Holzstichen der Zeit auf, keinesfalls nur auf den Gemälden Cranachs. Aber ist Koerners Terminologie hier passend? Er spricht von »Information« und »Kommunikation« und einmal sogar in der Terminologie der Linguistik John Longshaw Austins von einem »Sprechakt«, und das sind zunächst einmal sehr blasse und dazu technische Ausdrücke für die Beziehung zwischen dem Prediger und seiner Gemeinde oder auch für den Aufenthalt der Gläubigen in der Kirche im Angesicht des Kreuzes. Warum spricht er nicht wenigstens von der »Lehre«, warum wird sein Wortschatz der Gefühlswelt der Gläubigen so wenig gerecht? »Information« ist eine Vokabel, die jede Emotionalität ausschließt, und dieser Ausschluss entsprach niemals, auch nicht in seinen Anfangszeiten, der Realität des Protestantismus. Hätte Luther zustimmend genickt, wenn man ihm unterstellt hätte, er mache seine Gemeinde mit Informationen bekannt? Koerners in diesem Punkt stark von der Linguistik beeinflusste Terminologie – er kennt sogar eine »moralische Codierung« – scheint der Thematik keinesfalls angemessen und entspricht nicht dem übrigen Niveau seiner Darstellung.

Im dritten Teil, der nicht allein die theologischen Implikationen vieler Bilder bespricht, sondern auch sozialgeschichtliche Aspekte behandelt, wird die innere Gliederung protestantischer Gotteshäuser vorgestellt – mit Ergebnissen, die selbstverständlich von der soziologischen Analyse der Reformation beeinflusst sind und auch wirklich alle Vorurteile bestätigen können. Koerner kann nämlich zeigen, dass »die lutherische Konfession einen sozial streng gegliederten Raum sanktionierte und manipulierte und auch davon profitierte. […] Da die Menschen den Wunsch hatten, sich in dieser Welt dadurch auszuzeichnen, dass sie über oder vor ihrem Nachbarn saßen, flossen einer Kirche, die doch die Belanglosigkeit solcher Unterschiede predigte, durch die Verpachtung der Stühle bedeutende Geldmittel zu.« Damit spricht er den Umstand an, dass manche Stühle in der ersten Reihe so hoch waren, dass die Gläubigen dahinter kaum noch etwas sahen – ein weiterer, ziemlich profaner Grund für die Bedeutung des Wortes. Als Beispiel für eine solche Praxis stellt Koerner den vielleicht ersten protestantischen Kirchenbau vor, die Schlosskirche Torgau, und deutet die Aufstellung der Gottesdienstbesucher als »verbindliches Diagramm der ständischen Ordnung.«

Was in diesem Buch vollkommen fehlt, was aber sicherlich auch seine Grenzen gesprengt hätte, ist der Vergleich mit der Renaissancekunst Italiens oder auch Süddeutschlands, der sich insbesondere bei der Analyse des gemalten wie des umbauten Raums aufdrängt. Bei der Deutung verschiedener Gemälde hätte der Autor zum Beispiel auf die Probleme des dargestellten Raums im Werk Altdorfers anknüpfen können, der ja in mehreren Bildern mit der Perspektive kämpfte und zu originellen Lösungen fand – nicht allein in seiner »Alexanderschlacht«, sondern auch in anderen Bildern, zum Beispiel in der »Mariengeburt«, in der er einen spektakulären Kirchenraum darstellt. Im Werk Cranachs gibt es nichts Entsprechendes. Das hängt wohl zunächst mit der Leere vieler Bilder zusammen, zusätzlich mit der Bedeutung des Wortes, die Koerner nicht allein in der Predella des Wittenberger Altars aufzeigt, sondern auch in zahlreichen anderen Werken. Es ist immer wieder ein »sprachlich dominiertes Geschehen«, und zusätzlich werden »die meisten der in diesem Buch erörterten Kunstwerke« als »visuelle Äquivalente von Bekenntnisschriften« interpretiert, so dass rein gestalterische Fragen in aller Regel gar nicht beachtet oder bestenfalls beiläufig angesprochen werden.

Koerner veröffentlichte sein zweites großes Buch 1990 über Caspar David Friedrich, und Vorwort und Epilog dieses Werkes – das amerikanische Original erschien bereits 2004 – werden von Überlegungen zu den Bildern Friedrichs als eines eminent protestantischen Künstlers eingerahmt. Es ist Koerner darum zu tun, den Zusammenhang von äußerer Leere und Innerlichkeit darzulegen, also zu zeigen, dass aus der Sicht des Künstlers das Bild nicht mehr sein sollte als lediglich der Anlass zu einer Hinwendung zu sich selbst und einem religiösen Erlebnis. Das Vorwort bespricht »Das Kreuz im Gebirge« – ohne seinen Rahmen, wie Koerner betont, nicht mehr als ein einfaches Landschaftsgemälde –, der Epilog ein Aquarell aus der Hamburger Kunsthalle, »Klosterruine auf dem Oybin«. Besonders schön finde ich die Beobachtung, dass auf dem Aquarell »die drei länglichen Spitzbogenfenster […] wie die Silhouetten von Heiligenfiguren« wirken. Vielleicht hätte er auch sagen können, dass der Maler drei Nischen vor uns hingestellt hat und es nun der Phantasie des Betrachters überlässt, sie mit Figuren zu füllen.

Koerners Buch ist ein auffallend gedanken- und perspektivenreiches Werk, das zwar in extenso theologische und religionsgeschichtliche Probleme behandelt, aber darüber die Darstellung anderer Aspekte nicht vergisst. Auch die Sozialgeschichte spielt eine Rolle; oder der Autor spricht die erstaunliche Anzahl von Fürstenporträts an, die Cranach auf Anfrage in großer Menge auf den Markt warf. Das führte, wie Koerner mit Max Weber feststellt, zu einer »Veralltäglichung des Charismas«. Vielleicht galt dies noch mehr für die zahllosen Pastorenporträts in deutschen Kirchen. Hier verschwimme, so Koerner, »oftmals die Grenze zwischen Vorbildhaftigkeit und Hagiographie.« An einer anderen Stelle fragt er, welche Rolle »die bildliche und die rechtliche Repräsentation in einer Religion ohne Repräsentanten [spielte], in der das, worauf es ankam, nicht vermittelt, sondern innerlich und privat war?« Allerdings, so scheint es mir, ist heute das Hagiographische ganz verschwunden, wenn man vor den alten Grabdenkmälern steht, und es überwiegt der Eindruck einer sehr ehrenwerten Gedächtniskunst; vielen Norddeutschen scheinen die protestantischen Kirchen ihrer Heimat deshalb ernster und nachdenklicher als die ihnen zu bunten oder zu prachtvollen Kirchen des katholischen Südens.

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