Buchrezensionen

Judith Venjakob: Der Hexenflug in der frühneuzeitlichen Druckgrafik. Entstehung, Rezeption und Symbolik eines Bildtypus, Imhof Verlag 2017

In der Gegenwart sehen wir Hexen zwiespältig: mal sind sie Horrorgestalten, die Film- und Buchprotagonisten bedrohen, ein anderes Mal reizende kleine Mädchen, die unsere Kinder mit ihren Abenteuern erfreuen. Kern des Bildes ist aber scheinbar stets der Hexenbesen, jenes Fluggerät, mit dem die gute oder böse Hexe zum Sabbat fliegen kann. In ihrer Dissertation hat Judith Venjakob die Grundlagen dieses Bildes untersucht. Robert Bauernfeind hat ihre anregende Arbeit gelesen.

Um 1400 mehrten sich im Gebiet des ehemaligen Herzogtums Savoyens von Inquisitoren des Dominikanerordens geführte Prozesse, deren Ablauf die Bestandteile eines neuen »Superverbrechens« definierte: Den Angeklagten wurde zur Last gelegt, mit dem Teufel zu buhlen und zu paktieren, Schadenzauber auszuüben und durch die Lüfte zu fliegen, um zu geheimen Zusammenkünften zu gelangen. Die Verbindung dieser Untaten übertraf in ihrer Gottlosigkeit alle bisherigen, von der Kirche verfolgten Formen der Ketzerei wie die der Katharer und Waldenser und konturierte im – von der heutigen Forschung als elaboriert definierten – Hexenbegriff ein angebliches Verbrechen, dessen Verfolgung bekanntlich zu den destruktivsten Phänomenen der Frühen Neuzeit zählten sollte. Hatten bereits mittelalterliche Texte des Kirchenrechts wie der Canon Episcopi bestimmte magische Praktiken als Residuen heidnischer Verblendung kritisiert, so gaben die immer öfter erhobenen Hexenvorwürfe im 15. Jahrhundert Anlass zu zwei Schriften, die das neuzeitliche Hexenbild bis ins 18. Jahrhundert fixierten: Im »Malleus maleficarum«, dem »Hexenhammer«, formulierte 1486 der Dominikaner Heinrich Institutoris mit unerbittlicher Härte eine Rechtfertigung der Verfolgungen. Zwei Jahre später folgte der Traktat »De lamiis et phitonicis mulieribus« des Ulrich Molitor, der zwar Zweifel an der Realität der einzelnen Vorwürfe anbrachte, aber nichtsdestoweniger den Feuertod für die Hexen forderte, da sie sich jedenfalls von Gott abgewendet hätten. In der Verschärfung des Prozesses um die peinliche Befragung und des Strafmaßes um den Tod auf dem Scheiterhaufen unterschieden sich die neuzeitlichen Hexenverfolgungen von den vergleichsweise milden Ahndungen des Mittelalters (Exkommunikation).

Molitors Abhandlung ist kulturgeschichtlich auch insofern relevant geworden, als sie im Gegensatz zum Hexenhammer illustriert war; die in mehreren Fassungen erhaltenen sechs Holzschnitte trugen wesentlich zu einer Ikonografie der Hexen bei, die sich in der Frühen Neuzeit in allen Bereichen der Bildproduktion verbreiten sollte. Albrecht Dürer beschäftigte sich mit dem Hexenthema bekanntlich ebenso wie seine Zeitgenossen Hans Baldung Grien, Albrecht Altdorfer und Lucas Cranach; in der Malerei des flämischen Barock schufen u.a. Frans Francken und David Teniers detailreiche Hexenbilder.

Hauptsächlich von Nachbardisziplinen wie der Kulturgeschichte und Ethnologie erforscht, hat sich auch die Kunstgeschichte unter überwiegend ikonologischen Fragestellungen des Hexenthemas angenommen, spielte doch das Bild in der Konstruktion und Vermittlung des »Wissens« über Hexen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Zu nennen ist hier Sigrid Schades Dissertation, die, unter dem Titel »Schadenzauber und die Magie des Körpers« 1983 veröffentlicht, nach dem bildlichen Konstrukt des (weiblichen) Körpers in Hexendarstellungen des 15. und 16. Jahrhunderts fragt, außerdem Jane P. Davidsons Überblick über »Hexen in der nordeuropäischen Kunst. 1470 – 1750« von 1988 sowie Charles Zikas Monografie »The appearance of witchcraft. Print and visual culture in sixteenth century Europe« von 2007, die nach der visuellen Umsetzung des neuartigen Verbrechens in der frühneuzeitlichen Druckgrafik fragt. Zahlreiche Ausstellungen haben den »Hexenwahn« der Frühen Neuzeit in interdisziplinären Ansätzen beleuchtet, darunter in Berlin (2002) und Speyer (2009). Judith Venjakobs Dissertation fokussiert nun ein besonderes Motiv der Hexenikonografie in der Druckgrafik; in Hinsicht auf den elaborierten Hexenbegriff lautet ihre These, dass der Flug das entscheidende Erkennungsmerkmal des Hexenbildes sei, dass die Darstellung fliegender Hexen in einer Vielzahl von Bildern als Spezifikum der Hexenikonografie erscheine (S. 13).

Venjakob prüft diese These in acht Kapiteln, deren erstes eine kurze Einführung in die Hexenforschung gibt (S. 23-32). Im zweiten erfolgt eine Annäherung an das eigentliche Thema über die Darstellung von Hexen in der spätmittelalterlichen Buchmalerei, zu der die ältesten erhaltenen Hexenbilder zählen, zwei fliegende Hexen in einer »Le Champion des Dames«-Handschrift von 1451, außerdem die ältesten Darstellungen eines Sabbats in Jean Tainctures »Traité du crisme de vauderie«, entstanden um 1460 (S. 49-84). Das dritte Kapitel eröffnet dann die Ausführungen zur Druckgrafik, indem es die Illustrationen zu Molitors Traktat als grundlegend für die weitere Ikonografie vorstellt, blieben doch die früheren Handschriften einem elitären Rezipientenkreis vorbehalten, während Molitors Buch nicht zuletzt wegen seiner Ausstattung mit Bildern weit verbreitet wurde (S. 85-122). Die folgenden Kapitel sind nach Motiven gegliedert. So behandelt Kapitel 5 den Hexenflug auf einem Ziegenbock (S. 123-166), wobei Dürers Kupferstich »Die Hexe« sowie Hans Schäuffeleins Illustration zum »Layenspiegel« des Ulrich Tengler im Zentrum stehen. Kapitel 6 thematisiert die Zubereitung der Flugsalbe ausgehend von einer Illustration zu »Die Emeis« des Johann Geiler von Kaysersberg sowie von zwei Holzschnitten, die auf dessen Grundlage entstanden sind (S. 167-190). Kapitel 7 fokussiert den Flug auf einem Besen ausgehend von der Darstellung des Trierer Hexentanzplatzes auf einer Flugschrift (S. 191-220) und Kapitel 8 das Motiv des Sturzes während des Fluges, wobei eine auf Entwürfe Michael Herrs zurückgehende Flugschrift der Offizin Merian im Zentrum steht (S. 221-242). Alle vier Kapitel zeigen den Flug als wesentlichen ikonografischen Bestandteil der besprochenen Bilder auf. Ein resümierendes Kapitel schließt die Arbeit mit der Diskussion der Bilder als Evidenz stiftende Medien ab (S. 243-262).

Venjakobs zentrale These ist nicht nur insofern anregend, als sie einen spezifischen Begriff für die frühneuzeitliche Hexenikonografie stiftet, sondern auch in ihrer bildwissenschaftlichen Argumentation, der zufolge der bildlichen Darstellung des Hexenfluges eine entscheidende Bedeutung in den Hexendiskursen des 15. bis 18. Jahrhunderts zukam: Sie habe eine sinnliche Vorstellung einer angeblichen ketzerischen Praxis vermittelt, die im Textdiskurs nur vage dargestellt erschien und über deren Natur als reales Ereignis oder Illusion gestritten wurde. Insbesondere in der Ausbildung unterschiedlicher Typen des Hexenflugs habe das Bild damit eine den Texten gegenüber längst nicht nur illustrierende, sondern für die Verbreitung des Hexenstereotyps tragende Position eingenommen.

Die Arbeit gewinnt ihre Analysen zum einen aus der gründlichen Kenntnis der frühneuzeitlichen Hexenliteratur, auf deren Grundlage sie die Besonderheiten der bildlichen Darstellung des Hexenflugs in gewissenhaften Beschreibungen gegenüber den Texten präzise hervorzuheben vermag. Gerade aufgrund der exakten Zusammenführung von Bildbeschreibung und kritischer Kontextualisierung gelingt dabei auch eine durchgehend überzeugende Kritik des bisherigen Forschungsstands. Von der hohen Aufmerksamkeit, mit der das Material ausgebreitet wird, profitiert etwa die vollständige Gegenüberstellung der Illustrationen von sechs unterschiedlichen Ausgaben des Molitor-Traktats, die bis in scheinbar unbedeutende Randmotive erschlossen werden. Mitunter hätte die Deutungsfreude dabei ein wenig gezähmt werden können; so vermag zumindest der Rezensent etwa in der Nachtfahrt-Darstellung der Ulm/Konstanzer Molitor-Ausgabe nur mit Mühe anthropomorphe Wolkenkonstellationen oder einen Fischkopf als Felsen zu erkennen, die als Drolerien eine Interpretation des Bildes im Sinne der »Verkehrten Welt« zulassen sollen (vgl. S. 93) – möglich erscheint diese Deutung allerdings.

Positiv hervorzuheben ist auf formaler Ebene die konsequente Reflexion der eigenen Argumentation, die einerseits mit einer Vorgehensbeschreibung zu Beginn und einem Fazit nach jedem Kapitel durch den gesamten Argumentationsbogen führt, andererseits aber auch den »Quereinstieg« oder die Lektüre nur einzelner Kapitel erleichtert. Die Sprache mag dadurch an manchen Stellen spröde anmuten, verschafft allerdings auch eine angemessene Distanz zu einem Thema, dessen Geschichte in Europa – nebenbei erwähnt – etwa in der Popkultur verharmlost zu werden droht.

Nun zum Wermutstropfen: So anregend die Definition eines spezifischen Hexenbildes aus dem elaborierten Hexenbegriff auch ist, hätte sie noch von einer Differenzierung folglich unspezifischer Hexenbilder profitiert. So bietet die Arbeit zwar eine ausführliche Analyse von Dürers Kupferstich mit der auf einem Ziegenbock reitenden Hexe, erwähnt aber nicht den als »Lo Stregozzo« berühmt gewordenen Kupferstich von Marcantonio Raimondi und Agostino Veneziano, obwohl dieses Bild eine deutliche Orientierung an Dürers Hexenfigur aufweist, die hier allerdings nicht fliegt. Eine Differenzierung vom spezifischen Hexenbild hätte überdies die Interpretation anderer Bilder des Umfelds erhellen können, deren Deutungsgeschichte problematisch erscheint; zu erwähnen sind hier etwa Dürers sogenannte Vier Hexen, Hans Baldungs sogenannter »Behexter Stallknecht«, ferner Bilder einzelner Zauberpraktiken wie des Milchzaubers aus Geilers »Emeis«. Dies sind allerdings auch weiterführende Fragen, mit der sich die Forschung noch beschäftigen mag.

Neben einer klar geführten und einleuchtenden Argumentation verfügt das Buch – dies sei abschließend noch erwähnt – über eine sehr schöne Aufmachung, für deren Entwurf und Layout die Autorin verantwortlich zeichnet und die nicht nur die Abbildungen der Buchmalereien vor violettem Hintergrund zum Leuchten bringt, sondern auch in einer ausgesprochen sinnreichen Aufteilung die Druckgrafiken und ihre Vergleichsbilder wiedergibt.

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