Buchrezensionen, Rezensionen

Jürgen Krieger (Hg.): Daniel Lezama – Travelers, Jovis 2012

Was an den an sich düsteren, oft blutrünstigen Bildern des mexikanischen Künstlers Daniel Lezama fasziniert? Zum einen sind es die vielfältigen (kunst)historischen, literarischen und mythologischen Bezüge, zum anderen die Meisterschaft, mit der er seine Stoffe in Szene setzt. Rowena Fuß hat daher mit äußerstem Vergnügen durch die erste umfangreiche deutsch-englische Publikation zum Künstler geblättert.

Laut Legende befahl der Kriegs- und Sonnengott Huitzilopochtli einst den Azteken, an einem bestimmten Ort eine Stadt zu gründen. Dabei handelte es sich um eine Insel inmitten eines Sees. Ein göttlicher Adler, der dort auf einem Kaktus saß und eine Schlange zwischen Schnabel und Krallen festhielt, markierte die Stelle. Die Azteken nannten ihre Stadt Tenochtitlán - "Stadt des Ténoch" - nach einem legendären Anführer mit dem das Zeitalter der Aztekenkönige begann. Heute trägt sie den weniger klingenden Namen Mexiko-City.

Der mexikanische Künstler Daniel Lezama schöpft für seine Historienbilder der besonderen Art gern aus dem reichen Schatz an Mythen und Geschichten des Heimatlandes. Nun ist die Historie Mexikos ein Flickenteppich, dessen Fäden sich bis nach Europa, insbesondere Spanien, ziehen. Unter dem Titel »Travelers« taucht Lezama in den Zeitenstrom ein und widmet sich vordergründig Personen des 19. Jahrhunderts, deren Biografie oder Denkhorizont von der Begegnung mit der Neuen Welt geprägt wurden.

Zu Beginn erhascht der Leser erste Eindrücke dieser Reise durch Bildausschnitte von u.a. »Die große mexikanische Nacht« (2005), »Die verschwenderische Mutter« (2008) und »Weitere Reiseabenteuer in Yucatán« (2011). In dem anschließenden Interview und den vier Essays gelangt er zur Wurzel von Lezamas Bildprogramm. Sehr abwechslungsreich sind im Interview der deutsche und englische Part durch unterschiedliche Schriftgrößen separiert, Fragen und Antworten sind in Abstufungen der schwarzen Textfarbe gehalten.

Inhaltlich geht es um die Macht der Erzählung bzw. die Konstruktion von Realität, Wahrnehmungsgrenzen, Identität und die mexikanische Geschichte. Lezama stellt klar, dass die mexikanische Nation und ihre Identität auf dem Konflikt zwischen Auffassungen von Kultur, Schicksal, Natur, Fortschritt und Wohlergehen fußen. Seine Malerei versteht er als Reflexion über dieses Identitätsbewusstsein. Er will sich den Mythen – auch Identität ist für ihn ein imaginäres Konstrukt – durch die Malerei annähern. Dazu wünscht sich der Künstler einen aufmerksamen Beobachter, »mit offenem Herzen und dem Verlangen, weniger zu sehen und mehr zu träumen.« Was er möchte, ist, die Entfaltung eines visuellen Diskurses zu fördern – und zwar über das Leben, das große Thema seiner Werke. Lezama sieht sich als Mittler zwischen Zeiten und Kulturen. Dementsprechend folgt er etwa mit der Darstellung indigener Frauen und Männer keiner rassischen Typologie; ebenso wenig sind sie ein sozialer Kommentar.

Sein Selbstbildnis als Johann Moritz Rugendas, ein Augsburger Topograf, der im 19. Jahrhundert mehrere Jahre Mittel- und Südamerika bereiste, weist ihn als einen für die Vermittlerrolle geeigneten ortskundigen Kartografen aus. Einen Eindruck von der Arbeit des Künstlers im Atelier und im Gelände bekommt der Leser mittels einiger Fotografien im Kapitel »Die Welt des Daniel Lezama«. Denn Lezama fertigt gern Skizzen für seine Gemälde in der Umgebung Mexiko-Citys an.

Die handwerkliche Meisterschaft, mit der er schließlich zu Pinsel und Farbe greift, demonstriert »Das Haus von Juarez« (2009). Es zeigt den mexikanischen Staatsmann und größten Reformer des Landes Benito Juárez García (1806-1872) in der Pose der Freiheit aus Delacroix’ »Freiheit führt das Volk« (1830) über zwei toten Mexikanern. Einer ist von eisernen Stangen durchbohrt. Dem Zweiten, eine Frau, sieht man die Todesursache nicht gleich an. Allerdings fließt deutlich sichtbar ein Blutstrom aus ihrem Hinterkopf. Um die beiden trauert eine kniende, unbekleidete indigene Frau mit weit nach hinten geworfenem Kopf. Hinter Juarez befinden sich zwei Soldaten, die jedoch den Kopf zur Landschaft im Hintergrund des Gemäldes gewendet haben. Zwischen ihnen hockt eine ältere Frau mit Bischofsmütze – eine Allegorie der Kirche. Ihre Hände sind mit einem perlenbesetzten Rosenkranz zusammengebunden und verweisen auf die Reformgesetzte Juarez’. Dieser hatte um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Trennung von Kirche und Staat, Zivilehe, Religionsfreiheit und Aufhebung der Klöster durchgesetzt.

Juarez beigestellt ist ein kleiner grüner Junge, der auf einem Bücherstapel steht. Die versinnbildliche Zukunft Mexikos hält den rechten Arm des Staatsmannes umklammert und vertraut auf seine Führung und Leitung. Interessanterweise korrespondiert die Körperbemalung des Jungen mit der der beiden Toten: Er ist weiß, sie ist rot. Zusammen formen die drei die mexikanische Flagge. Hingewiesen sei außerdem auf deren Symbolkraft: Die grüne Farbe steht für die noch relativ junge Unabhängigkeit Mexikos (1861 – dem Antrittsjahr von Juarez' Präsidentschaft – waren es gerade 40 Jahre). Die weiße Farbe steht für den Tod der Väter, die die Unabhängigkeit errungen haben und die Lezama mit Hilfe der männlichen Leiche darstellt. Und die rote Farbe steht schließlich für die Vereinigung von spanischem und mexikanischem Blut zu einem neuen Ganzen. Es ist gedanklich nahe liegend, für die Geburtsthematik eine Frauendarstellung zu verwenden. Den »Allegorien der Fahne« ist übrigens auch ein eigenes Kapitel gewidmet. Alles in allem zeigt »Das Haus von Juarez«, dass die Entstehung des mexikanischen Nationalstaates Blut und Tränen sowie zahlreiche Reformen gekostet hat.

Immer wieder sind es unbekleidete Frauen, die von Schlangen umwickelt oder schwanger Elemente seiner Erzählungen bilden. In »Brief an Humboldt« (2009) bilden sie gar das Fundament der Darstellung: eine Hügelkette, sanft beschienen von den ersten Sonnenstrahlen, die sich durch dicke Wolken gekämpft haben. Mit »Der Ursprung der mexikanischen Malerei« (2003) erinnert Lezama nicht nur vom Titel, sondern auch von der Motivik her – es zeigt den Blick in den weiblichen Schambereich – an einen weiteren französischen Künstler, nämlich Gustave Courbet.

Seine Schöpfungen sind durchaus von einer gewissen Groteske gekennzeichnet, wie Harald Kunde in seinem Aufsatz »Schaubühnen der Imagination. Anmerkungen zum Bildprogramm von Daniel Lezema« bemerkt. Aufgrund der Inszenierung und magischen Aufladung von Realität bezeichnet Kunde den Künstler sogar als »transatlantischen Bruder von Neo Rauch«. Im Kapitel »Briefe aus weiter Ferne« wird überdies darauf verwiesen, dass die simultane Inszenierung von Ereignissen in Lezamas Bildern syntaktischen Erzählungen gleicht, wie sie in der Renaissance üblich waren. Die vielfach auftauchenden Schlangen stehen daher nicht nur für die eingangs geschilderte Gründungslegende von Mexiko-City, sondern auch für eine Übertragung von Wissen bzw. einen symbolischen Dialog in den Bildern. Eine alles in allem sehr spannend gestaltete (Seh-)Reise, die ich jedem wärmstens empfehlen möchte!

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