Buchrezensionen

Jürgen Obmann, Derk Wirtz, Philipp Groß: »Ruinirt euch, um Ruinen zu machen«. Antikisierende Ruinenarchitekturen in deutschen Gärten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, VDG Weimar 2016

Die Faszination für verfallene oder auch einfach nur alte Gebäude, für antike Tempel und vorzeitliche Grabhügel erreichte im 18. und frühen 19. Jahrhundert einen Höhepunkt. So entstanden in den Parks und Gärten Europas eigens entworfene Ruinen-Neubauten, die oftmals bekannte Architekturen imitierten oder wenigstens zitierten. Drei Archäologen präsentieren nun ihren Blick auf das Phänomen. Ulrike Schuster hat sich in das interessante Thema vertieft.

Sie zählen zweifelsohne zu den eigenwilligsten Schöpfungen der europäischen Gartenarchitektur: künstliche Ruinen, errichtet als Sinnbilder der Vergänglichkeit oder als Erinnerung an versunkene Zeiten. Ihnen ist die vorliegende Publikation gewidmet, es handelt sich dabei um den neuesten Band der Mitteilungen der Pückler-Gesellschaft e.V. Berlin. Thematisch schließt er sich eng an einen Vorgängerband (Nr. 28, 2014), der sich mit Garten-Chinoiserien beschäftigte. Tatsächlich umfasst das Genre der kleinen Gartenarchitekturen, der sogenannten fabriques, ein weites Spektrum: Pavillons, Kioske und Schmuckbauten bevölkerten die Landschaftsgärten des Barocks und der nachfolgenden Epochen in mannigfaltigen Variationen und Ausführungen. Den Architekten jener Tage waren sie sicherlich eine willkommene, äußerst reizvolle Aufgabe und eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration, konnten sie dabei doch im kleinen Maßstab ihre kühnen Entwürfe für Größeres erproben.

Ein wesentliches Merkmal unterscheidet jedoch die Ruinenarchitektur von allen anderen Gattungen der fabriques, nämlich die inszenierte Komposition des Verfalls. Man setzte das Erscheinungsbild des Niedergangs mit künstlichen und künstlerischen Mitteln in Szene, durchaus mit großem Aufwand. Das Ziel war es, Emotionen im Betrachter zu erwecken, ein spezifisches »Ruinenerlebnis« zu vermitteln. Die Wurzeln des Phänomens verorten die Autoren im 16. Jahrhundert, die große Zeit der »Ruineneuphorie« lag jedoch zwischen 1740 und 1810. Bezüglich der Ruinen existierte wiederum ein breit gefächertes Spektrum an unterschiedlichen Stilen und Epochen, es gab mittelalterlich-gotische und solche aus »germanischer Vorzeit« – sogar Hügelgräber und Baumhaine. Am populärsten waren jedoch Ruinenbilder der Antike, vorzugsweise die Romruine.

Mit den Autoren Jürgen Obmann, Derk Wirtz und Philipp Groß kommen in diesem Zusammenhang drei klassische Archäologen zu Wort und erklären aus der Perspektive ihres Faches den Reiz der Kunstruine in einer Ära, die sich gerade anschickte, die Denkmäler des Altertums wissenschaftlich zu erforschen. Überhaupt ist das Thema voll der Paradoxe. Man entdeckte die Aura der malerischen Ruine, just zu einer Zeit, da die echten Ruinen zunehmend aus der Landschaft verschwanden. Der adelige Mäzen machte gerne von klassischen Denkmalformen Gebrauch, um seine umfassende Bildung unter Beweis zu stellen. Zu den Zeiten der obligaten Kavalierstour evozierten die ruinösen Gebilde insbesondere die Erinnerung an Rom. Dennoch handelte es sich bei den Ruinen im Gartenformat nicht um Stilkopien, sie waren Fantasiebauten, architektonische Capriccios. Sie sollten, wie es der Verfasser des Einleitungsteils trefflich ausdrückt, »die Idee von Rom zeigen, nicht die Ewige Stadt selbst.«

Gleichzeitig diente so manches Ruinenhäuschen (so wie die Mehrzahl der fabriques) durchaus praktischen Zwecken. Sie beherbergten u.a. Küchen, Abstellräume, Gewächshäuser oder Schuppen für Gartengeräte. Andere dienten als Eremitage, Schulhaus oder Gartenzimmer, als Brunnenprospekt oder kleine Theater. Einige der künstlichen Ruinen sind inzwischen längst schon wieder verschwunden, waren wohl nur als ephemere Bauten errichtet worden. Dieser Umstand reizte bereits die zeitgenössische Spottlust: »Man lasse nirgends Hunde laufen / sie möchten sonst den See aussaufen; / item darf niemand sich erkühnen / zu nah den bretternen Ruinen / und bei den papp’nen Sarkophagen / zu rauchen oder Feu’r zu schlagen«... witzelte Friedrich von Matthison über den sentimentalen Landschaftsgarten des Schlosses Bellevue. Auch Johann Wolfgang von Goethe, der bekanntlich ein großer Gartenfreund war, nahm sich des Themas an: »So verstecken wir zum Exempel / Einen Schweinestall hinter einem Tempel; / Und wieder ein Stall, versteht mich schon / Wird geradewegs ein Pantheon«...

Alphabetisch geordnet übermittelt der Katalogteil der Publikation einen profunden, durchaus vergnüglichen Überblick über die Ruinenanlagen in deutschen Parks in Gärten. Was beim Blättern durch diesen Baedeker der Seelenlandschaften am meisten verblüfft, sind die zahlreichen liebevollen Details, mit denen die Architekten des Klassizismus bemüht waren, den ruinenhaften Charakter ihrer Bauwerke zu unterstreichen. Sie sind in den großartigen Aufnahmen von Philipp Groß mit viel Gespür für das stimmungsvolle Ambiente von Architektur und Landschaft eingefangen. Die Baumeister der Ruinen vergaßen niemals die entsprechenden Verwitterungsspuren. Auf dem »Ruinenberg« von Sanssouci bei Potsdam beispielsweise lehnt sich ein Säulenstumpf, wie im Niedersinken begriffen, an die noch aufrecht stehende Front. Auf den »Drei Säulen vom Tempel des donnernden Jupiters« in Hohenheim bei Stuttgart ließ man gar Bäumchen aus der Mauerkrone wuchern. Die »Römische Ruine« im Schlosspark von Schönbrunn präsentiert sich, wie übrigens auch manche andere Ruinenkulissen, als wäre sie halb im Boden versunken. Dies war freilich der Eindruck, den die meisten archäologischen Stätten im 18. Jahrhundert in der Tat noch in situ boten. Gelegentlich wurden gar echte Spolien in die künstlichen Fragmente eingearbeitet.

Mit einiger Überraschung erfährt man schließlich, dass künstliche Ruinen heutzutage wieder ein Comeback erleben. Bausätze dafür sind mehr oder weniger wohlfeil in einigen Baumärkten zu erwerben. Worüber sich prompt bereits ein Blogger auf der Website noilich amüsierte: »Gibt es eine Gewährleistung für eine Ruine? Was ist, wenn ein Stein fehlt oder Mörtel? Wann ist die Ruine fertig? Kann eine Ruine überhaupt fertig werden?« ... Berechtigte Fragen, durchaus. Die Episode belegt nichtsdestoweniger, dass der Reiz der Ruinen offenbar zeitlos ist und Kenntnisse über diese besondere Bauform auch über Jahrhunderte weg nie ganz verschwanden: »Die künstliche Ruine als Spezialerscheinung«, so das Fazit der Verfasser, »hat sich in verschiedenen Erscheinungsformen als ungeheuer langlebig erwiesen.« Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

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