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Justin Paton: Machen Sie sich doch selbst ein Bild! Kunstbetrachtung aus einem anderen Blickwinkel, Benteli 2012

In der im Benteli Verlag erschienenen Publikation »Machen Sie sich doch selbst ein Bild!« stellt der neuseeländische Kunstkritiker Justin Paton auf erfrischend unkonventionelle Weise bekannte und weniger bekannte Werke vor. Dabei sorgen das fundierte Wissen und die mitreißende Entdeckungsfreude des Autors für pures Lesevergnügen. Eine Besprechung von Verena Paul.

Es sei vorweg gesagt: Dieser in 15 Kapitel unterteilte Essay Justin Patons geht dem Kunstbetrieb nicht auf den Leim, er verliert sich nicht in langatmigem Kunstgeschwafel und erhebt an keiner Stelle den Finger, um dozierende Ratschläge zu geben. Nein, all das ist zum Glück nicht geschehen! Stattdessen begegnen uns große Werke der Vergangenheit (etwa Caravaggios »Stillleben mit Früchten auf Steinsims«, ca. 1603) oder wir machen die Bekanntschaft mit relativ unbekannten, aber nicht minder beeindruckenden Arbeiten, wie dem Gemälde »Large Interior 173 (Nada)« (2005) der australischen Malerin Jude Rae. Dieses Werk, das durch die altmeisterliche Ausführung sowie das dargestellte Sujet an die niederländischen Interieurs des siebzehnten Jahrhunderts im Allgemeinen und die Malerei Jan Vermeers im Besonderen erinnert, wird genau unter die Lupe genommen, ohne es jedoch einer brachialen Sezierung zu unterziehen. Jene sublime Werkannäherung ist nur ein Beispiel dafür, wie der Autor den Leser animiert, das zu betrachten, was ihn – bisweilen aus unerklärlichen Gründen – fasziniert und anzieht. Schließlich sei es vor allem für den Kunstgenießer durchaus legitim, die Frage, warum man dieses oder jenes Gemälde präferiert, schlicht mit »Ich mag es einfach nur so.« zu beantworten.

Justin Patons Begeisterung für die Malerei, die primär in seinen pointierten Bildbeschreibungen spürbar wird, schwappt peu à peu zum Leser über, schärft dessen Wahrnehmung und sensibilisiert ihn für Details. Allerdings ist der Zauber auch nach eingehender Betrachtung zu wahren, denn Bilder »sollen erlebt und erkundet und im Laufe der Zeit erneut betrachtet, nicht enträtselt und dann einfach wieder sich selbst überlassen werden«, wie der Autor erklärt. Die Malerei sei »ein Reich bescheiden dimensionierter, stiller Objekte«, es sei eine »Welt, in der kleine Dinge groß werden, längst Verstorbene einem in die Augen blicken und eine Seifenblase seit zweihundertsiebzig Jahren zitternd darauf wartet, gleich zu zerplatzen. Und in guten Händen ist sie immer noch eine der besten Methoden, die wir haben, um die Welt mit neuen Augen zu sehen.«

Während der Besuche neuseeländischer Galerien lenkt Paton unseren Blick zielsicher auf markante Arbeiten, macht auf formale und inhaltliche Besonderheiten aufmerksam und reflektiert bei solchen Streifzügen immer wieder kritisch den gegenwärtigen Kunstbetrieb. Er hinterfragt die sogenannten »Blockbuster-Ausstellungen, die Meisterwerke als Publikumsmagneten präsentieren« und im Zuge dessen »den bedauerlichen Impuls« fördern, »große Werke nicht zu betrachten, sondern ›abzuhaken‹.« Für ihn aber sollen Museen Orte lebhafter Begegnungen sein, in denen diskutiert und gestritten wird, schließlich seien Wortgefechte »Musik in den Ohren jedes Museums.«

Justin Patons grandiose Liebeserklärung an die Malerei packt den Leser auf der ersten Seite, reißt ihn mit sich und entlässt ihn – bereichert und nachdenklich gestimmt – erst wieder mit dem Schlusssatz. Dies gelingt dem Autor nicht zuletzt durch eine Sprache, die präzise, anschaulich und auf eine unangestrengte Weise metaphorisch, bisweilen gar poetisch genannt werden darf.

Resümee: Die vom Benteli Verlag vorgelegte Publikation überzeugt durch einen wunderbar zu lesenden Text Justin Patons sowie 23 ihm zur Seite gestellte, qualitativ hochwertigen Farbabbildungen. Gedankenreiche und mit Fachwissen unterfütterte Bildbeschreibungen verbinden sich mit lebendig geschilderten Anekdoten und werden zu Garanten einer inspirierenden, perspektivschärfenden Lektüre. Aber ›machen Sie sich doch selbst ein Bild‹ – es lohnt sich!

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