Buchrezensionen

Kai Artinger: Jagd auf Westheims Sammlung, VDG Weimar 2014

Ein Ende der Diskussionen um NS-Raubkunst ist noch nicht in Sicht. Das Thema bleibt brisant, denn zahlreiche deutsche Sammler wurden ihrer Sammlungen beraubt. Dass dabei regelrechte Kriminalgeschichten entstanden, die auch noch die Nachwelt beschäftigten, beweist Kai Artinger mit seinem Buch. Stefanie Handke hat es gelesen und fühlte sich gut unterhalten.

Der Kritiker Paul Westheim und seine verschwundene Kunstsammlung beschäftigen bis heute die Gemüter und laden zu wildesten Spekulationen ein – oder eben dazu, eine spannende Geschichte darum zu spinnen. Mit seinem Krimi hat Kai Artinger das und noch ein bisschen mehr getan, denn er entspinnt eine spannende Geschichte um die Kunstwerke und erzählt zugleich vom Leben des jüdischen Kunstkritikers.

Doch erst einmal zur Geschichte: Die junge Wissenschaftlerin Susan Bell reist 1972 nach Berlin, um über Westheim zu arbeiten. Doch gleich am ersten Tag in Deutschland wird ihr das Programm für die nächsten Wochen vorgegeben: Am Flughafen gerät sie in eine Demonstration politisch engagierter Studenten, ein wenig vertrauenerweckender Taxifahrer nimmt sich ihrer an – und sie stolpert über eine Leiche! Obendrein lässt ihr Vermieter sie sitzen und die junge Amerikanerin muss denn doch bei ihrem kauzigen Großvater unterkommen. Die Hoffnung darauf, sich ganz ihrer Forschung widmen zu können, muss sie aufgeben, als weitere Morde und Diebstähle im Zusammenhang mit »ihrer« Leiche, einem Friedhofsgärtner, geschehen.

Denn auch, wenn sie am liebsten nur als Zeugin aussagen würde, Susan Bell kann gar nicht unbeteiligt bleiben: Immerhin ist ihr Großvater Gustaf Lüder Kommissar a.D. und pflegt einen engen Kontakt zu den ermittelnden Polizisten. (Auch die haben übrigens ihr Päckchen zu tragen, denn Kommissar Herwig Edfeld muss sich mit dem Gedanken anfreunden, schwer krank zu sein, und sein Kollege ist mit seinen langen Haaren nicht eben beliebt bei den Kollegen.) Und nicht zuletzt dürfen alle Beteiligten feststellen, dass das Forschungsprojekt der jungen Amerikanerin eng mit dem Fall verbunden ist: Denn überall in Berlin verschwinden Grafiken und Drucke, die vermutlich aus der in der NS-Zeit verschollenen Kunstsammlung Paul Westheims entstammen. Um die zu bekommen, geht der »Sammler« sogar über Leichen.

Also errichten Susan Bell, Gustav Lüder und der Kommissar Herwig Edfeld in der lüderschen Villa eine Art Denkerhauptqartier und ermitteln von hier aus. Während Susan in New York die ehemalige Vertraute Westheims observiert und in Mexiko City seine Witwe interviewt, überschlagen sich in Berlin die Ereignisse: Weitere Morde geschehen, weitere Bilder verschwinden. Nach und nach erst klärt sich das Bild: Der ermordete Friedhofsgärtner, Susans Leiche, muss im Besitz von zehn Bildern der ehemaligen westheimschen Sammlung gewesen sein! Die wollte der Mann unters Volk – oder besser: unter die Sammler – bringen und machte so einen Kenner auf sich aufmerksam, der für die Bilder über Leichen geht. Was nur Gustav Lüder ahnt: Auch er ist im Besitz einer solchen Kostbarkeit und damit Ziel des »Sammlers«.

Wer genau der Mörder ist und wie die zahlreichen Verwicklungen zusammenhängen, soll hier natürlich nicht verraten werden. Aber dafür, dass Kai Artingers Roman nicht nur Krimi, sondern auch ein kleiner Parforce-Ritt durch die spannende Lebensgeschichte des Paul Westheim ist. Ganz nebenbei nämlich wird die Geschichte seiner Verfolgung durch die Nationalsozialisten und des Verlustes seiner Sammlung erzählt. Obendrein bieten die zahlreichen Bilder, die immer wieder auftauchen – oder vielmehr verschwinden – Gelegenheit, von ihren Künstlern und ihrer Beziehung zum Kunstkritiker zu erzählen. Die wiederum bilden jeweils das Motto eines Kapitels und rund um ihre Werke baut Artinger seine Erzählung auf. Das macht er auf eine Art und Weise, dass es nicht konstruiert wirkt sondern sich ganz natürlich in den Erzählfluss der Geschichte einfügt. Wer noch einmal alle Informationen zu den Künstlern im Überblick haben will, kann im Anhang nachschlagen. Also ein Kunst-Krimi im besten Sinne!

Die eigentliche Kriminalgeschichte versammelt zahlreiche Typen, die derzeit die deutsche Krimilandschaft bevölkern: Die toughe junge Frau, den schwerkranken Kommissar, den kauzigen und gerissenen Alten, aber auch politische Querulanten und mysteriöse Gestalten. Das könnte stören, tut es aber nicht, da die Charaktere über ihren Typus hinausgehen, der einsame Kommissar sich dann doch anvertraut und der kauzige Alte eben doch ganz nett ist, ja selbst der Querulant ein spießiges Familienleben vorweisen kann. Dank letzterem bekommt der Leser auch ein wenig von den gesellschaftlichen Umbrüchen mit, die das Berlin der 60er und 70er Jahre erlebte. Auch die Verwicklungen im Fall Susan Bell sind äußerst kompliziert und erst nach und nach lüftet sich das Geheimnis – dann jedoch sind Ermittler und Leser auf der richtigen Spur.

Der Autor hat sich also viel vorgenommen: Ein komplizierter Kriminalfall, markante Persönlichkeiten, zahlreiche Verweise auf die Kunstgeschichte. Das alles zu verknüpfen, gelingt fast immer und nur ein, zwei Male wirkt die Erzählung etwas hölzern. Nichtsdestotrotz ist Artingers Krimi nämlich voller spannender Ideen und es gelingt dem Autor, dass man umblättern möchte und immer am Ball bleibt. Das Beziehungsgeflecht, das hinter dem Kriminalfall steht, erklärt dann zum Glück auch, wie ein Friedhofsgärtner an Teile der westheimschen Kunstsammlung kommen kann. Dank dieser verschollenen »Hauptperson« ist dieser Krimi obendrein hochaktuell, denn er illustriert, welche unwegsamen Pfade ins Nichts die Sammlungen zahlreicher Sammler der Weimarer Republik nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten beschreiten konnten und wie verwickelt die Problematik dieser verschwundenen Kunstwerke ist. Auf jeden Fall beschert er einem vergnügliche Stunden!

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