Buchrezensionen

Karin Althaus (Hrsg.): Gabriel von Max. Von ekstatischen Frauen und Affen im Salon, Schirmer/Mosel 2018

Nicht zuletzt durch seine ausdrucksstarken Affengemälde ist Gabriel von Max nach wie vor bekannt. Das gesamte Spektrum seines künstlerischen Wirkens wird in dem neuen Band „Gabriel von Max. Von ekstatischen Frauen und Affen im Salon“ vorgestellt. Walter Kayser hat das Buch gelesen.

Die Aussage, dass etwas ein wenig „akademisch“ be- oder abgehandelt werde, hat bei den fein ausdifferenzierten Gehören manch elaborierter Akademiker einen verdächtigen Klang. Die Konnotationen, die da mitschwingen, deuten nämlich in eine wenig schmeichelhafte Richtung. Sie ließe sich umschreiben mit: „gekonnt, aber langweilig“.

Wissenschaftliche Gründlichkeit verlangt ja neben trockener Fleißarbeit eine äußerst strenge Methodik und eine etwas umständliche Darstellung. Solch zweifelhafte Untertöne gelten erst recht in der neueren Kunstgeschichte. „Akademische“ Malerei stand da abschätzig für das, was zu überwinden war. „Akademisch“, das roch förmlich nach monarchischem Zentralismus, nach offiziellen Preisträgerstipendien und Rom-Aufenthalt, nach den ausgetretenen Gleisen eines normativen Konventionalismus, der womöglich zu guter Letzt die Erwartungen mit dem Adelsdiplom belohnte.

Ein institutionelles Reglement, eine Überbetonung des Formalen und eine zunehmend erstarrende Ästhetik – das sind nicht nur für die altehrwürdige Académie royale de peinture et de sculpture unter dem legendären Charles LeBrun sehr bald die negativen Begleiterscheinungen. Sie gelten auch für alle nachfolgenden Kunstakademien, auch für die „Düsseldorfer“ oder „Münchner Malerschule“ im Umkreis des bayerischen Königs Ludwig I. Dass ihre großen Repräsentanten eben nur „Schüler“ ihrer „Meister“ waren, hinderte sie daran, wirklich große Maler zu werden.

Denn die eigentlichen Innovationen gingen im Laufe des 19. Jahrhunderts von Sezessionisten aus. Es waren die abtrünnigen Genies, die es sich zur Ehre anrechneten, im Salon des Refusés zu landen. Statt „nach allen Regeln der Kunst“ einen vorgegebenen Stil zu perfektionieren, zogen sie es vor, ihrer kreativen Schöpferkraft keinerlei Zügel anzulegen, radikal eigengesetzlich und eigenwillig und dabei häufig im Blindflug in unbetretenes Terrain vorzupreschen.

Wie dem bürgerlichen Johann Wolfgang Goethe wurde auch einem gewissen Gabriel Max 1840 an seiner Wiege in Prag noch nicht gesungen, dass er 60 Jahre später (genau genommen am 2. Dezember 1900) für seine Verdienste als „Professor für Historienmalerei an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste“ in den Personaladel erhoben wurde. Ab sofort durfte er sich klangvoll „Gabriel Cornelius Ritter von Max“ nennen. Ganz Ähnliches gilt für andere Größen (nicht nur) in München, die dann standesgemäß als „Malerfürsten“ in eigenen Schlössern lebten. An prominentester Stelle sind hier sicherlich der Bildhauer Ludwig von Schwanthaler mit seiner Burg Schwaneck, Rudolf von Seitz, Fritz von Miller, Franz von Lenbach, August von Kaulbach oder Franz von Stuck zu nennen. Ihre herrschaftlichen Stadtvillen zeugen heute noch von ihrer einstmals großzügigen Vergütung und glanzvollen Stellung.

Doch nichts ist so rasch verraucht wie der unsterbliche Ruhm von gestern. Akademische Maler landen in aller Regel früher oder später in den Fußnoten der Kunstgeschichte und ihre Bilder in den dunklen Verliesen der Museumsdepots. Auch ein Gabriel von Max wäre längst in der Versenkung verschwunden, wenn nicht bei ihm exemplarisch ein markantes Phänomen zu studieren wäre: eine ungewöhnliche Verschränkung von akademischem Perfektionismus und einer ungewohnten, ja unerhörten Durchkreuzung der Seherwartungen. Doch worin liegt genau der Reiz, dass wenigstens einige seiner Bilder auch heute noch so herausstechen?

Gabriel von Max ist nicht der Einzige, dem es mit einem gewissen Hang zum äußerlichen Effekt darum ging, mittels ostentativer Pinselbeherrschung bei der realistischen Wiedergabe die Publikumsanerkennung zu erheischen. Er galt schon zu Lebzeiten als gefeierter „Sensationsmaler“, und exakt darauf legte er es an. Er erfüllte die Seherwartungen der Ausstellungsbesucher und Käufer – und arbeitete zugleich mit sorgsam kalkulierten semantischen Brüchen. Eine ganz ähnliche Kombinatorik ist etwa gleichzeitig bei Maximilian Klingers Handschuh-Radierungen oder schon bei Adolph von Menzel zu sehen: Mit der selben altmeisterlichen Könnerschaft, mit der er Szenen aus dem Leben des Alten Fritz, seine Schwester im häuslichen Biedermeierambiente oder Fabrikhallen einfing, malte er im fahlen Kerzenlicht Gipsabgüsse von Händen und Füßen an seiner Atelierwand und erzeugte so eine morbid-schaurige, ja äußerst surreale Atmosphäre.

Gabriel von Max ging ganz ähnlich vor. Neben seinem zur Schau gestellten Virtuosentum tritt auch bei ihm eine Vorliebe für etwas geschmäcklerische Themen. Damit liegt er durchaus im Trend der Salonmalerei: Um möglichen Einwänden im Vorfeld allen Wind aus den Segeln zu nehmen, zielt sie darauf ab, durch formale Meisterschaft mögliche Kritiker zum Schweigen zu bringen. So erst konnte er verstörenden, verdrängten Fantasien die Gasse öffnen.
Bei Gabriel von Max war dies regelmäßig eine schwüle, erotische Atmosphäre, die sich mit Bigotterie tarnte. Darüber hinaus sind seine Frauenfiguren entweder schwarzhaarige Triebwesen oder aber (und vor allem) blutleere „femmes fragiles“, - bleiche, entrückte oder gar tote Kindfrauen von keuschester Abgewandtheit. In jedem Fall sind sie morbide Sexobjekte, die perverse Lüste bis hin zur Nekrophilie wecken sollen.

Mit Fug und Recht lässt sich Gabriel von Max mit diesem Vorgehen (formaler Realismus bei unterdrückter Erotik) unter die Vorläufer jenes «kombinatorischen Verfahrens» des Surrealismus einreihen, welches das Wunderbare im Realen feiert. Für den sich Comte de Lautréamont nennenden Dichter des 19. Jahrhunderts, auf welchen André Breton sich so gern berief, galt bekanntlich „das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“ als Inbegriff der Schönheit. Dem sind bekanntlich etliche Surrealisten gefolgt: Man nehme einen Allerweltskamin in einem allzu bürgerlichen Allerweltswohnzimmer und lasse daraus eine dampfende Lokomotive wie eine Erscheinung in der Luft schweben; oder aber man male meisterhaft eine Giraffe, aus deren Hals lodernde Flammen schlagen. - Nur dass Gabriel von Max das nicht erst 1938 wie der Belgier René Magritte oder 1940 wie der Spanier Salvador Dali gemacht hat, sondern bereits zwei Generationen zuvor.

Das eigentlich Ungewöhnliche in den Bildern dieses Malers brach sozusagen von außen herein und hatte zunächst wenig mit Kunst zu tun. Denn Gabriel von Max gab sogar seine beamtete Stellung als Professor auf, um ganz seiner Leidenschaft als glühender Darwinist zu frönen. Wie Sigmund Freud erkannt hatte, ließ sich mit Charles Darwin wie zuvor mit Kopernikus dem menschlichen Selbstbild eine schwere narzisstische Kränkung zufügen. Mit ihm konnte man polarisieren und provozieren. Max sammelte deshalb Schädel und alle erdenklichen zoologischen, ethnologischen und prähistorischen Zeugnisse, nur um zu beweisen, dass der Mensch wirklich, wie man es verkürzt zu sagen pflegte, „vom Affen abstamme“. Mehr als 60.000 solcher Objekte sollen es bis zu seinem Tod 1915 gewesen sein - eine der reichsten Privatkollektionen auf wissenschaftlichem Gebiet! Und zugleich lebte Max ab 1869 sehr familiär mit Affen zusammen. Es spricht Bände, wenn er von seinem ersten Macaco-Affen sagte: „Ich taufte ihn Adam“.

Die wissenschaftliche Vorliebe für die Grenze zwischen Mensch und Tier lag damals bei vielen Künstlern in der Luft. Man denke nur an etliche Erzählungen Franz Kafkas, etwa an den Affen Rotpeter, der in seinem „Bericht für eine Akademie“ einen Rapport abliefert, wie zweifelhaft sein Aufstieg in die menschliche Gesellschaft gewesen sei: eine Parodie, die in beklemmender und grotesker Weise jede menschliche Kultur und Zivilisation in Frage stellt.

Eine ganz ähnlich unterminierende Botschaft enthält das berühmteste Gemälde Gabriel von Max’. Es wurde 1889 gemalt und zeigt ein dicht gedrängtes Rudel von Affen auf einer Kiste, die feixen, bedrohlich die Zähne fletschen oder aber ein gerade aus seiner Transportkiste ausgepacktes Gemälde in Augenschein nehmen. Der menschliche Betrachter würde es gerne den Affen gleichtun (sie «nachäffen»), kann aber die Darstellung seinerseits nicht erkennen, aber ein Etikettschildchen weist sie als „Tristan und Isolde“ aus. Höher könnte die Fallhöhe kaum sein. Mit den Mitteln der akademischen Malerei stellt der Maler die akademische Malerei in Frage.

Max’ kritischer Forschungsgeist war allerdings kein Garant dafür, dass er nicht zugleich auch einer ganz anderen, konträren Leidenschaft verfiel: dem Spiritismus, dem irrationalen Geistersehen, dem medialen Kontaktieren mit Totenstimmen. Aus dieser Gemengelage von Wissenschaftsgläubigkeit und Irrrationalismus entsteht die provokative Kraft mancher Gemälde. Sie schwankt zwischen Kitsch und Karikatur, zwischen „Wahn und Wissenschaft“, zwischen Realismus und Symbolismus und traf genau dadurch den verunsicherten Nerv ihrer Zeit.

Karin Althaus, Kuratorin am Münchner Lenbachhaus, das erst 2010 eine Max-Ausstellung ausrichtete, hat dieses Buch mit der für den Verlag Schirmer/Mosel gewohnten Qualität und Großzügigkeit herausgegeben. Sie beschränkt sich auf einen einleitenden Essay und lässt noch einmal eine repräsentative Auswahl aus allen Werkgruppen Revue passieren.

Titelangaben:

Karin Althaus (Hrsg.)
Gabriel von Max. Von ekstatischen Frauen und Affen im Salon
Schirmer/Mosel, ISBN 978-3-8296-0824-4, Ladenpreis 39,80 €

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