Buchrezensionen

Karin Sagner/Max Hollein (Hg.): Gustave Caillebotte. Ein Impressionist und die Fotografie, Hirmer 2012

Bekannt ist Gustave Caillebotte, der heute seinen 165. Geburtstag gefeiert hätte, vor allem als Förderer der Impressionisten. Doch im Katalog aus dem Hirmer Verlag kann ihn der Leser neu entdecken: Als Maler, der fotografischer malte als die Fotografen. Rowena Fuß hat reingeschaut.

»Das ist eine Malerei, die unmittelbar an Fotografie denken lässt«, schrieb ein Kritiker 1877 über den französischen Künstler. Und tatsächlich könnte man zahlreiche Gemälde Caillebottes auf den ersten Blick für Fotografien halten. So etwa die »Parkettschleifer« von 1875: die spontane Momentaufnahme dreier auf dem Fußboden arbeitender Männer, von denen keiner in Richtung Betrachter schaut. Das wenig spektakuläre Motiv gleicht einer dokumentarischen Fotografie. Caillebottes Eifer bezüglich dieses realistischen Sujets lässt an die »Steineklopfer« denken, die Gustave Courbet – der gefürchtete Realist – ein Vierteljahrhundert zuvor schuf.

Doch nicht nur die Zufälligkeit des Ausdrucks oder die Ausschnitthaftigkeit seiner Motive, sondern auch die momenthafte Bewegung, die eingefroren wird, sind Eigenschaften, die seine Werke mit der Fotografie teilen. Insgesamt acht lesenswerte Aufsätze widmen sich verschiedenen Aspekten dieser Entwicklung, die durch viele qualitätvolle Abbildungen auch optisch wunderbar veranschaulicht wird.

1881 sahen die Impressionisten erstmals in Einzelbilder aufgelöste Bewegung, als der berühmte Fotopionier Eadweard Muybridge in Paris seine Bewegungsfotografien vorstellte. Es ist nicht nachzuweisen, ob auch Gustave Caillebotte im Raum war. Aber, dass er selbst Fotografien sammelte. Leider blieb davon nichts erhalten.

Als scharf angeschnittene Weitwinkelaufnahme, auf deren Flächen er seine Figuren narrativ positionierte, ist beispielsweise »Pont de l'Europe« (1876) angelegt. Es zeigt einen Pariser Frühlingsmorgen in der Nähe des Bahnhofs Saint-Lazare. Von rechts drängt sich eine gusseiserne Brücke mit diagonalen Streben in den Blick. Ein Mann, lehnt am Geländer, das Kinn aufgestützt. Ein Hund scheint dem Betrachter voraus zu trotten. Er ist in der Bewegung eingefroren, gemächlich unterwegs in Richtung des leicht links liegenden Fluchtpunkts. Eigentlich würde dieser im Hintergrund in den Place de l'Europe laufen, doch ein elegantes Paar versperrt die Sicht darauf.

In anderen Aufnahmen tritt Caillebotte den Figuren hemmungslos und zugleich befremdlich nahe, etwa bei »Blick durch ein Balkongitter« aus dem Jahr 1880. Das Bild zeigt das schmiedeeiserne Balkongeländer stark herangezoomt. Davor ist verschwommen der Wedel einer Grünpflanze im rechten Vordergrund zu sehen und unten auf der Straße der Blick auf eine Kutsche. Seiner ungewöhnlichen, bisweilen spektakulären Perspektivwahl begegnet man erst auf den experimentellen Fotografien aus dem 20. Jahrhundert wieder, bei László Moholy-Nagy beispielsweise.

Fazit: Der Katalog erweist sich als lohnendes Nachschlagewerk für den spannenden Dialog zwischen Malerei und Fotografie im 19. Jahrhundert. Noch dazu vermag er es, etwas von dem vergangenen Großstadtzauber, ihren Flaneuren und Genießern zurückzubringen.

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