Ausstellungsbesprechungen

Karl Schmidt-Rottluff - Ostseebilder. Doppelausstellung in Lübeck im Museum Behnhaus und in der Kunsthalle St. Annen, bis zum 5. September 2010

Eine unerhört reich und gut bestückte Doppelausstellung aus dem Bestand des Berliner Brücke-Museums präsentiert in Lübeck die Arbeiten des großen Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976), soweit diese in einem Zusammenhang mit der Ostsee stehen. Weil Schmidt-Rottluff von 1906 an bis fast zu seinem Lebensende immer wieder verschiedene Orte an der Ostsee besuchte, kann man von einer Ausstellung sprechen, die siebzig Jahre seines Lebens und damit sein Gesamtwerk zur Anschauung bringt. Stefan Diebitz hat sich die Ausstellung angesehen.

130 Ölgemälde, Aquarelle und Holzschnitte werden in Lübeck ausgestellt, verteilt auf zwei sehr verschiedene Häuser. Der zweite Teil der Ausstellung mit den Sierksdorfer Bildern gehört der dem St. Annen-Museum angegliederten Kunsthalle, zu der sich der Besucher auf einem kleinen Spaziergang von der Königstraße aus zu begeben hat. Die erste Phase bis 1951 wird im Behnhaus gezeigt, einem klassizistischen Bürgerhaus des 18. Jahrhunderts, zu dessen Bestand vor allem das 19. Jahrhundert mit den Nazarenern (Friedrich Overbeck war ein gebürtiger Lübecker) bis hin zu der klassischen Moderne und dem Expressionismus gehört. Der Gründungsdirektor dieses Haus war Carl Georg Heise, und die erste Ausstellung des seit 1920 bestehenden Museums überhaupt war 1924 keinem anderen als Karl Schmidt-Rottluff gewidmet. So kann man durchaus von einer Rückkehr sprechen, und in einem Fall ist es sogar die Rückkehr eines Bildes, denn der »Blaue Mond« wurde bereits vor 86 Jahren in Lübeck gezeigt.

Die Ausstellung ist chronologisch gegliedert. Sie beginnt 1906 auf der sich dem nördlichen Ende der Flensburger Förde anschließenden dänischen Insel Alsen, wo Schmidt-Rottluff als Gast Emil Noldes ein erstes Mal der Ostsee begegnete; dieser Besuch ist durch zwei Ölbilder dokumentiert, die nur zu deutlich vom Einfluss van Goghs künden – schöne Bilder in kräftigen Farben, auf denen der sehr junge Künstler gleichwohl noch nicht zu sich selbst gefunden hat.

Die Jahre bis 1913 übergehen Ausstellung und Katalog, denn in dieser Zeit hielt sich Schmidt-Rottluff in seinen Sommerferien an der Nordsee auf, aber dann folgte ein Besuch auf der Kurischen Nehrung (Litauen), den er in dem Malerparadies Nida verbrachte. Die typische Dünenlandschaft der Nehrung mit ihren Kiefernwäldern ist auf den Bildern der Ausstellung nicht zu erkennen, aber dass das wunderbare Licht und die kräftigen Farben dieses Ortes mit seinem leuchtenden »Niddener Blau« der Fischerhäuser einen expressionistischen Frischluftfanatiker inspirieren konnten, demonstriert der Katalog; dort finden sich die typischen Kurenkähne, der von schwarzen Fichten eingerahmte, weiß leuchtende Sand der riesigen Dünen und auch das typische Rotbraun, mit dem die Firste der Fischerhäuser gestrichen sind.

Es geschah erst in Nida, dass Schmidt-Rottluff sich mit dem Lieblingsmotiv der Brücke-Künstler anfreundete, dem Akt von Badenden. Wenn wir dem Katalog glauben, so waren es die nackten Frauen und Töchter der Fischer, die dem Maler reiches und höchstwahrscheinlich sehr willkommenes Anschauungsmaterial boten. Rückschlüsse auf die Attraktivität seiner Modelle erlauben die Bilder allerdings nicht.

Andere Stationen auf dem Weg Schmidt-Rottluffs an der Ostsee entlang waren das heute polnische Jaroslawiec, Hohwacht an der Südseite der Kieler Bucht, das wiederum polnische Łeba mit seiner an die kurische Nehrung erinnernden Dünenlandschaft, die einen schilfwogenden Haffsee imposant abschließt (heute: Słowinski Nationalpark), und endlich, nach dem Krieg, das in der Nähe von Neustadt an der Lübecker Bucht gelegene Sierksdorf.

Es ist erstaunlich, wie lange dieser Künstler seine Vitalität erhalten konnte. Seine Bilder aus der Sierksdorfer Phase (1951–1973) sind wohl weicher gezeichnet, aber nach wie vor dynamisch und kraftvoll. Immer noch arbeitete Schmidt-Rottluff mit den für ihn typischen farblichen Übersteigerungen und manchmal heftigen Dramatisierungen. Aber auch mit Verniedlichungen; die Lübecker Bucht, so scheint es, konnte in den Augen des Künstlers nicht mit der Ostsee bei Nida oder Łeba konkurrieren, und so malte er sie fast wie einen Binnensee. Die Mecklenburger Seite jedenfalls ist in Wahrheit nicht so dicht an der holsteinischen Küste wie auf seinen Gemälden, was aber an der außerordentlichen Schönheit der Bilder überhaupt nichts ändert.

Die Sierksdorfer Bilder werden in der Kunsthalle ausgestellt. Durchaus als Höhe- und Schlusspunkt ist ein »Nachtlandschaften» überschriebener Raum gedacht, der eine Reihe von nächtlichen Bildern bringt, eine Orgie in Grün und Blau. Das wohl schönste Bild dieses Raumes ist »Mond und Gartentor» von 1960, bei dem der Künstler also bereits in seinen Siebzigern stand und das die nächtliche Atmosphäre eines großen Gartens ganz wunderbar einfängt.

Der von Magdalena M. Moeller herausgebene Katalog profitiert nicht zuletzt von dem offenbar sehr ausgiebigen Briefwechsel des Künstlers, der wie auf seinen Bildern immer wieder die Landschaft beschreibt. Der Katalog folgt wie die Ausstellung den sommerlichen Stationen Schmidt-Rottluffs an der Ostsee und erläutert die verschiedenen Phasen und Entwicklungen im Leben eines Künstlers, der zwar erkennbar immer derselbe geblieben ist, also dieselben Techniken und ästhetischen Muster benutzte, aber sich trotzdem immer weiterentwickelte. So gesellte sich in seiner Zeit in Jaroslawiec, in den zwanziger Jahren, das Interesse an der Arbeitswelt zu den Naturbildern, und später besitzen manche Gemälde durchaus symbolische Züge. Diese jedenfalls werden dem in der Zeit des Dritten Reiches entstandenen Bild einer Brücke zugesprochen, deren mächtige Pfeiler vor dem Eisgang geschützt werden mussten (»Brücke mit Eisbrechern», 1934).

Die sehr empfehlenswerte Lübecker Ausstellung gehört zu mehreren Ausstellungen in Schleswig-Holstein, die Brücke-Künstlern gewidmet sind. Wie Fremdenverkehrswerbung mag das auf dem Plakat, auf dem Flyer oder in der örtlichen Presse aussehen, aber vor Ort gewinnt man einen ganz anderen Eindruck: Das Konzept trägt, denn es besteht wirklich ein enger Zusammenhang zwischen diesen Künstlern und der Landschaft an der Ostsee. Zwei Erich Heckel-Ausstellungen gibt es noch in Gottorf zu sehen (»Aufbruch und Perspektive» und »Der stille Expressionist – Die Aquarelle», beide bis zum 29.08.), und in Kiel wird vom 19. September an in der Kunsthalle eine Max Pechstein-Retrospektive gezeigt werden. Die Schmidt-Rottluff-Ausstellung wird vom 11. Februar bis zum 17. Juli nächsten Jahres im Brücke-Museum in Berlin gezeigt.

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