Buchrezensionen

Katharina Alsen, Annika Landmann: Nordische Malerei. Im Licht der Moderne, Prestel 2016

»Reizvolle Landschaftsbilder, idyllische Genreszenen, lichtgetränkte Interieurs und stimmungsvolle Porträts« – so beginnt der Pressetext zur vorliegenden Publikation, doch gemeint ist damit nicht die französische Malerei des Impressionismus, wie man auf den ersten Blick vermuten möchte, sondern die Nordische Malerei der Moderne. Das allein beweist schon: Der Norden hat kunsthistorisch mehr zu bieten als man gemeinhin denkt. Andreas Maurer hat ein wunderbares Buch entdeckt.

Wahrscheinlich wird der Leserin/dem Leser schon beim Überfliegen des Titels bewusst, dass sie/er bis auf Edvard Munch und vielleicht ein, zwei andere Namen, mit der Kunst des Nordens nicht viele Bildwerke verbinden kann. Unweigerlich sieht man sich also mit Fragen konfrontiert wie: Wo war diese Kunst die letzten Jahre? Wieso hat man im deutschsprachigen mitteleuropäischen Raum mehr Bezug zur Kunst der Neapolitanischen Schule des 17. Jahrhunderts als zur nordischen Malerei der Moderne? Diesem Manko versucht nun die ambitionierte Arbeit von Katharina Alsen und Annika Landmann Abhilfe zu schaffen.

Erstere studierte Kunstgeschichte an der University of Oxford sowie Germanistik/Skandinavistik an der Universität Hamburg, lernte aber durch Auslandsstudien bereits Kopenhagen, Reykjavík und Tórshavn auf den Färöern kennen. Ihre deutsch–finnische Kollegin Annika Landmann absolvierte ihr Studium ebenfalls in Hamburg, wo sie ihre Dissertation über die Selbstbildnisse Helene Schjerfbecks verfasste. Sie ist insbesondere auf die Malerei der nordischen Länder zwischen den 1880er und 1940er Jahren spezialisiert und war im Rahmen ihrer Forschung als Fellow an der Universität Turku in Finnland tätig. Ein starkes Gespann also, welches mit dieser Publikation die Nadel des kunsthistorischen Kompasses endlich einmal wieder Richtung Norden lenkt.

Doch bereits beim Betrachten des eindrucksvollen Umschlagbildes (»Wolken« von Akseli Gallen-Kallela) kann man orakelhaft die unüberschaubare Weite des wissenschaftlichen Feldes erahnen. Schon allein die geografische Zuordnung fällt Laien, wie auch KunsthistorikerInnen schwer, denn: Was genau gehört zu dem »Norden«?

Schon früher verstand man darunter meist die Skandinavischen Kernländer, Dänemark, Schweden und Norwegen, die zusammen mit Finnland und Island die nordischen Länder bilden. Sie wurden und werden meist als repräsentative Stellvertreter einer nordischen Kunst stilisiert, bei dieser Festlegung grenzte man jedoch die nicht staatlichen Gebiete des Nordens, darunter etwa Grönland oder die Inseln der Färöer komplett aus dem Fokus aus. Und genau in dieses Niemandsland, zur nördlichen Peripherie der Kunstgeschichte, führte die kunsthistorische Entdeckungsreise der beiden Autorinnen.

Das Buch wird dabei selbst zur Kunst – großformatig und schwer liegt es in der Hand, und lässt schon erahnen, dass es kein Schmöker für die U-Bahn-Fahrt zum Büro ist. Der Aufwand der beiden Forscherinnen zwingt die Leserin/den Leser zur aufmerksamen Beschäftigung mit der Materie, und das zu Recht. Denn hat man den ersten Schritt in diese »Neue Welt« getan so öffnen sich der Betrachterin/dem Betrachter neue eindrucksvolle Bildwelten, welche den Vergleich mit den großen bekannten Werken ihrer Zeit sicher nicht scheuen müssen.

Doch auch wenn der wunderschön aufbereitete und reich bebilderte Katalog zum reinen Durchblättern und Betrachten der opulenten Abbildungen verleitet, sei hiermit jeder/jedem ans Herz gelegt sich auch der Lektüre der Texte zu widmen.

Gegliedert in neun große Abschnitte mit zahlreichen Unterkapiteln durchwandern die Autorinnen darin nämlich die gesamte nordische Moderne: Nach einem einleitenden Aufsatz über den kunstgeografischen Norden, tasten sie sich unter anderem über die Identitäten der dargestellten KünstlerInnen an deren Gesichtssinn heran, gleiten über die Körperbilder schließlich auf die Topografien über, bevor sie sich in die inneren Räume und sogar in Formlosigkeit auflösen.

Die Texte, welche von beiden gemeinsam gestaltet wurden, versuchen dabei die komplizierten Themen nicht zusätzlich zu erschweren, sondern im Gegenteil, die verstrickten Zusammenhänge zu entwirren.

Indem sie jeweils KünstlerInnen oder Gemälde und deren Biografien und Beschreibungen sozusagen als Prototypen für Entwicklungsströmungen aufzeigen, gelingt ihnen nicht nur ein leichterer Zugang zu den vorgestellten Bildern, sondern darüber hinaus auch zu den oftmals komplexen (Kunst-)Geschichten der jeweiligen geografischen und zeitlichen Abschnitte.

Aber wahrscheinlich sind es gar nicht die Bilder, an welche sich die Augen der Leserinnen/der Leser erst gewöhnen müssen, sondern die unzähligen fremdartigen Namen, welche für uns MitteleuropäerInnen oftmals visuelle Stolpersteine in den sonst sehr flüssig geschriebenen Texten darstellen.

Doch soll man sich vor der richtigen Aussprache der ProtagonistInnen oder Orte nicht abschrecken lassen, sondern sich ganz dem Glanz dieser Moderne hingeben. Der Grund: Man erfährt leider in der traditionellen Literatur wenig bis nichts über Sámal Joensen-Mikines, »dem« Maler der Faröer Inseln, oder Tyko Sallinen, einem der prägendsten Akteure der finnischen Kunstwelt in den 1910er Jahren. Es sind nämlich nicht die großen Namen, welche in diesem Buch besonders beeindrucken, sondern die, jedenfalls für mich, bis dato unbekannten, wie zum Beispiel Jóhannes S. Kjarval oder Sigrid Hjertén.

Letztere etwa ging aus Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten nach Frankreich und wurde auch als die »nordischste« aller französisch inspirierten schwedischen ExpressionistInnen bezeichnet.

Natürlich finden sicher aber auch bekannte Namen zwischen den Seiten: Darunter Caspar David Friedrich (welcher an der Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen studierte und unter Zeitgenossen als typisch »nordisch« galt), Emil Nolde (sein Heimatort ging erst drei Jahre vor seiner Geburt von Dänemark an den Nachbarn Preußen über und wurde 1867 Teil des neu gegründeten Norddeutschen Bundes) und natürlich der bekannteste nordische Repräsentant, welcher die kulturelle Identität des Landes formte, und bis heute als Motor der Moderne gilt – Edvard Munch.

Erwähnt sei hier insbesondere der interessante Beitrag »Porträt und Künstler-Subjekt – Zwischen Absenz und Präsenz«, in welchem die Kunst(-fertigkeit) des Großmeisters mit jener Helene Schjerfbecks sowie der färöischen Künstlerin Ruth Smith verglichen wird.

Munchs berühmter »Schrei« findet auf diesem Streifzug durch die gesamte Nordische Moderne aber ebenso Platz, wie die Kostümentwürfe der schwedischen Künstlerin Siri Derkert aus den 1910er Jahren oder die Malerei und Grafik der Sámi.

Doch der Blick der beiden Kunsthistorikerinnen richtet sich nicht nur über die Schulter in die Vergangenheit, sondern spannt seinen Bogen bis in die Gegenwart. Einmal gespannt, wird sein Pfeil in der interessierten Leserschar sofort eine Glut entfachen und den sehnsüchtigen Blick so vermehrt gen Norden schweifen lassen. Zeit wäre es, denn schon 1982 versuchte man mit der im New Yorker Brooklyn Museum abgehaltenen Ausstellung »Northern Light. Realism and Symbolism in Scandinavian Painting« das facettenhafte Panorama dieser Kunstepoche einzufangen und dem Publikum schmackhaft zu machen.

Doch was ist seither passiert? Nicht viel…..bis jetzt.

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