Die Geschichte der Kunstwissenschaft in einer der dunkelsten Epochen der deutschen Geschichte ist heute, allgemein betrachtet, gut erforscht. An Beiträgen bezüglich der nationalsozialistischen ästhetischen Wertungs- und Ankaufspolitik und der Provenienzforschung herrscht offensichtlich kein Mangel, wäre da nicht die Person Hermann Voss, die während des Hitlerregimes als Leiter bedeutender Institutionen und vor allem als Sonderbeauftragter des vom Führer geplanten Linzer Kunstmuseums hervortat und in der Nachkriegszeit einen nahtlosen Übergang zum unpolitischen Kunsthistoriker schaffte. Diese auffällige Lücke schließt nun Kathrin Iselt in ihrer Dissertation, in der sie das Leben Voss´ auf Archivmaterialien aufbauend kritisch rekonstruiert und einer Revision unterzieht. Jan Hillgärtner hat das Buch gelesen.
Der Lebenslauf des Hermann Voss gleicht auf den ersten Blick einer Biografie, die für ein hohes Amt in einem Museum oder einer Hochschule prädestiniert zu sein scheint, wären da nicht bestimmte historische Irrungen und Wirrungen, die einer solchen Karriere im Wege standen. Dabei hatte alles so gut begonnen: nach einer Dissertation 1907 über den Ursprung des Donaustils, die, so die Autorin, bereits den großen Wissenshintergrund Voss´ erahnen lässt, setzte der Mann seine Laufbahn als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter und Volontär an keiner geringeren Institution als der Königlich Preußischen Kunstsammlung fort. Nebenbei publizierte er zahlreiche Aufsätze, aus denen sich das Interesse seines wissenschaftlichen Lebens abzeichnet: das italienische Seicento. Dass er daneben auch nicht die gegenwärtige Kunst aus dem Auge verlor, zeigen seine teils negativen Einschätzungen zu künstlerischen Zeitgenossen wie Max Beckmann, Lovis Corinth und Max Pechstein – den Vertretern der Berliner Secession. Nach einer Zwischenstation als Leiter der Graphischen Sammlung am Museum der bildenden Künste in Leipzig wird Voss zwischen 1935 und 1945 das Amt des Direktors der städtischen Kunstsammlung am Nassauischen Landesmuseum in Wiesbaden bekleiden. Darauf folgt die Ernennung zum Leiter der Gemäldegalerie Dresden. All dies sind auf den ersten Blick unverdächtige Stufen einer ansehnlichen Karriere, wären da nicht die dunklen Seiten seiner Tätigkeit in diesen Ämtern und schließlich die von Voss selbst heruntergespielte Ernennung zum Sonderbeauftragten des Führers, die diesen Lebenslauf in ein anderes Licht stellen.
Nicht nur zu dem Zeitpunkt, da Voss in der Kommandostruktur direkt dem Führer unterstellt war, sondern auch bereits in der Frühphase der nationalsozialistischen Machtergreifung und deren Etablierung als totalitäres Regime, zeichnet sich Voss in seiner Wiesbadener Zeit früh dadurch aus, in seiner Ausstellungspolitik sich in vorauseilendem Gehorsam einem abzeichnenden faschistischen Kunstideal zu beugen und die als »entartet« geltende Kunst erst aus dem Ausstellungsbereich zu entfernen, um sie daraufhin über den Kunsthandel gegen unverdächtige Kunst zu veräußern oder einzutauschen. Den »Höhepunkt« erreicht Voss, als er in seiner Dresdener Zeit nach dem Ableben des Vorgängers Hans Posse zum Sonderbeauftragten des von Hitler geplanten Linzer Kunstmuseums ernannt wird. In dieser Zeit bekleidet er parallel zwei Ämter und versteht klug, auf Reisen im In- und Ausland den Fundus des realen und des geplanten Museums zu erweitern. Seine Aufgabe in dieser Organisation war es, aus der von Hitler selbst zusammengetragenen Kunstsammlung und aus eigenen Ankäufen heraus ein monumentales Museum für Linz zu erschaffen, eine Stadt die der Führer nach dem Krieg mit einer gigantischen Architektur und einem eben solchen Museum zu versehen gedachte.
Kathrin Iselt gelingt es, das Bild Hermann Voss´, an dessen Konstruktion dieser nach dem Krieg bedeutend mitgearbeitet hat, durch den Verweis auf die Aktenlage zu korrigieren. Sie verdeutlicht aus diesem untrüglichen Material heraus die Lebensgeschichte eines Mannes, der sich mit den Machthabern zu arrangieren verstand und die eigenen Interessen möglichst reibungslos durchzusetzen wusste. Es scheint gerade im Falle Voss´ eine Biografie durchzuscheinen, wie sie im Deutschland der Nachkriegszeit zwischen moralischer Restauration und antifaschistischer Teufelsaustreibung für Menschen sinnbildlich war, die einerseits mit den damaligen Machthabern kooperiert hatten, deren Fachkenntnisse andererseits in der direkten Nachkriegszeit unentbehrlich waren und dringend einer moralisch einwandfreien Integration in die postfaschistische Gesellschaft bedurften. Hermann Voss, der zwar in den neu entstehenden wissenschaftlichen und musealen Instituten keinen rechten Platz zu finden schien, konnte immerhin an seinen Forscherruf innerhalb der kunsthistorischen Gemeinschaft anknüpfen und sich trickreich vor den amerikanischen Behörden als unbelasteter Kunsthistoriker ausgeben.
Dabei verdeutlicht die Autorin in der Anlage des Buches immer wieder ihre eigene wissenschaftliche Herkunft. Sie sichtet über weite Stellen das Material unter provenienzgeschichtlichen Gesichtspunkten und gelangt so über die Analyse der teilweise unrechtmäßig aus jüdischem Beutegut erworbenen Kunstwerke zu einer Einschätzung der Person. Dies ist auf der sachlichen Ebene natürlich nicht anfechtbar, was in der vorliegenden Biografie jedoch vollkommen außer Acht gelassen wurde, ist das Privatleben eines Menschen und sein Selbstverständnis. Über beides erfährt der Leser nur wenig, und es ist natürlich wissenschaftlich redlich, derlei Aspekte in der Betrachtung außen vor zu lassen, eine Einordnung des Verhaltens Voss hinsichtlich anderer kompromittierter Wissenschaftler in der Nachkriegszeit wäre wünschenswert gewesen. Wie etwa Hermann Voss es klug verstanden hat, in Zeiten des sich für Deutschland immer weiter verschlechternden Kriegsschicksals gekonnt Devisen für die Anschaffung von Kunst locker zu machen, versteht die Autorin zu beschreiben, andere mögliche Zugänge zu seinem Charakter tun sich hingegen nicht auf. Es bleibt jedoch der Eindruck einer sehr detailreich geschriebenen Arbeit, der der Versuch, Hermann Voss in das rechte Licht zu rücken, gelungen ist und aus deren Aufwertung des Archivmaterials sicherlich einige wichtige neue Erkenntnisse für die Restitutionsforschung gewonnen werden konnten.