Sie sind das Markenzeichen des Schweizer Künstlers Arnold Böcklin (1827-1901): anthropo-zoomorphe Mischwesen. Welche zeithistorische Bedeutung ihnen zukommt, klärt Kerstin Borchhardt in ihrer Dissertation. Rowena Schubert-Fuß hat selten eine so exzellente Arbeit gelesen.
Die Mischwesen im Opus von Arnold Böcklin sind ein Thema wie für die dunkle Jahreszeit gemacht, für den Übergang von Sommer zu Winter, dem Zwielicht zwischen den Zeiten. Denn hier haust das Mythische. Dunkel ist das Unwissen. Und es gebiert Ungeheuer wie etwa Skylla und Charybdis aus dem Heulen des Windes und unterseeischen Strömungen in der Meerenge von Messina.
Genauso unerklärlich waren bisher die Pane, Zentauren Meerwesen, Einhörner, Drachen, Sirenen und Gorgonen des Schweizer Künstlers. In der Forschung kursieren zwei Interpretationsansätze. So sollen die Geschöpfe einmal mythisierende Personifikationen der bildinternen Landschaften und Stimmungen bilden. Zum Anderen stellten die Mischwesen eine Auseinandersetzung mit Darwins Evolutionstheorie dar. Kerstin Borchhardt kombiniert in ihrer Arbeit die kulturhistorisch- mythologischen sowie biologisch-evolutionistischen Blickwinkel. Ziel ist es, die anthropo-zoomorphen Mischwesen Böcklins systematisch zu erschließen sowie nach ihrer kulturtheoretischen Relevanz zu analysieren. Als Endresultat dieser Bemühungen steht eine Theorie des Monströsen.
Schon das Inhaltsverzeichnis erfreut mit seiner klaren und logischen Struktur, die sich auch in den Kapiteln selbst fortsetzt. Sehr genau ermittelt Kerstin Borchhardt im ersten großen Abschnitt die Typen von Mischwesen, die das Böcklinsche Œuvre bereithält. Die größte Gruppe bilden hierbei die Panesken. Und das nicht von ungefähr: Borchhardt sieht den antiken Bocksgott als Alter Ego des Künstlers. In der Häufigkeit der Darstellungen folgen die Zentauren, die, da meist kriegerisch dargestellt, Existenzkämpfe abbilden. Monströse Meermänner und schöne Nereiden spiegeln als dritte Gruppierung Rollenklischees der Zeit.
Anschließend vertieft die Autorin die nur kursorisch umrissenen Gedanken zur Bedeutung der Hybridwesen, indem sie sich ausführlich mit ihrem Kontext und Darstellungstraditionen auseinandersetzt. Den Rahmen ihrer Betrachtungen bildet das Mythische. Dies erweist sich gleich in mehrerer Hinsicht als Glücksgriff. Durch die Vielschichtigkeit des Mythos-Begriffs kann Borchhardt ihn in den weiteren Ausführungen gleichermaßen als Abstoßungs- wie Zielpunkt nutzen. Ebenso entsteht ein gewisser Spannungsbogen beim Lesen. Allein durch den behandelten Stoff ist diese Dissertation ja schon alles andere als langweilig. Borchhardts Schreibstil macht sie allerdings zu einem wahren Genuss. Chapeau!
Die Autorin untersucht insgesamt drei sogenannte Dimensionen des Mythischen: der Mythos als gestaltgebende Disposition des menschlichen Bewusstseins; als kulturelle Grundlage, deren Spuren durch die Geschichte auch in späteren Phänomenen immer wieder hindurchscheinen und schließlich als Synthetik des Fragmentarischen, bei der Polaritäten und Widersprüche in ein oszillierendes Spannungsgefüge gesetzt werden.
Zunächst beschäftigt sich Borchhardt mit der ästhetischen Relevanz des Mythischen. Hierzu greift sie auf Theorien von Giambattista Vico, Friedrich Schlegel und Ernst Cassirer zurück.
Vermittels seiner speziellen Form des Bildlichen können intensive Erfahrungen und Eindrücke aus der Lebenswelt im Mythos auf fantastische Weise umgeformt und wirkmächtig kommuniziert werden – analog zu Cassirer, der den Ursprung des Mythos im unmittelbaren, sinnlichen Erleben der Welt sah. Um eine solche Evokationsästhetik ging es Böcklin. Anders als die zeitgenössische Einfühlungsästhetik Theodor Vischers, wonach Landschaften Stimmungen der Seele erahnen lassen, leben Böcklins Werke durch die Synthese von Figur und Landschaft, Stimmung und Reflexion. Durch diese Personifizierung der Natur steigert Böcklin den Ausdruck seiner Kunst. Und er geht noch weiter. Seine Hybridwesen stellen die bildliche Umsetzung eines Eindrucks dar, der aus der Konfrontation von menschlichem Bewusstsein und Natur entsteht. Ihre ungewöhnliche Form – halb Mensch, halb Tier – drückt zugleich eine Naturnähe bzw. Wildheit wie auch Zivilisationsferne aus. Der Betrachter steht deshalb mit einem gewissen Unbehagen vor diesen Darstellungen.
Die unterschiedlichen Typologien in den Mischwesendarstellungen deuten verschiedene Konflikte bzw. Spannungen an. Nur bei Geschöpfen gleicher Typologien gibt es beispielsweise idyllische Familiensituationen. So verweisen die in lustiger Gemeinschaft tollenden Meerwesen in »Spiel der Nereiden« (1886) und »Meeresidylle« (1887) auf das gutbürgerliche Familienideal des 19. Jahrhunderts, in dem Kinder eine unverzichtbare Rolle spielten. Auch der typische Geschlechterdualismus wird in Bildern wie »Triton und Nereide« (versch. Versionen, um 1875) gespiegelt. Zuweilen geschieht dies mit einem Augenzwinkern, wie in »Dianaira und Nessus« (1898), wo sich eine »Wuchtbrumme« von Frau (Ausdruck der Autorin) mit einem Kinnhaken gegen die Entführung durch den Zentauren wehrt.
Besonders heiter stimmt eine Passage über die Sirenen im gleichnamigen Gemälde von 1875. Odysseus mögen sie einst das Fürchten gelehrt haben, bei Böcklin sind sie zu ungelenken Kreaturen verkommen, deren Miniflügel und Hühnerfüße einfach nur lächerlich wirken.
Das antikische Bildpersonal rührt an die Wurzeln unserer Kultur. Mehr noch: es stellt die Frage nach dem Verhältnis von Tier und Mensch. Schon zu Lebzeiten wurde Böcklin daher mit darwinistischem Gedankengut in Verbindung gebracht. Borchhardt klopft daher seine Bilder natürlich auch auf solche Referenzen ab. Es lässt sich jedoch nicht sicher belegen, dass die Bilder solche Ansätze wiedergeben. Ob etwa die Zentaurenkampfbilder ein »Recht des Stärkeren« versinnbildlichen oder nicht, bleibt offen. Der belesene Künstler scheint vielmehr verschiedene Diskurse der Zeit die Naturgeschichte betreffend aufgegriffen und eigenständig verarbeitet zu haben. Die Autorin verweist an dieser Stelle auf den Zeitgenossen Odilon Redon, der mythologische Hybride als Illustration von evolutionären Übergangsformen nutzte.
Arnold Böcklins »Mythopoiese« erscheint nicht nur als Transformation von Persönlichem zu Überpersönlichem, Zeitlichem zu Überzeitlichem sowie Humanem zu Prähumanem, sondern sie verdichtet disparate Momente der Kulturgeschichte durch die Verbindung mit darwinistischen Interpretationen. Im Mythos verbindet sich scheinbar Unvereinbares.
Bis zu einer Theorie des Monströsen, dem Höhepunkt der Arbeit, ist es da nur noch ein kleiner Schritt. Bereits in der griechisch-römischen Antike stellten Monster ein Liminalitätsphänomen dar. Der Bruch mit ästhetischen Normen oder der göttlichen Ordnung führte zu einer Bestrafung, d.i. eine Verwandlung in Mischwesen (vgl. Minotaurus als Strafe für kretisches Königspaar, das sich weigerte Göttern zu opfern oder die Entstehung der Zentauren nach dem Frevel ihres Vorfahren Ixion gegen Zeus). Kurz: Monster dienten als Kontrastfolie zu bestehenden Ordnungssystemen. Parallel zu den kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen des 19. Jahrhunderts testeten Künstler wie Böcklin unterschiedliche Spielarten des Mehrdeutigen in ihren Bildern aus. Ihre Werke werden so zum Ausdruck einer durch Unordnung bzw. Wandel gekennzeichneten Welt.
Fazit: Borchhardts Arbeit überzeugt nicht nur durch ihre analytische Tiefe, sondern auch durch die kontextuelle Verortung ihrer Ableitungen. In summa ergibt sich eine anregende, stellenweise sogar heitere Lektüre. Es ist eine der besten Forschungsarbeiten, die die Rezensentin bis dato gelesen hat.