Buchrezensionen

Kirsten Fitzke / Zita Ágota Pataki (Hg.) in Zusammenarbeit mit Markus Lörz: Kritische Wege zur Moderne: Festschrift für Dietrich Schubert, ibidem-Verlag, Stuttgart 2006.

In einer Festschrift haben sich sechzehn ehemalige Schüler vereint, um den Kunsthistoriker Dietrich Schubert zu ehren, der seit 1980 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg lehrte. Dabei verpflichten sich die in diesem mehr als 350 Seiten umfassenden Aufsatzband zusammengefassten Texte ausdrücklich dem methodischen Ansatz und der Schwerpunkt-Thematik des ehemaligen Lehrers. Unsere Rezensentin Annika Michalski gibt einen Einblick in diesen Band.

Einige Beiträge führen Anregungen aus gemeinsamen Kolloquien weiter. So umfassend die Forschungsthemen Dietrich Schuberts sind – von Niederländischer und Holländischer Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts über Französische Malerei des 19. Jahrhunderts, Van Gogh, Expressionismus, Denkmalgeschichte und Skulptur des späten 19. und 20. Jahrhunderts, Theorie und Methoden der Kunstgeschichte bis zu den Wirkungen Nietzsches in den Künsten des 20. Jahrhunderts – so breit gefächert sind auch die Beiträge der Autoren auf “Kritischen Wegen zur Moderne”. So kommen unter anderem Aspekte des Realismus des 20. Jahrhunderts bei Rembrandt, Edward Kienholz, Karl Hofer, Ernst Ludwig Kirchner und Alfred Hrdlicka zur Sprache. Nicht nur die Thematik von Kunst und Politik im Zusammenhang mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wird gewürdigt, sondern auch die Auseinandersetzungen zwischen Realismus und Abstraktion in der Nachkriegszeit und Aspekte des plastischen und malerischen Selbstbildnisses bei Bernd Hoetger, Eugen Hoffmann, Otto Dix und Frida Kahlo.

Der erste Aufsatz stammt von einer der Herausgeberinnen neben Zita Ágota Pataki, Kirsten Fitzke. Sie widmet sich dem Totentanz als makrabrem Motiv und seiner Erneuerung nach dem Ersten Weltkrieg, indem sie die zyklusartigen Auseinandersetzungen des Geraer Malers Erich Drechsler mit Kriegskrüppeln, Tod und Vergänglichkeit in die Totentanz-Traditionen seit Hans Holbein d. J. im 16. Jahrhundert einbindet. Anschaulich präsentiert sie die zeitgenössische Aktualisierung dieser Topoi durch Drechsler.

Philipp Gutbrod analysiert die Kontroverse um Kunst und Religion im Ersten Darmstädter Gespräch von 1950, das unter der Überschrift “Das Menschenbild unserer Zeit” zur Konfrontation zwischen Befürwortern und Gegners der modernen Kunst führte und die Frage nach der neuen Form der modernen Kunst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufwarf. Willi Baumeister als Vertreter einer starken Abstrahierung stand dabei besonders im Mittelpunkt und sah sich seinem Kontrahenden Hans Sedlmayer als Verfechter der figürlichen Malerei gegenüber.

Mehrere Beiträge widmen sich der Thematik des Selbstbildnisses. Am Beispiel von Bernhard Hoetger und Eugen Hoffmann betrachtet Kristina Hage die plastische Seltsdarstellung im Zusammenhang mit der Bedrohung durch den Nationalsozialismus. Sie stellt eine gesteigerte Tendenz zur Reflexion über die eigene Position in Gesellschaft und Kunst fest, die angesichts der Vorausahnung der existentiellen Bedrohung und Verfolgung dieser Künstler ausgelöst wird. Das Selbstbildnis als intime Innenschau ist dabei Gradwanderung und Rückzugsmöglichkeit zugleich.

Stefanie Müller stellt Überlegungen zur Motivfindung und künstlerischen Intention von Otto Dix’ Selbstbildnis mit Muse von 1924 an. Das Bild nimmt in der Verschränkung von realistischer Darstellung, symbolischer Verdichtung innerhalb der Tradition des Inspirationsgedankens eine Sonderstellung ein. Müller stellt heraus, dass Dix persönliche Intentionen mit klassischen Malereitraditionen verbindet und so eine doppelte Metapher erschafft, die Dix’ polemischen Realismus zu erklären vermag.

Ein dritter Beitrag zur Selbstbildnis-Thematik nimmt Frida Kahlo in den Blick. Cornelia Schertler untersucht die Manifestierung der Schmerzen in den Selbstdarstellungen der mexikanischen Malerin und nähert sich über das Selbstbildnis überhaupt der Eigenart der Kunst Kahlos, die aus Metaphern, Symbolen, Verweisen und Doppeldeutigkeiten ein eigenes Vokuabular formt. Sie sieht die Selbstbildnisse überhaupt als ausdrucksstärkste Bildsujets der Künstlerin an.

Desweiteren untersuchen die Beiträge folgende Themen: Rembrandts Bathseba von 1654 (Monika Jagfeld), Ein Denkmal für den Wiederaufbau Heilbronns (Markus Lörz), Prisonnier – Identitätskonzept im 19. Jahrhundert (Stephanie Marchal), Kunst auf dem Campus der Universität Karlsruhe (Ursula Merkel), Edward Kienholz: The Portable War Memorial (Edward Kienholz), Zu Konrad Farners Sammlung von Buchumschlägen (Bettina Richter), Eine Tour d’horizon durch die Berliner Mahnmalslandschaft (Christian Saehrendt), Karl Hofers Kampf gegen die Realitätsflucht in der deutschen Kunst nach 1945 (Andrea Schmidt-Niemeyer), Kritische Kunst in Deutschland seit dem I. Weltkrieg bis heute (Rosa von der Schulenburg), Zum Kolorismus im Schweizer Werk Ernst Ludwig Kirchners (Roland Scotti)  und Alfred Hrdlickas Kunst als Kontradiktion des Zeitgemäßen. Kunst gegen einen Idealismus nach 1945 (Christian Walda).

Interessant ist, dass zahlreiche Autoren eine stark biographisch ausgerichtete Deutung innerhalb ihrer Analysen einzelner Kunstwerke bevorzugen und sich somit einer traditionelleren und nützlichen, aber auch kontroversen Methodik verschrieben haben. Gerade im Text zu Frida Kahlo von Cornelia Schertler ist dies wohl aber zu einseitig geraten –  tiefergreifende Aspekte zur Verbindung mit Diego Rivera und zur politischen Seite ihrer Selbstporträts überhaupt, die weit über den eigenen körperlichen Schmerz hinaus weisen, sind wenig berücksichtigt. Doch das mindert die positive Einschätzung nicht:

Ein sehr gut lesbarer und anregender Aufsatzband, der thematisch anspruchsvoll einen großen Bogen mit komplexen Themen zum 20. Jahrhundert in Ost- und Westdeutschland schlägt – Kunst und Politik, diskursive Themen besonders der Nachkriegszeit, exemplarische Selbstbildnisforschung und Denkmal- und Mahnmalsthematik. Zugleich ein guter Einblick in die nachhaltige Motivation und Begeisterung, die Dietrich Schubert als Kunsthistoriker seiner ehemaligen Schülerschaft vermittelte.

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