Ausstellungsbesprechungen

Klaus Peter Dencker – SEHQUENZEN; Günter Grass-Haus Lübeck, bis 22. März 2016

Das Günter Grass-Haus in Lübeck widmet sich künstlerischen Doppelbegabungen, wie Grass es selbst als Autor und Grafiker gewesen ist. In den ersten Monaten diesen Jahres wird mit Klaus Peter Dencker ein Pionier der visuellen Poesie vorgestellt, dessen Plakatgedichte und Textlandschaften unter anderem von DADA und Ludwig Wittgenstein inspiriert sind. Stefan Diebitz hat die Ausstellung besucht.

Klaus Peter Dencker, der in diesem Jahr 75 Jahre alt wird, hat ein höchst vielseitiges Arbeitsleben hinter sich. Ursprünglich ein promovierter Literarhistoriker, war er zehn Jahre lang Redakteur und Filmemacher beim Saarländischen Rundfunk, wurde dann Professor für Medientheorie in Saarbrücken und Trier und endlich ab 1985 Leiter der Kulturbehörde in Hamburg. Als Künstler im Grenzgebiet von Literatur und Bildender Kunst ist er nicht sehr vielen Leuten bekannt, wohl aber besitzt er internationalen Ruhm und auch internationale Anhängerschaft.

Schon in seinen ältesten Arbeiten ist das Prinzip zu erkennen, das sein künstlerisches Gesamtwerk bestimmt: Es ist die Collage. Dencker schneidet aus – in jedem Fall Buchstaben, dazu kommen noch die verschiedensten Bilder (bevorzugt aus Zeitschriften), die gerne bunt sein dürfen und mit äußerster Akkuratesse auf ein Papier geklebt werden. Die Präzision seiner Arbeiten ist so groß, dass auf Fotos und Farbkopien die Schnittränder nicht mehr zu erkennen sind. Fast immer hat sein Papier DIN A4-Format, aber es sind nicht immer Blätter, sondern in manchen Fällen sind es auch eine Art Regale, so dass diese Arbeiten an die stark vergrößerten Fächer aus Setzkästen erinnern, die sich Mädchen mit allerlei Krimskrams an die Wand hängen. In jedem Fall besitzen eigentlich alle Arbeiten von Klaus Peter Dencker einen Rahmen. Bereits ihre Genauigkeit sowie ihre Buntheit und Kleinteiligkeit geben ihnen einen gewissen ästhetischen Reiz.

Typisch für Dencker sind Sequenzen, und so nennt er dann auch die Abfolge von sorgfältig aufeinander abgestimmten Blättern. Als eine der wichtigsten der in Lübeck ausgestellten Arbeiten ergeben fünfzehn Blätter mit teils längeren, teils kürzeren Zitaten aus dem »Tractatus logico-philosophicus« von Ludwig Wittgenstein und allerlei geklebten Figuren die »LW-Sequenz«. Die 1996 entstandene Folge versammelt Textstellen zum Thema »Bild« und »Wort«. Der Autor bezieht hier wie auch sonst nicht selbst Stellung oder kommentiert, so dass hier ein zweites wichtiges Prinzip deutlich wird: es ist nicht der Künstler, der dem Betrachter einen Sinn aufoktroiert, sondern es bleibt dem Betrachter überlassen, einen Sinn in das Werk zu projizieren. So wirkt das Ganze leicht rebusartig wie in den Rätseln vieler Illustrierten.

Eine von mehreren langen Sequenzen ist Ludwig Wittgenstein gewidmet, eine andere dem Begründer der Konkreten Poesie, Eugen Gomringer, dem Dencker freundschaftlich verbunden ist. Die wohl stärksten Arbeiten erzählen auch eine Geschichte (oder spielen ironisch mit einer solchen).

Dencker arbeitet nicht etwa fast immer, sondern tatsächlich ausschließlich mit vorgefundenem Material; dabei nimmt er in Anspruch, dass das Material seine Bedeutung mitbringt. Aber das tut es natürlich nicht, sondern das könnte es nur dann tun, wenn der Betrachter die Quelle (also etwa das Titelbild des »Time Magazin«, das Dencker häufiger verwendet hat) ebensogut kennt wie er selbst. Und das wird kaum jemals der Fall sein. Einmal – 1972, nach dem Attentat bei den Olympischen Spielen – zeigt er eine Eisenkugel (eine Kugelstoßkugel) in einem Setzkasten; angeblich ist es ein Gerät, das tatsächlich bei den Spielen Verwendung fand. Unter dem Titel »Kugel München 1972« hängt es nun in einem Setzkasten an der Wand. Mich erinnert das ein wenig an Reliquienverehrung.

In den letzten Jahren hat Dencker mehr Objekte gebastelt, für die man sich – wie für die Blätter – viel Zeit mitnehmen sollte, um das Spiel mitzuspielen, zu dem man aufgefordert wird, also etwa Wörter aus den Buchstaben zusammenzusetzen. Viele dieser Objekte sind dank der Penibilität und Sorgfalt des Künstlers und seinem Sinn für schöne Farben sehr ansehenswert.

Neben den Blättern und Objekten kann man sich auch noch drei experimentelle Filme aus Denckers Zeit beim Saarländischen Rundfunk anschauen.

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