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Klaus Sachs-Hombach (Hg.): Bildwissenschaft zwischen Reflexion und Anwendung, Köln, Herbert von Halem Verlag 2005

Im vorliegenden Aufsatzband sind eine Reihe von Vorträgen versammelt, die anlässlich des Kongresses „Bildwissenschaft zwischen Reflexion und Anwendung“ (24.-28. September 2004 an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg) gehalten wurden und deren Themen die Dimensionen der Bildwissenschaft ebenso ausloten wie auch ihre Umsetzung und Anwendung am konkreten Bild.

Der Herausgeber Klaus Sachs-Hombach hält einleitend im Vorwort fest, dass „Bilder […] teilweise zum unentbehrlichen Werkzeug, teilweise zum Gegenstand intensiver Forschung der verschiedensten Disziplinen geworden [sind].“ (Sachs-Hombach, S. 10) Grundlegendes Dilemma sei allerdings, dass trotz intensiver Anwendung von Bildern in den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen, bisher keine „übergreifende Konzeption“ beziehungsweise keine einheitliche Definition des Bildbegriffs entwickelt wurde. Mit den einzelnen Aufsätzen wurde daher der Ansatz verfolgt, die verschiedenen relevanten Positionen der Bildforschung zusammen zu tragen, die grundlagentheoretischen Reflexionen zu vermitteln und damit gleichzeitig erste Schritte hin zu einer Institutionalisierung der Bildwissenschaft zu unternehmen.

Schon die Überschriften der einzelnen Aufsätze lassen im Allgemeinen das Programm der Bildwissenschaft erkennen: Hier geht es um zeichentheoretische und anthropologische Grundlagen des Bildbegriffs, um bildliche Kommunikation und Perzeption, spezifische Formen und Charakteristika von Bildern, dem pictorial turn und damit um allgemeine Fragen nach dem Verstehen an sich sowie der Weltaneignung über das Bild. Das künstlerische Bild beziehungsweise das Kunstwerk und kunsthistorische Debatten werden in der Bildwissenschaft ausgeschlossen, was damit begründet wird, dass nur ein Bruchteil der Bilder, die im Alltag sowie den kunstfernen Wissenschaftsdisziplinen Anwendung finden, überhaupt in Folge künstlerischer Ambitionen entstanden sind. Diese Bilder, die keine künstlerischen Produkte sind, folgen – so die These – auch eigenen Regeln und Gesetzmäßigkeiten, deren Erforschung sich die Bildwissenschaft verschrieben hat.

Aus diesem Zusammenhang begründet sich auch die enge Verquickung der verschiedensten Disziplinen. Die Frage „Was ist ein Bild?“ lässt sich tatsächlich nicht mit einer Definition befriedigend beantworten. Die Vorstellung vom Bild, das im engeren Sinne eine Darstellung von etwas zeitlich und physisch Abwesendem ist, kann allein dadurch erweitert werden, dass auch von Spiegelbildern, Vorstellungs- und Traumbildern, sprachlichen Bildern oder auch von Menschen- und Weltbildern die Rede ist. Aufgrund dieser Unbestimmtheit hat der Bildbegriff ästhetische, zeichentheoretische wie erkenntnis- und bewusstseinstheoretische oder selbst ethische und anthropologische Aspekte. Die Suche nach den „Leitkategorien“ (Wiesing, S. 149) des Bildes ist daher eine disziplinär umfassende Aufgabe, der die einzelnen Autoren im vorliegenden Sammelband durch ein breites Spektrum an Themenschwerpunkten genüge leisten. In den zwei Abteilungen der Aufsatzsammlung werden zunächst die Grundlagen der Bildwissenschaft vorgestellt, die bei der Diskussion beteiligten Disziplinen aufgeführt, die Methoden dargestellt und die Bildphänomene und Bildbedeutungen erläutert. In der zweiten Abteilung werden Probleme der Bildwissenschaft im Bereich Kunst und Design, Fotographie und Film sowie im Bereich der Computervisualistik dargelegt und diskutiert. Im folgenden sollen drei repräsentative Positionen aus der Aufsatzsammlung dargestellt werden.

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Im ersten Aufsatz der Sammlung hält Peter Schreiber fest, dass „die zunehmende Bedeutung bildlicher Informationen […] eine weitere Ausdehnung der Logik [erzwingt]“ (Schreiber, S. 14). Die in einem Bild vorkommenden syntaktischen Strukturen werden vom Rezipienten interpretiert und lassen ihn so zu mehr oder weniger subjektiven Deutungen kommen, die nur einen gewissen Wahrscheinlichkeitsgrad haben. Der so gewonnene Sinneseindruck kann, so Schreiber, „die individuell verschiedene Vielfalt möglicher Deutungen des Gesehenen als grobes Maß für die Erfahrung des Betrachters im gegebenen Zusammenhang gelten […], die Korrektheit der gezogenen Schlüsse als Maß für sein logisches Denkvermögen.“ (Schreiber, S. 14) Schreibers grundsätzliches Anliegen ist es, die Methoden der klassischen Logik auch auf die Eigenschaften des Bildes anzuwenden und gleichzeitig auf die Abweichungen in der Anwendung der Methodik hinzuweisen beziehungsweise die Erweiterung der Logik zu kennzeichnen. Grundsätzlich unterscheiden sich die Klassische Logik und die „Bildlogik“ in dem Punkt, dass der „Interpretation im Sinne der traditionellen Logik eine bestimmte Sprache zugrunde liegt, in deren Grammatik schon fixiert ist, was Variablen und was Konstanten sind.“ (Schreiber, S. 21) Bei bildlichen Mitteilungen verschwindet dieser Unterschied, „weil es (von speziellen Bildtypen abgesehen) weder eine feste Grammatik noch einen Unterschied zwischen Interpretation und Belegung gibt.“ (ebd.) Schreiber versucht auf syntaktischer Ebene eine Zusammenführung von logisch sprachlichen Mitteilungen und Bildern. Die Logik verlangt als Schlussfolgerung immer eindeutige und wahre Aussagen. In der von Schreiber hier vorgeschlagenen Bildlogik kommt es über die Interpretation bildlicher Mitteilungen ebenfalls zu einer Aussage, die zumindest graduell wahr ist. Der Wahrheitsgrad ist abhängig von der Eindeutigkeit der Anordnung und Darstellung bildlicher Mittel. Als ein Beispiel hierfür zieht Schreiber die Montagezeichnung heran. Eine unklare bildliche Anweisung für die Montage eines Gegenstandes würde verschiedene Deutungen mit gleicher Wahrscheinlichkeit ergeben. Durch versuchsweise durchgeführte Prozesse versucht der Rezipienten, weitere optische Eindrücke zu gewinnen. Diese werden den über die Montageanweisung vermittelten Deutungen alternativ gegenüber gestellt, was letztlich zu einer eindeutigen Bewertung der Deutungen führt und damit zu einer wahren Aussage.

Der hier von Schreiber angeführte Bildbegriff entspricht weitgehend dem eines Zeichens. Das Bilder Zeichen sind, ist zwar nicht generell zu bestreiten, es ist aber zu hinterfragen, ob alle Bilder als Zeichen zu bewerten sind. Diese Prämisse ist in ihrer Gültigkeit bezweifelt worden. Gerade Bilder, die ohne entsprechende Referenz bleiben oder nichtgegenständlich sind, entziehen sich dieser Interpretation. Diese in der Phänomenologie begründete Auffassung der Andersartigkeit und Selbstständigkeit des Bildes gegenüber dem Zeichen trägt vor allem Lambert Wiesing vor. Wiesing wies bereits an anderer Stelle darauf hin, dass es nur zwei Verwendungsweisen des Bildes als Zeichen gäbe: Bilder als Zeichen für Gegenstände und Bilder als Zeichen für Sichtweisen beziehungsweise Stile [1]. Mit der wachsenden Bedeutung des computergenerierten Bildes, gewinnt das Bild eine neue Dimension. Dieser Bildtypus ist kein Abbild, sondern ein nichtzeichenhaftes und damit selbstreferenzielles Bild, das auf kein Abwesendes verweist. Im vorliegenden Band weist Wiesing in seinem Aufsatz „Methoden der Bildwissenschaft“ zudem auf die spezifische Eigenschaft des Computerbildes hin: Dieses Bild ist nicht nur virtuell, sondern auch interaktiv, das heißt, dass der Betrachter – oder besser User – die Möglichkeit erhält, das Bildobjekt als Bildobjekt zu verändern und zu steuern. (vgl. Wiesing, S. 152) Das interaktive Bild besitzt damit eine performative Instanz. Wiesing weist darauf hin, dass dieser Aspekt eine wiederholbare Handlung ermöglicht, deren Vollzug am Bild eine ästhetische Dimension besitzt: „In dieser Hinsicht wird das Ausprobieren einer Handlung zu einem ästhetischen Vorführen der Handlung.“ (Wiesing, S. 153) Diese computergenerierten Bilder besitzen neben den semiotischen, wahrnehmbaren und stilistischen Aspekten eine „neuartige pragmatische und performative Dimension“, die – und das ist das Besondere – nicht der Bildträger besitzt, sondern das sichtbare Objekt.

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Die von Wiesing beschriebene performative Dimension des interaktiven Bildes greift Andreas Schelske in seinem Beitrag „Bild als Link: Die gesellschaftliche Pragmatik der Bilder in multimedialen Systemen“ auf und erweitert sie in Hinblick auf den Aspekt, dass nicht nur der Anwender kommunikativ auf das Bild reagieren kann, sondern dass das Bild auch in Form eines sog. Avatar (virtueller Stellvertreter) mit dem Anwender gestisch oder mittels sprachlicher Anweisung interagiert. Die Wahrnehmung eines solchen Bildes geschieht dann nicht mehr nur über die Deutung bildlicher Mittel, sondern in Folge einer ganzen Reihe von ständigen Neuinterpretationen des Gesehenen. Schelske hält dazu fest: „Die Bedeutung von Bildern in multimedialen Systemen ist der interpretierte Begriff, der infolge bildhafter Wirkung als auch infolge der Interaktionsmöglichkeit mit computergenerierten Bildern entsteht.“ (Schelske, S. 512) Diese Aspekte wirken sowohl auf das Bild als sichtbares Objekt, als auch auf den Vorgang des Sehens und Erkennens an sich. Ein Bild präsentiert syntaktisch modellierte Sichtbarmachung von Darstellungs- und Erkennungscodes, gibt damit nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar [2]. Mit dem interaktiven Bild, das auf kein Abwesendes verweist, wird auch eine neue Form des Sehens möglich, nämlich das medienvermittelte Sehen, das über das Bild ein raumunabhängiges Handeln ermöglicht. Letztlich ist diese Form des Sehens darauf angelegt, „mittels Sichtbarkeit kommunikativ zu wirken.“ (Schelske, S. 516) Im Folgenden versucht Schelske anhand von zehn „Leitideen“ die Dimensionen des interaktiven Bildes zu verbalisieren und kommt resümierend zu dem Schluss, dass gegenwärtig die Bildkommunikation den „beschleunigten sowie inhaltlich gesteigerten Daten- und Wirklichkeitsanalysen der sozial konstruierten Welt [dient].“ (Schelske, S. 527) Er hält allerdings auch fest, dass „trotzdem […] die Bedeutungen als auch Leitideen der Bilder nicht stabil [bleiben]. Jede Gesellschaft bestimmt den Gebrauch der Bilder, welche Leitideen in jeweiligen Verwendungskontexten bedeutsam werden.“ (ebd.)

Schelskes Schlussbemerkung ist signifikant für die im gesamten Aufsatzband geführten Diskussionen. Die vielen verschiedenen Sichtweisen auf den Forschungsgegenstand Bild, führen nicht zu einer gesicherten und einheitlichen Definition des Bildbegriffs. Offensichtlich scheint, wie in vielen Diskussionsfeldern der Philosophie, die Komplexität historisch und kulturell gewachsener Begriffe nicht in einer Definition fassbar. Viele dieser Ansätze verdeutlichen eher die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Begriff Bild, und auch scheinbar feststehende und gesicherte Erkenntnisse zu diesem Begriff, wie den Charakter des Bildes als Referenz / Zeichen eines Abwesenden, müssen bei genauer Betrachtung durch ein weites Spektrum an Aspekten, wie die des interaktiven Bildes, stets erweitert werden.

Das macht die Diskussion aber wieder interessant. Zur Philosophie gehört die Diskussion, und so ist es zudem ein signifikantes Merkmal der Moderne, dass die so sicher geglaubten Fundamente unseres sprachlichen Apparates weit verzweigt im unergründlichen Dunkel liegen. Möglicherweise kann auf die Frage nach dem Bild nur eine Disziplin eine wirkliche Antwort liefern und zugleich den Gegenstand kaleidoskopisch erweitern: Die Kunst.
 

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