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Konflikte trieben ihn um - Nachruf auf Bernhard Heisig, gestorben im Juni 2011

Der Maler, Grafiker und Zeichner Bernhard Heisig gilt als einer der wichtigsten Vertreter der DDR-Kunst. Neben Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer war er Mitbegründer der "Leipziger Schule".

Wenn der Maler Bernhard Heisig bei Atelierbesuchen mit Gästen redete, klang seine Stimme unprätentiös. Langsam und leise sprach er mit dem schönen Timbre einer Baritonstimme. Argumente trug er nicht nachdrücklich vor, ohne rhetorischen Aufwand. Im Gespräch wirkte er daher nicht autoritär, was ich gern hingenommen hätte, weil man von einem Künstler diesen Ranges Erklärungen zu allen Lebensdingen stolz als Zitate mit nach Hause nehmen könnte.

Heisig hat seine Gedanken stringent entwickelt, führte sie bündig, schnitt dabei Nebenwege ab, um auf den scharfen Punkt einer unerbittlichen Feststellung hin zu steuern. Hoffnung auf etwas, das andere ins Spiel brachten, geriet schnell ins Lächerliche. Glaube an Besserung der Menschen, gar ihrer Belange in naher oder ferner Zukunft, wies er zurück. Skepsis drang immer durch. Dieser Haltung wohnte dennoch etwas Nobles, mithin Tröstliches inne. Es erschien mir so, als ob der Künstler nur dem Furor seiner Malerei traute, den Farbeffekten, dem stets an die Nerven rüttelnden Reiz ihrer Durchdringungen und Überlagerungen und an eine süffisante ästhetische Oberfläche. Ausgehandelt hatte er sein malerisches Verfahren im Dialog mit Adolf von Menzel. Das Ergebnis vermischte er wütend mit seinen Katastrophenthemen.

Eine zweite Ebene, die der Sprache, wollte er nicht öffnen. Es war als ob er nur einmal wild sein wollte, eben als Maler und nicht als Redner. Er stopft und schichtet Menschenmassen im „Turmbau zu Babel“, in seinen Kriegs- und Epochen-Panoramen in zu enge Schachtelräume, die keine Auswege bieten. Klaustrophobische Atemnot und Luftschnappen des Handlungspersonals springt auf den Betrachter über. Heisigs Prinzip hat sich bis ins Regietheater durchgesetzt. Michael Thalheimer könnte es von Heisig abgeguckt haben, wenn er in seinen Inszenierungen von Gerhart Hauptmanns „Ratten“ im Deutschen Theater und in Leo Tolstois »Macht der Finsternis« (Schaubühne) mit allergrößtem Erfolg Bühnenkästen mit Wegschneisen konstruiert, die eng wie Maulwurfgänge sind, in denen die Menschen ihr Elend mit aufgerissenen Mäulern nur gebückt verhandeln können. Geschrei, Würgen und Drängen, alle Qualen der Soldaten im Krieg in metaphorisch enge Räume gepresst, zeigt Heisig schon ganz früh. In »1848 in Leipzig« (1954/58), den »Geraer Arbeitern am 15. März 1920« (1960/1984) und in der »Pariser Commune« (1971/72) offenbart sich zunehmend, dass diese künstlerische Strategie keine Trennung mehr von Siegern und Besiegten zulässt. In der Darstellung von Revolutionen, Kriegen und Aufständen kann es bei Heisig keine Helden geben. Diese Ansicht perfektioniert der Maler inbrünstig. Er provoziert, ob gewollt oder ungewollt. So in den Varianten vom »Weihnachtstraum des unbelehrbaren Soldaten«, im Panorama-Bild »Zeit und Leben« (Cafeteria im Reichstag), zuletzt in »Menschen, Kriege, alter Maler« (2004 vollendet).

Um seine Bilder vor Ort, in Ausstellungen oder bei Galeristen jeder Zeit unauffällig in diesem Sinn weiter entwickeln zu können. Auch dann, wenn sie längst verkauft sind, trägt er Pinsel und Ölfarbe stets in Hosentaschen bei sich.

Mit seiner Haltung des unklar definierten Feindbildes musste der Maler in Konflikt zu den Theorien des Sozialistischen Realismus geraten. Daraus resultieren in der DDR im folgenden Aufstieg und Brüche seiner Karriere an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Zweimal wird er neu- und abberufener Rektor. Er richtet in dieser traditionsgemäß grafischen Hochschule die erste Malklasse ein. Sie wird sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur „Leipziger Schule“ entwickeln. Seine prominenten Nationalpreise gibt er 1989 zurück.

Doch wieso ist Heisig ein unverrückbarer Konfliktdenker? Als Jugendlicher wird er mit dem Krieg konfrontiert. Bekannt ist, dass Bernhard Heisig sich freiwillig zur Waffen-SS meldet, sich 1943 sogar für deren Panzerdivision entschieden hat. Diese Tatsache verschwieg er nicht wie andere Künstler und Schriftsteller, sondern er stellt die eigene Mittäterschaft lebenslang in seiner Kunst als schuldhaftes Versagen dar. Aber er verlangt ein Erinnern und Nachdenken über derartige Täterschaft auch von den anderen. Darum schiebt er sie alle in die klaustrophischen Räume der Geschichte und Gegenwart hinein, so dass sie in den Sog ihrer Schlünde, einer Art modernem Fegefeuer, geraten. Dieses Thema bleibt Agens seiner künstlerischen Reflexion. Bis Kriegsende war der Jungendliche in das brutale Kriegsgeschehen einbezogen. Seine ersten Erlebnisse sind also nicht die erotischen Nöte, die Frank Wedekind von Pubertierenden in »Frühlingserwachen« geschildert hat, mit denen er 1906 die bürgerliche Gesellschaft schockierte. Das Lebensmotto, das Heisig prägt, ist das Ausgeliefertsein des Individuums im Krieg, der Kampf um Leben und Tod. Nach dem Krieg, in der DDR, wird dem Künstler diese harte Erfahrung zu gute kommen. Politische Konflikte können ihm kaum etwas anhaben. Der Konfliktbewältiger gestaltet immer umfassendere Epochenbilder. Eduard Beaucamp hat Heisig den Schöpfer einer „Katastrophen - Ikonografie“ genannt.

Bei allem Sinn für Geschichte und Politik, die an Heisigs Werk herausgestellt worden ist, sollte nicht an den Rand rücken, dass der Maler einen überragenden Sinn für andere Künste, die Musik und Literatur hatte. Vaclav Neumann, der Dirigent, ist so feinnervig und innig porträtiert worden, dass man beim Wunderbaren dieses Bildnisses von einem besonderen Verhältnis des Künstlers zur Musik ausgehen kann. Das Porträt des Leipziger Gewandhaus Dirigenten Kurt Masur verrät ähnliche Stärken. Die Vorliebe für Literatur älterer Epochen, die Heisig zu einem lithografischen Interpreten unserer Zeit reifen ließ, ist noch längst nicht ausreichend dargestellt. Einsam, aber wütend liest er sich durch diese Literatur hindurch und schleudert dazu seine lithografischen Kommentare heraus.

Bernhard Heisig war verheiratet mit Gudrun Brüne. Sie ist an seiner Seite eine große Künstlerin geworden. Mit ihren zerbrochenen Puppenspielen hat sie uns in ihren Arbeiten das Wesen des Marionettentheaters in der Deutung Heinrichs von Kleist näher gebracht. Bernhard Heisig, selber Sohn eines Malers, gelang es, seine beiden Söhne zu bedeutenden Künstlern heranzuziehen. Heisig überflügelte die DDR, die Wende, das 20. Jahrhundert. Nun gehört er zu den wichtigsten Künstlern unserer Zeit. Wie unergiebig erscheint dann die immer wieder gestellte Frage, ob Heisig nun ein Staatskünstler war oder nicht.

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