Ausstellungsbesprechungen

Kopie, Replik und Massenware, Staatliches Museum Schwerin, bis 27. Januar 2013

Das überaus rührige Staatliche Museum Schwerin hat eine facettenreiche Ausstellung über ein zuletzt häufiger diskutiertes Thema auf die Beine gestellt: Es geht um die Kopie, deren Wertschätzung in den fünf Jahrhunderten, die in Schwerin zur Darstellung kommen, stark schwankte. Stefan Diebitz hat sich die Ausstellung angeschaut.

Wie anders Kopien noch vor hundert Jahren bewertet wurden, kann man an einer Nachahmung von Tizians »Himmlische und irdische Liebe« sehen, die 1903 vom Schweriner Museum erworben wurde – wohlgemerkt im Wissen darum, dass es sich nicht um ein Original handelte. Für die Verantwortlichen stand außer Frage, dass bereits eine gelungene Kopie des so berühmten Werkes ein Hauptanziehungspunkt ihres Museums werden könnte. Deshalb stellten sie es selbstverständlich auch aus. Aber schon wenig später wurde das großformatige Bild in das Depot verbannt, aus dem es nach langen Jahrzehnten erstmals wieder auftauchen durfte. Nur für kurze Zeit, denn heute, so scheint es, fehlt dem Gemälde trotz seiner unbestrittenen malerischen Qualität die Aura. Als Kopie ist es nicht dem Original gleichzusetzen. Der Kopist Stanislaus Scamossi ist einem Tizian keinesfalls ebenbürtig, und deswegen läuft es dem Betrachter auch nicht kalt über den Rücken, wenn er vor dem Bild steht.

»Kopie, Replik & Massenware« beschäftigt sich mit allen Fragen, die mit Kreativität, Autorschaft oder Einzigkeit zu tun haben. Die bunte und in allen Teilen interessante Ausstellung ist als eine sehr perspektivenreiche, von Kristina Hegner engagiert kuratierte und temperamentvoll eingeleitete Schau in vier große Bereiche gegliedert. »Bilder des Glaubens«, »Fürstliche Repräsentation am mecklenburgischen Hof«, »Kunst für Sammler und Liebhaber« und »Schaulust und Bildung« sind die Säle überschrieben. Der rote Faden der Ausstellung ist in den Worten der Kuratorin die »Kunst als Instrument der Bildung und Mittel zur Propagierung einer bestimmten Idee«.

Das Thema einer solchen Ausstellung muss weit in Sozial- und Kulturgeschichte hinüberreichen. Die »Bilder des Glaubens« zum Beispiel sind unmöglich ohne das religionsgeschichtliche Umfeld zu verstehen. Das gilt bereits für in Serie hergestellte Andachtsbilder des späten Mittelalters, natürlich aber noch viel mehr für alle Bilder, die der Verbreitung des reformierten Glaubens oder der Gegenreformation dienten. Ein schönes Beispiel für seriell hergestellte Reliefs sind die Arbeiten Albrechts von Soest, der aus Papiermaché Porträts von Martin Luther und Philipp Melanchthon herstellte. Auch Lucas Cranachs auf standardisierten Tafeln gemalte, in ungezählten Exemplaren festgehaltenen Bildnisse des Ehepaares Martin Luther und Katharina von Bora stehen wohl jedermann vor Augen.

Der schon wegen der bunt leuchtenden Wappenscheiben farbigste Raum ist den Fürstenbildnissen am Schweriner Hof gewidmet. Selbstverständlich gilt auch für diese Porträts, dass man sehr genau wusste, dass es Kopien waren, welche die Sammlungen ergänzen sollten. Schließlich war es meist der Fürst selbst, der den Kopisten irgendwohin schickte, damit dieser die allerhöchste Sammlung durch diesen oder jenen Kopf ergänzte. Ähnlich ging es bei den Antikensammlungen zu. Die Ausstellung präsentiert eine ganze Reihe von schönen Marmorarbeiten von Johann Jürgen Busch, der in Rom lebte und dort Kopien für seinen Herzog herstellte.

Interessanter noch und sicherlich viel weniger bekannt sind die Korkmodelle antiker Bauten. Während Veduten einer persönlich eingefärbten Erinnerung an die Grand Tour junger Adliger gewidmet waren und das zeitgenössische Leben mit zahlreichen Figuren abbilden, vermitteln die niedlichen Modelle aus Kork – obwohl natürlich alle Personen fehlen – einen äußerst lebendigen Eindruck der Architektur, den man in der Ausstellung mit der Wirkung zeitgenössischer Stiche derselben Objekte vergleichen kann.

Eine außerhalb des armen Mecklenburg wenig bekannte Besonderheit ist der
»Ludwigsluster Carton«. Dass geschickte Handwerker mit Papiermaché beinah meisterhaft Marmor imitieren konnten, wusste man auch anderswo, aber in Ludwigslust wurde das Verfahren perfektioniert – auch oder vor allem, um Geld für den kostbaren Stein zu sparen. In dem prachtvollen, südlich von Schwerin gelegenen Schloss sind die regenbeständigen Statuen aus Carton selbst im Park zu bewundern. In der Ausstellung findet sich eine ganze Reihe von lebendig gearbeiteten, meist recht kleinen, eigentlich immer sehr hochwertigen Porträtbüsten, entweder Kopien von Antiken oder aber Porträts lebender Fürsten.

Stand zunächst das Repräsentationsbedürfnis absolutistischer Provinzfürsten im Mittelpunkt, die sich mit Kopien oder Repliken begnügten, falls das Original nicht zu erhalten war, so rückte im 19. Jahrhundert zunehmend das Bildungsbedürfnis in den Vordergrund. Es ging darum, »die Ausbildung des guten Geschmacks immer mehr zu befördern«. Zweifellos brauchte die Aufklärung lange Jahre bis nach Mecklenburg, aber irgendwann erreichte sie auch dieses Land, und die Fürsten begannen vermehrt an ihre Untertanen zu denken. Zusätzlich waren Kopien oder Gipsabgüsse wichtig für die Ausbildung der Künstler, die nach ihnen zu zeichnen lernten.

Ähnlich anregend wie die Ausstellung ist der sehr empfehlenswerte Katalog, von dessen Aufsätzen einige allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Das gilt besonders für die Beiträge von Kristina Hegner, die die vier Kapitel einleitet. In einem besonders interessanten Aufsatz geht Gerhard Graulich den Spuren Marcel Duchamps nach, der 1919/20 die »Mona Lisa« spektakulär verunstaltete und ihr zudem noch einen höchst eigenartigen Titel mit auf den Weg gab. Die eigentlich sinnlose Buchstabenfolge klingt, wie ich aus dem Aufsatz lerne, wie »Elle a chaud du cul / Sie empfindet es warm am Gesäß«. Aber warum wird eine Ikone des Dadaismus in diesem Zusammenhang behandelt? Natürlich deshalb, weil sich Duchamps freches Bild vor allem gegen massenhafte Reproduktion und Verbreitung des Bildes richtete, das manche Kunstfreunde schon längst nicht mehr sehen mögen; Duchamp scheint es ähnlich gegangen zu sein.

Genauso interessant wie Graulichs Artikel ist ein Beitrag von Kornelia Röder über die »Mail Art«. In dieser Kunstrichtung stellen sich wie in der Ausstellung Fragen nach der Bedeutung von Originalität, Autorschaft und Schöpfertum. 1989, so lerne ich, gab es sogar irgendwo ein »Festival of Plagiarism«. Das ist die Schweriner Ausstellung in gewisser Weise ja auch.

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