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Kratzer in der Mauer - Nachruf auf Antoni Tàpies

Als bedeutendster Informel-Künstler seines Landes geht der katalanische Maler, Grafiker und Bildhauer Antoni Tàpies in die Annalen der Kunstgeschichte ein. Am 6. Februar verstarb er im Alter von 88 Jahren in seiner Wohnung in Barcelona.

»Im Grunde habe ich in meinem Leben nur ein einziges Bild mit unzähligen Variationen gemalt«, gestand der Autodidakt in einem Interview. Mit der Malerei begann er Anfang der 1940er Jahre, nachdem er sein Jurastudium abgebrochen hatte.

Tàpies ging es stets um eine besondere Art der Wahrnehmung bzw. eine damit einhergehende Erfahrung, die er beim Betrachter herbeiführen wollte. Dabei handelt es sich um eine Art religiöses Erlebnis. »Meine Malerei ist eine Meditation über die Natur des Menschen, über Leben und Tod«, sagte er.

Um diese Art der Wahrnehmung des Sakralen für den Betrachter erlebbar zu machen, entwickelte der Künstler nach Kriegsende eine eigene Bildsprache. Er ließ sich von Surrealisten wie Joan Miró oder Max Ernst beeinflussen. Aber auch Picasso, den er 1951 in seinem Pariser Atelier in der Rue des Grands Augustins besuchte und die Art brut trugen ihren Anteil an seiner Malerei. Tàpies begann, Alltagsgegenstände in seine Gemälde zu integrieren, modellierte Texturen aus Sand, Farbe und Marmorstaub. Er wollte die ganze Kraft des Mysteriums von Leben und Tod vermitteln, bei der die Materie Auslöser für spirituelle Erfahrungen sein kann.

Bereits als Kind faszinierten ihn die Risse und Kratzer an den uralten Mauern im gotischen Viertel Barcelonas, die er auf dem Weg zu seinen Großeltern passierte. Die Wand bot für ihn unzählige Resonanzmöglichkeiten: »Klagemauer, Gefängnis, Spuren der Naturkräfte, Eindrücke von Kampf oder von Aufbau und Erhebung, romantischer Zauber von Ruinen«, wie er in seinem Essay »Die Mauer als Ausdrucksmittel« schreibt. Die Zeichen suggerieren die Anwesenheit eines Menschen, zeigen seine Spuren. Tàpies übertrug dieses Prinzip in seine Arbeiten, übersäte sie mit Flecken, Kreuzen, Kreisen, Rechtecken und anderen geometrischen wie symbolischen Formen. »Diese Zeichen setze ich spontan, intuitiv […] wenn ich ein Zeichen setze, ein X oder eine Kreuz oder eine Spirale, empfinde ich dabei eine gewisse Freude. Ich sehe, dass das Bild mit diesem Zeichen eine bestimmte Kraft bekommt«, erklärte er.

Seine mystischen Arbeiten brachten den Künstler und Theoretiker ins New Yorker Museum of Modern Art, mehrfach zur documenta und zur Biennale Venedig. Über 50 Auszeichnungen wurden ihm im Laufe seines Lebens zuteil. Seine Materialästhetik hatte Tàpies bekannt gemacht und sie beeinflusste viele nachfolgende Künstler. Trotz seines Ruhms scheute Tàpies jedoch die Öffentlichkeit. Er führte ein zurückgezogenes Leben an der Seite seiner Frau.

So wie die Fußspuren auf einem Werk seines Tagebuchs in Bildtafeln »Dietari I-V« (2002) an jemanden erinnern, der bereits gegangen ist, erinnern sie jetzt an den Künstler selbst. Antoni Tàpies hat durch sein Werk Spuren im kollektiven Gedächtnis hinterlassen und wird dadurch immer weiterleben.

Weitere Informationen

Bis zum 19. Februar zeigt das Museum für Gegenwartskunst Siegen eine Ausstellung zu Antoni Tàpies unter dem Titel »Bild. Körper. Pathos«.

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