Meldungen zum Kunstgeschehen

Kunst in Stuttgart Spezial: Achtung, Art Alarm!

Adieu, Sommer! Bonjour, Herbst! Und der beschert den Stuttgartern auch 2016 wieder den Galerienrundgang »Art Alarm« mit zahlreichen Ausstellungen, Sonderöffnungszeiten und in den Ausstellungen anwesenden Künstlern, die für Gespräche mit den Besuchern bereitstehen. Günter Baumann gibt einen Überblick.

Kunst in Stuttgart
Kunst in Stuttgart

Am 24. und 25. September 2016 findet in Stuttgart der 17. Art Alarm mit 22 Galerien statt. Während die Galerienlandschaft im Jahr 2015 herbe Verluste zu verzeichnen hatte, zeigt sich der Saisonauftakt 2016 in erfreulicher Qualität. Das Spielfeld hat sich gegenüber der letztjährigen Herbstpräsenz im Niveau als stabil erwiesen – ein gutes Zeichen in unruhigen Zeiten, mit der Botschaft: der Galerienstandort Stuttgart kann mit der Konkurrenz auf Bundesebene mithalten. Die Zuschauer dürfen sich auf ein spannendes Wochenende freuen, dessen Akteure Beine machen: immerhin schicken die Top-Galerien der Stadt fast 40 Künstler ins Rennen.

Die Galerie Abtart holt mit der Arnulf-Rainer-Schülerin Irene Andessner eine österreichische Medienkünstlerin nach Stuttgart, die in wechselnden Kostümen, Frisuren und ›Masken‹ über die Anverwandlung fremder Identitäten nachdenkt – in einer Kombination von Performance, Theater, Film und Fotografie. Über die Gattungsgrenzen hinaus gehen auch die Künstler der Galerie Klaus Braun: Matthias Lutzeyer, Donald Martiny und Pino Pinelli betreiben skulpturale Malerei – mal tiefschwarz, mal farbig und pigmentstark. Die Farbe wird dabei zum Bildträger ihrer selbst. So materialexotisch diese Malerbildhauer auftreten, so vielfältig zeigt sich Willi Sibers Werk in seiner Einzelausstellung bei der Galerie von Braunbehrens mit seinen monochrom lackierten Röhrenknäueln sowie weniger bekannten Wandarbeiten. Vitale Kraft im formalen Ausdruck verbindet sich mit der wechselhaften Präsenz der Lichtspiegelungen.

Der ungarische Maler Andràs Pinczehelyi ist zu Gast bei der Galerie Dengler und Dengler und erfüllt seine Interieurs, Landschaften und Stillleben mit einer drastischen Alltagsrealität, anknüpfend an die barocke Hell-Dunkel-Malerei Caravaggios – auf dessen ›chiaroscuro‹ sich der Ausstellungstitel bezieht. Nicht weniger eindringlich ist die schwule Underground-Welt des früh verstorbenen Amerikaners Patrick Angus, an den die Galerie Thomas Fuchs erinnert. Seine selbstreflexive Haltung ließ den Maler lange im Schatten der grellen Szene stehen, doch erleben wir zurzeit eine Wiederentdeckung in den USA und in Europa, die flankiert wird von einem Hatje-Cantz-Band zum Schaffen des Künstlers. Ebenfalls international bekannt ist seine Landsmännin Josephine Meckseper, deren neue, hochästhetische Werkgruppe – angesiedelt zwischen Dada und Bauhaus, Verweigerung und Funktionalismus – bei der Galerie Reinhard Hauff zu sehen ist. Dort ist sie mit fünf Einzelausstellungen schon ein Stammgast, wie es Gerold Jäggle bei Andreas Henn ist, der zum dritten Mal figurative Bronzen und Druckgrafik des Künstlers zeigt. Für beide Gattungen hat sich der Künstler spezielle Verfahren ausgedacht, die das Werk besonders erscheinen lassen.

Amrei Heyne präsentiert eine Einzelausstellung mit Arbeiten des Architekturfotografen Roland Halbe, dessen klare Bildsprache sich mit der gebauten Realität auseinandersetzt, egal ob sie sich im Konzerthaus oder Kindergarten manifestiert. Trotz klarer Positionen gibt der Fotograf auch seiner Leidenschaft fürs Motiv freien Raum, was seine Arbeiten über reine Dokumentationskunst hinweghebt. Konzentriert geht es in der Gruppenausstellung der Galerie Hollenbach zu, die unter dem Titel »Lichtbild« minimalistische, konzeptionelle und monochrome Arbeiten zeigt von Chiara Dynys über Jakob Gasteiger, Herbert Hamak, Jane Harris sowie Magdalena Jetelová und Jus Juchtmans bis hin zu Hans Kupelwieser, Robert Schaberl und Bill Thompson. Die neun zeitgenössischen Positionen zum Licht setzen eine lange Tradition mit neuen Bildträgern, Materialien und Techniken fort. Die Galerie Keim widmet sich zwei figurativen Positionen, zum einen mit reichlich derangierten Akten der Bildhauerin Brele Scholz, zum anderen mit expressiven Menschenbildern des äthiopischen Malers Nigatu Tsehay – die anatomischen Zerrbilder können als Zeitzeichen einer global angegriffenen Gesellschaftsrealität gesehen werden.

Die Ausstellung »Intermedia Art, Revisted« bei Brigitte March holt die Mixed-Media-Installation »Garden of Absents« der Medienkünstlerin Concha Jerez, Pionierin im Umgang mit neuen Technologien, vom ZKM in Karlsruhe nach Stuttgart. Spielt sie mit Bildern des 20. Jahrhunderts, indem sie diese in Verbindung mit Bild, Sprache, neue Medien, Musik und Bühne stellt, bietet Gert Wiedmaier in der Galerie Merkle auf andere Weise eine »Aussicht auf Erinnerung«, so der Titel einer in Havanna/Kuba entstandenen Fotoserie und anderen Bildern, die er durch Doppelbelichtung oder auf bewährte Weise unter Wachsschichten verunklärt. Neu sind Filzarbeiten, auf denen Siebdrucke zu sehen sind. Der Weltraum, fokussiert in Konferenzräumen in Verbindung mit Porträts, gehört zum Projektfeld des Fotografen Timm Rautert, der im Art-Alarm-Monat seinen 75. Geburtstag feiert: bei Parrotta Contemporary Art. Neben diesen Arbeiten, die in der Food and Agriculture Organization of the United Nations und im Hauptquartier der Guardia di Finanza in Rom aufgenommen wurden, fragt Rautert in einer anderen Bildserie, ob die Fotografie ein Fenster zur Welt oder die Welt selbst sei.

Drei Stars der Stuttgarter Kunstszene fügt Marko Schacher zu einem »Fremdkörper«-Trio zusammen: Tillmann Damrau mit seinen teils unbeholfen, teils fashionlike agierenden Zeitgenossen, Tesfaye Urgessa mit seinem fragilen, aber doch selbstbewussten Personal sowie Wolfgang Neumann mit seinen Wahnfiguren aus einer exhibitionistisch-theatralen Welt. Die so genannten Fremdkörper sind aber womöglich wir, die Betrachter. Die Galerie Schlichtenmaier beschäftigt sich mit der »Ambivalenz der Dinge«, wie sie sich im Werk Werner Pokornys zeigt: in der Ausstellung konzentriert auf das Haus, mal aus Stahl, mal aus Holz. Wie vielfältig und vielschichtig ein ohnehin seit der Sesshaftwerdung des Menschen symbolträchtiges Thema wie das Haus darstellbar ist, lässt sich hier nachvollziehen. Ambivalent geht es auch zu bei den »zwei Realitäten« des Fotografen Bernard Plossu, der in der Galerie Stöckle Hauser mit den Serien »Cartes de visite« und »Classics« aufwartet. Plossu versteht es, den Alltag der anderen, fremden genauso präzise zu erfassen wie die Welt, in der er selbst zu Hause ist.

Zwei Künstler hat die Galerie Strzelski im Blick: zum einen Xaver Sedelmeier mit »Neuen Arbeiten«, zum anderen im schönen Kieskabinett Martin Bruno Schmid mit seinen »Facepeelings«, das heißt Wandbohrungen und Zeitschriftenabschleifungen. So marmorveredelt bei ihm eine oberflächentraktierte Magazinseite daherkommt, so nobel erscheinen Sedelmeiers Wellblecharbeiten, die er metallisiert oder mit Porschelack aufpoliert. Auch Michael Sturm bietet zwei Einzelausstellungen an: Moris (d.i. Israel Moreno) entwirft ein pessimistisches Bild von der realen Gegenwart, insbesondere die der Megametropole Mexico City; dabei geht es »nicht um Moral – um die Guten oder Bösen, um Schuld oder Sünde – es handelt sich einfach um eine pessimistische, und rohe soziale Beobachtung«. Fernando Carabajal arrangiert zeitgemäße Landschaftsdioramen und Sprachräume – gemeinsam treten sie in einem Raum auch als Duo namens Collectivo Viernes auf. Der Uno Art Space zeigt zwar mit Simone Demandt nur eine Künstlerin, die aber zwei grundverschiedene Werkgruppen aus den letzten drei Jahrzehnten mitbringt: »Komplizin Kamera« übertitelt zum einen Fotogramme, zum anderen Großformataufnahmen von Tatwerkzeugen, die bei Kriminalfällen verwendet wurden. So schiebt Demandt den zum Teil banalen Gegenständen eine Geschichte unter, die erst ihre kompositionelle Heraushebung unterstreicht.

Farbige Abstraktionen schaffen Räume in der Galerie Valentien: Die Schiebeobjekte von Bettina Bürkle aus farbig-transparentem Acrylglas machen dabei die Farbenlehre lebendig für neugierige Besucher, die sich verschiedene Tableaus arrangieren können. Christine Gläser erzeugt dagegen freie Farbflächen, die sich allerdings bei näherer Betrachtung auch als Arrangements erweisen, welche sich von der Fläche zur Raumsituation verwandelt haben. Rainer Wehr verblüfft den Besucher regelmäßig mit den illusionären Raumzeichnungen von Philip Loersch, der anstatt seiner Cut-outs diesmal auch Schrift-Bilder zeigt. Hier hinterfragt er Schrift, die – in Stein verewigt – an archaische Zeichensysteme und deren Genese zum kommunikativen Medium erinnern. Neu ist dabei seine Beschäftigung mit der eigenen Person. Illusionär und – wie der Titel sagt – »fabelhaft präzise« sind auch die geheimnisvoll anmutenden Häuser von André Schulze erfasst, die alle ihre nie wirklich ergründbare phantastische Geschichte erzählen und in der Galerie Z als mobile Immobilie zum Verkauf stehen.

Es liegt in der Intention des Art Alarm, dass die Künstler in ihren Ausstellungen oftmals anwesend sind, um über ihre Kunst befragt zu werden. Weitere Infos zu den Ausstellungen, Wegbeschreibungen sowie Anbindungen an die öffentlichen Verkehrsmittel hält die bereits erschienene Art Alarm-Broschüre bereit. Das Heft liegt seit Mitte August kostenlos in allen beteiligten Galerien und vielen Kulturinstitutionen in der Region Stuttgart aus. Zudem informiert die Homepage über das gesamte Programm, inklusive Bildmaterial zu den Ausstellungen.

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