Ausstellungsbesprechungen

Kunst mit Schokolade, Museum Ritter Waldenbuch, bis 30. September 2012

Das Museum Ritter mit dem Faible für das quadratische Format geht ausnahmsweise über sein Lieblingsformat hinaus. Anlässlich des hundertsten Jahrestags der Gründung der Schokoladenfabrik in Waldenbuch zeigt das hauseigene Museum das, was auch Günter Baumann lieb und lecker ist: Schokolade.

Schokolade in der Kunst oder besser: »Kunst mit Schokolade« – so der Titel der Ausstellung, die nun mal nicht das quadratisch-praktisch-gute Kunstschaffen in den Vordergrund stellt, sondern eben jenen Stoff, aus dem die Träume sind. Kaum ein anderer Lebensmittelartikel, der sich außerhalb der alkoholischen Domäne findet, ist verlockender als Schokolade. Und so ist es nicht verwunderlich, dass man ein ganzes Haus mit den süßen Verlockungen füllen kann, die man zu allem Elend noch nicht einmal anfassen darf, weil es sich um Kunst handelt. Der Zufall will es, dass Marcel Duchamp just auch vor hundert Jahren mit Schokolade experimentierte und daraufhin mit der bildgewordenen Schokoladenreibe für Furore sorgte. Zu sehen ist in Waldenbuch zwar nur eine Miniaturreplik der schoko-basierten »Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt/ Das Große Glas« von 1938/39, aber es ist doch erstaunlich, wie lange sich die Künstlerschaft bereits mit der süßen Versuchung auseinandersetzt. Wohl gehörte das einst noch zur Dada-Provokation, zu der sich auch eine Merz-Collage von Kurt Schwitters aus dem Jahr 1929 gesellt, die ein Stück einer Schokoladenverpackung und ein fast durchsichtiges Pralinenpapier verarbeitet, doch war damit ein Material eingeführt, das in den vergangenen Jahrhundert beachtliche, scheinbar süße Stücke beflügelt hat.

Es mag Geschmacksache sein, ob man den Einsatz von Lebensmitteln in der Kunst für despektierlich hält, aber die Phantasie in der Umsetzung ist derart erstaunlich, dass man Riegel für Riegel abschreitet und Zeuge einer kleinen Kunstgeschichte der modernen Stile und Querverweise wird. Ob nun das Antikriegsobjekt von Wolf Vostell, der einem siebgedruckten Bomber handfeste Süßigkeiten unterschiebt, unter anderem mit einem Stück Block-Schokolade, oder ob Guido Münch denselben Block-Schriftzug in einem Acrylbild auf einem braunen Farbfeld monumentalisiert: die Bandbreite ist gewaltig. Schon allein die gitternetzähnliche Riegelform der handelsüblichen Schokoladentafeln taucht vielfach auf, was spannende Reflexionen über Illusion und Kunst hervorruft. Corrado Bononi spielt im kleinen Format mit der feen-inspirierten Versuchung, Thomas Rentmeister legt dagegen einen rostbraunen Eisenguss aus, der nicht minder verlockend ist wie das große Ölgemälde von Cornelius Völker. Beide sind an der optischen Erscheinung der klassischen Tafel interessiert, während Han Peter Reuter mit einem ultramarinen Schokoladenblau das im Munde zusammengelaufene Wasser schnöde hinunterschlucken lässt, wie auch das Sandsteinfragment von Roswitha Schaab den Gaumen in der Wahrnehmung eher austrocknen lässt.

Aber es ist genau der Bruch im Schokoladen-Image, der die Ausstellung so faszinierend macht. An gewöhnungsbedürftigen Ansichten zeigt sich die Souveränität der Ausstellungsmacher, die die Schokolade durchaus auch in ein kritisches Licht tauchen. Dazu gehören die »Wirtschaftswert Diabetiker-Schokolade« von Joseph Beuys genauso wie die unvermeidlichen wie im abstoßenden Sinne reizvollen Multiples von Dieter Roth. Die Schoko-Schau kommt auf etwa 60 Arbeiten von rund 40 Künstlern, die zum Teil speziell für die Ausstellung Hand angelegt haben, um im Traditionshaus mitzufeiern. Weil das Patent zur Quadratform erst 1932 beantragt wurde, muss die Museumsleitung für diesmal keine markttypische Form wahren und kann aus dem Vollen schöpfen. Nun waltet zum einen die Spurensuche nach dem Material, zum anderen das insbesondere malerische Spiel mit dem zarten Schmelz. Sinnlich sind die Ergebnisse allemal, auch wenn man – das Haltbarkeitsdatum im Sinn – nicht immer herzhaft zubeißen möchte. Die Künstler der Ausstellung sind: Sonja Alhäuser, Peter Anton, Günter Beier, Joseph Beuys, Corrado Bonomi, Stephen Craig, Paul McCarthy, Marcel Duchamp, Maria Dundakova, Ulrike Flaig, Yang Ah Ham, Richard Hamilton, Al Hansen, Thomas Heger, Dagmar Hugk, Klaus Illi & Bettina Bürkle, Ruth Knecht, Karin Kneffel, Lernert & Sander, Anja Luithle, Guido Münch, David Neat, Mel Ramos, Thomas Rentmeister, Hans Peter Reuter, Dieter Roth, Judith Samen, Karin Sander, Roswitha Schaab, Rolf Schneider, Roswitha Schober, Kurt Schwitters, Timm Ulrichs, Cornelius Völker, Wolf Vostell. Ergänzend zu den etablierten Positionen sind die Arbeiten eines studentischen Wettbewerbs zu sehen, den das Museum Ritter für Studierende der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle ausgeschrieben hat.

Martin Stather fand in seiner Eröffnungsrede launige Worte zur Schokolade. So zitierte er etwa Bebra Tracy: »Jeden Tag esse ich die vier Grundnahrungsmittel, die für die Gesundheit unentbehrlich sind: Milchschokolade, Zartbitter-Schokolade, weiße Schokolade und Kakao.« Seit der Jubiläums-Ausstellung im Museum Ritter könnte man dies auf die geistigen Bedürfnisse ausdehnen. Und zum Glück gibt es dann auch noch den Shop für das leibliche Wohl.

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