KunstGeschichten

KunstGeschichte: Dackelporträts

So ein Dackel ist manchmal schon ein selbstbewusster kleiner Dickkopf. Kaum im neuen Heim bei Werner Glöckner angelangt, fordert Hündin Laika gleich das Ehebett für sich. Der Rentner und Hobbymaler nimmt ihr das aber nicht übel, sondern beginnt, sie zu porträtieren. So richtig will es ihm aber nicht gelingen. Bis ihm der Zufall und Laika zu Hilfe kommen.

Der Pensionist Werner Glöckner malte nur als Hobby. Er hatte keinerlei Veranlassung, sich als Künstler zu betrachten, denn noch nie war eines seiner Gemälde verkauft worden. Ja, nicht einmal irgendwo ausgestellt waren seine Werke gewesen! Er dachte nämlich, seine Bilder wären nichts wert. Dabei hatte er die Fähigkeit, seine Motive ganz genau abzubilden, so dass das Gemälde vom Original kaum zu unterscheiden war. Seine Bescheidenheit ließ ihn diese Tatsache aber gar nicht bemerken.
Das änderte sich ein bisschen, als Laika ankam.

Karl, ein ehemaliger Arbeitskollege, hatte den Werner nämlich per Internet verständigt, dass ein Notfall eingetreten war: Laika, eine etwa vierjährige Dackelhündin, hatte ihr Herrchen verloren, da dieses ins Gefängnis musste. Werner war gar nicht begeistert. Die Dackelin eines Häfenbruders – was könnte das für ein Mistviech sein! Karl gab aber keine Ruhe. Seine Tochter hatte die Hündin schon kennen gelernt, da diese vorläufig bei ihrer Freundin Marianne untergekommen war und war begeistert. Nur, die Laika konnte nicht alleine bleiben und die Freundin war von Beruf Lehrerin. Also kläffte Laika jeden Vormittag stundenlang und das gesamte Haus war deshalb in Aufruhr. Marianne hatte bereits eine Anzeige wegen Ruhestörung erhalten. Laika musste weg – und zwar dringend!

Werners Frau Maria hatte vor einem halben Jahr ihren kleinen, schwarzen Cairnterrier verloren. Der Hund war dem Cushing-Syndrom zum Opfer gefallen: Der kleine Hirntumor hatte gestreut und der Kerni war am Lungenkrebs elend krepiert. Maria hatte unzählige Tränen vergossen. Zwar dachte sie intensiv über einen neuen Hund nach, aber ein Dackel war ihr dabei nicht in den Sinn gekommen.
Schließlich entschied Werner: „Der Hund wird angesehen! Vielleicht ist es ja ein ganz nettes Viech!“

Die Glöckners wohnten in Brunn am Gebirge. In den zweiundzwanzigsten Bezirk, wo der Dackel vorläufig zu Hause war, gab das eine ganz schöne Strecke, aber sie wollten den Versuch wagen. Am Hubertusdamm sollte der Treffpunkt sein. Maria fuhr los, ihr Mann saß auf dem Beifahrersitz. Um sich die Südosttangente zu ersparen, fuhr sie quer durch die Innenstadt und am Kaisermühlendamm angekommen, stellten sie den Opel auf dem Parkplatz ab, stiegen aus und wandten sich zum Hubertusdamm – und dort kam ihnen plötzlich ein frei laufender Rauhaardackel entgegen! Maria hockte sich hin und sah ihm entgegen. Der Dackel kam ganz unbefangen auf sie zu – und dann bekam sie eine Hundezunge übers Gesicht gezogen. Das erste Bussi!
Der Kontakt zu Marianne war rasch hergestellt. Laika sah die fremden Menschen interessiert an: Ihre Pflegemutter hatte bereits mit ihr darüber gesprochen, dass sie zu neuen Pflegeeltern kam und fast hatte es den Anschein, sie habe das verstanden... Es gab auch einige Tränen bei Marianne. Sie hatte die Hündin sehr gemocht. Zwischendurch musste sie doch nochmal mit Laika in ihre Wohnung, um die Gegenstände holen, die zu der Hündin gehörten. Viel war ihr Besitz nicht: Ein Gummientchen mit abgebissenem Kopf und ein abgenagter Tennisball. Auch stieß noch die Schwester des Häfenbruders, Laikas ehemaligem Herrchen, zu der Gruppe und schließlich kam der Abschied. Laika kletterte ohne Anstalten ins Auto. Sie war bei ihrem neuen Herrchen Werner auf dem Beifahrersitz untergebracht, Maria fuhr wieder.

Die Heimfahrt nach Brunn war gekennzeichnet von intensiven Bemühungen der Hündin, ihr Herrchen schnellstmöglich einzukochen. Sie unternahm laufend Anbiederungsversuche und am Ziel war Werners Gesicht von ihrer Zunge blitzblank gewaschen. Das nächste Abenteuer war die Überstellung der Laika in die Wohnung. Die Glöckners bewohnten ein Mehrparteienhaus in einer Parkanlage und für Laika war die grüne Umgebung eine kleine Sensation. Ihr altes Herrchen hatte sie gerade nur bis zur Ecke des Häuserblocks gehen lassen und die vielen Sträucher hier waren ein Paradies für sie.
Und dann war auch schon der Nachbarhund da: Dieser hieß Libris und war ein großer, schwarzer Deutscher Schäferhundrüde, der zwar etwas unnahbar wirkte, aber recht brav war. Laika unternahm den Versuch, ihn zum Spielen aufzufordern – und seltsamerweise stieg Libris darauf ein. Er beschnupperte die Hündin ausgiebig und umkreiste sie dann, während seine Rute vehement wedelte.
Sein Frauchen war ganz verwundert: „Na, alter Herr, nette junge Dame, was? Da kannst du auch ein bisserl spielen...“
Es stellte sich heraus, dass Laika bald mit allen Hunden in der Gegend gut Freund war. Ein Risiko war somit gleich von vornherein weggefallen.
Auch lernte sie die Sissi kennen. Die war eine alte Dackelhündin, etwas schlecht zu Fuß, sie war zuckerkrank und außerdem blind. Aber auch mit ihr verstand sich Laika auf Anhieb und Sissis Frauchen Frau Schneider, die pensionierte Filialleiterin einer Bank, war ganz angetan von der lebhaften Rauhaardackelhündin.

In der Wohnung war die Laika erst einmal etwas befangen. Sie beschnupperte zwar alles ausgiebig und interessierte sich sehr für die Verkabelung des Computers in Werners Arbeitszimmer, woraufhin der entschied, nachts die Tür immer geschlossen zu halten, damit sie keine Kabel anknabberte. Aber dann lag sie im Wohnzimmer unter dem Esstisch und verhielt sich ruhig. Auf Annäherungsversuche von Werner und Maria stieg sie jederzeit ein, verlor aber schon bald das Interesse. Sie fühlte sich also ein bisschen unwohl. Maria gab ihr das erste Fressi aus einer Dose Hundefutter. Laika putzte alles weg und entwickelte dabei einen gesegneten Appetit. Zwischendurch aber streifte sie immer wieder durch die Wohnung und unterzog alles einer aufmerksamen Inspektion. Schließlich begab sie sich ins Bett.

Und zwar nahm sie ganz einfach und selbstverständlich im Schlafzimmer das Ehebett in Beschlag. Immerhin legte sie sich zwischen den beiden Betten in die Mulde zwischen den Matratzen. Maria schmiss sie hinaus.
Laika war ganz konsterniert. Durfte sie hier nicht im Ehebett schlafen? Sehr fragend schaute sie ihr neues Frauchen an – und die musste herzhaft lachen.
„Na schön. Komm rein“, sagte sie und klopfte auf die Matratze.
Und drin war die Laika!
Sie rollte sich zusammen wie ein Sardellenringerl, seufzte einmal tief und schloss die Augen.
Werner holte sich seine Staffelei aus dem Arbeitszimmer und setzte sich ans Fußende des Bettes, aber er hatte so seine Probleme, die Dackeldame zu malen. Bisher hatte er hauptsächlich Landschaften abgebildet – ein Dackelviech ist aber ein anderes Kaliber! Zunächst wollte es ihm nicht gelingen, die Fellsträhnen einigermaßen zu treffen. Laika war ein Rauhaardackel und ihr Fell daher ziemlich unregelmäßig. Den saufarbenen Braunton traf Werner zwar, doch die einzelnen Haarsträhnen waren ein großes Problem. Er besserte immer wieder aus und brauchte etwa eine Stunde, bis das haarige Sardellenringerl der Laika halbwegs ähnlich sah. Und auch dann glich das auf dem Bild immer noch nicht ganz die Dackelhündin, denn die Schnauze glich der ihren überhaupt nicht. Da war noch einiges zu verändern. Er verschob die Änderungen auf später, denn jetzt wollte er mit der Laika erst einmal einen etwas längeren Spaziergang machen. Sie fühlte sich offenbar fremd in der Wohnung und da wollte er es der Dackelhündin ein wenig erleichtern.

Als er den Wohnblock verlassen hatte, wandte sich Werner auf der Wiener Straße nach Osten, bog in die Franz-Schubert-Straße nach rechts ab und wanderte in Richtung des Golfplatzes. Laika schnupperte interessiert und war offenbar wieder ganz guter Dinge. Nahe der Kreuzung mit der Industriestraße B bemerkte Werner einen Farbigen in abgerissenen Jeans, der ein Brennnesselfeld untersuchte. Auch Laika hatte ihn sofort bemerkt. Der Afrikaner pflückte ein paar jüngere Brennnesseln, indem er mit einem schäbigen Taschentuch seine Hände schützte. Die Hündin zog zu dem jungen Burschen hin, der Werner auf Anhieb sympathisch war.
Werner fragte ihn: „Was machen Sie eigentlich da?“
Der Schwarze schaute etwas verständnislos, dann schien er die Frage begriffen zu haben: „Faim. Manger“, sagte er.
Werner begriff, dass der Afrikaner die Brennnesseln offenbar als Nahrungsquelle betrachtete. Kopfschüttelnd sah er dem Mann zu, wie er erntete.
Laika beschnupperte den Schwarzen und wedelte dabei mit dem Schwanz. Der Afrikaner streckte vorsichtig die Hand aus und kraulte den Dackel ein wenig am Kopf. Sie gab ihm ein Bussi ins Gesicht und schleckte seine Nase ab. Der Afrikaner lachte verlegen.

Und dann machte der Schwarze eine Geste, die Werner ehrlich erschütterte. Er strich mit seinem Taschentuch eine jüngere Pflanze sauber und steckte sie in den Mund. Kauend wiederholte er, diesmal in englischer Sprache: „I have hunger. This staff tastes quite well.“
Werner rief von seinem Handy aus Maria zu Hause an. „Sag einmal, ich hab da einen Neger getroffen. Der Kerl hat großen Hunger und frisst da Brennnesseln. Hast du was zu Haus für den? Dann komm ich mit ihm nach Haus.“
„Pizza kann er haben“, sagte Maria. „Ich tu sie gleich in die Mikrowelle.“
„Bin in zehn Minuten daheim“, kündigte Werner an. Dann wandte er sich an den Schwarzen: „What's your name?“
„Mbwane Abdallah“, sagte der Afrikaner.
„Come with me. You get something to eat! My name is Werner Glöckner.“

Mbwane Abdallah stopfte die grünen Brennnesseln in einen Plastiksack und kam mit Werner, der ihn die Franz-Schubert-Straße zurückführte. Die Eingangstür öffnete Maria von oben und er führte den Schwarzen zur Aufzugskabine. Maria hatte die Wohnungstür bereits geöffnet und der Gast wurde zum Esstisch geführt, auf dem eine Platte mit einer heißen Thunfischpizza stand.
„Thunfisch ist gut“, sagte Werner. „Das ist Mbwane Abdallah, wahrscheinlich Moslem.“
Der gab Maria die Hand und setzte sich. Besteck benützte er keines, sondern er riss die Pizza in mehrere Teile, verbrannte sich ein wenig die Finger – und dann war sie in kürzester Zeit einfach verschwunden. Maria servierte eine Schale Mokka, die in wenigen Sekunden getrunken war.

Mbwane bedankte sich überschwänglich und meinte, jetzt müsse er die Brennnesseln seiner Frau bringen. Die habe auch schon zwei Tage nichts gegessen.
„Brennnesseln! Kommt doch gar nicht in Frage“, sagte Maria, ging in die Küche und schob eine weitere Pizza in die Mikrowelle. „Dauert acht Minuten“, sagte sie dazu.
Mbwane fragte Werner, ob er seine Frau anrufen dürfe, sie möge hierher kommen. Die Pizza wäre ein Festessen und sie wäre nur einen Katzensprung entfernt: In einem Baustoffhandel an der Bundesstraße 12a. Dort wären sie beide vorläufig untergekommen.
Werner reichte dem Afrikaner sein Handy. Mbwane sprach in einer fremden Sprache mit seiner Frau, wahrscheinlich war es Kisuaheli. Es dauerte gerade einmal fünf Minuten, da läutete es an der Haussprechanlage. Werner betätigte den Türöffner und öffnete die Wohnungstür. Die junge Frau Issa war eine hochgewachsene, schlanke, schwarze Schönheit. Sie trug einen bodenlangen, bunt karierten Rock, eine gestrickte Bluse und keine Schuhe. Maria und Werner wurden von ihr sehr höflich begrüßt und sie sprach ein sehr gutes Englisch.

Maria servierte ihr sofort die Pizza und lief dann hinunter zur Bäckerei, um noch einiges an Kuchen zu besorgen. Sie vermutete stark, dass die Pizzas zu wenig für die hungrigen Mäuler sein könnten. Mit einem Apfelstrudel und einigen Topfenkolatschen kehrte sie wieder zurück und dann ging ein Mehlspeisgelage los. Mbwane und Issa verdrückten fast alles, was ihnen Maria vorsetzte.
Dabei erzählte Mbwane, dass sie erst seit drei Tagen in Österreich wären. Sie waren per Boot aus Libyen in Lampedusa angekommen und später von den italienischen Behörden nach Mailand verfrachtet worden. Von dort hätten sie versucht, per Autostop nach Norden zu gelangen und wären hier in Brunn gelandet. Völlig mittellos hätten sie in einem Baustoffhandel an der B12a Zuflucht gefunden. Es war sogar ganz bequem dort! In einer kleinen Nebenhalle wären Schlafzimmermöbel ausgestellt und da hätten sie Quartier bezogen. Selbst ein Bad gab es. Mbwane bot sogar an, dem Werner ihr derzeitiges Domizil zeigen zu wollen. Werner sagte zu. Er werde die beiden „nach Hause“ begleiten.

Doch dann entdeckte Mbwane das Bild der Laika, an dem Werner vorhin gemalt hatte.
Obwohl ihr Kopf noch nicht fertig war und aussah wie von einem ganz anderen Tier, faszinierte das Gemälde den Afrikaner und er bat seinen Gastgeber, es doch selbst einmal versuchen zu dürfen. Der holte aus seinem Arbeitszimmerschrank einen Malkasten mit Wasserfarben, drückte Mbwane einen Zeichenkarton in die Hand und harrte der Dinge, die da noch kommen sollten. Der Afrikaner hatte noch nie gemalt, ja er wusste nicht einmal, wie Wasserfarben verwendet werden und Werner zeigte es ihm.
Aber dann legte der Afrikaner los: Den speziellen Braunton, den Laikas Fell aufwies, traf er zwar nicht, aber er machte ein ganz ausgezeichnetes Porträt der Dackelhündin. Etwas dunkler als ihre Originalfarbe, zeigte das Porträt ganz exakt ihren Kopf und es schien fast, als ob das Tier leicht lächelte. Werner war begeistert!

Issa Abdallah drängte schließlich zum Aufbruch. Beide bedankten sich überschwänglich bei den Glöckners und Werner begleitete die beiden gemeinsam mit Laika zu ihrem Domizil. Die Wiener Straße ging es entlang bis zur B12a und diese nach rechts bis zum Kreisverkehr. Dort stand auf der linken Straßenseite die Baustoffhandlung Konrad. Mit einem Zweitschlüssel öffnete Mbwane die Hintertür des Handelbetriebes und bedeutete Werner, einzutreten. Der betrat einen kleinen Vorraum, von dort ging er weiter ins Büro des Betriebes. Issa öffnete eine weitere Tür. Dort gelangte man in die große Verkaufshalle.
Hier war alles vorhanden, was man zum Bau brauchte. Zementsäcke lagen auf Paletten gestapelt und eine ganze Wand war voller Badezimmerfliesen. Auch war ein komplettes Bad aufgebaut. Mbwane behauptete, alle Armaturen würden voll funktionsfähig sein, ja sie hätten hier sogar heißes Wasser!
Um zu beweisen, dass es in diesem Geschäft auszuhalten war, führte Issa den Werner dann noch in den danebengelegenen Ausstellungsraum, der Schlafzimmermöbel enthielt. Eine Ecke davon hatten sich Mbwane und Issa adaptiert. Es gab zwar nichts in dem kleinen, von Möbeln abgeteiltem Raum, was nicht dem Baumarkt gehörte, aber Issa hatte innerhalb kürzester Zeit ein paar Kleinmöbel zu dem Doppelbett gestellt, so dass der kleine Verschlag recht wohnlich wirkte.
Werner fragte, wie denn Issa zu dem Firmenschlüssel gekommen wäre.
Sie erzählte, sie habe sich mit der Putzfrau des Baumarktes angefreundet. Diese habe den Schlüssel kopieren lassen und ihr zur Verfügung gestellt. Bedingung: Tagsüber nicht im Baumarkt zu sein und jeden Tag den Markt am Morgen so zu verlassen, dass nichts als verändert auffallen konnte!
„Etwas mühsam“, kommentierte Werner.
Aber sie hätten damit ein Dach überm Kopf, meinte Issa. Das wäre mehr, als sie zu Beginn hätten erwarten können! Ihr einziges Problem wäre derzeit die Nahrung.
„Dafür sorgen wir, Maria und ich“, versprach Werner, was ihm von Issa einen wortreichen Dank eintrug.
Und dann nahm Werner noch drei Zehneuronoten aus seiner Brieftasche. „Damit Ihr Euch wenigstens Kleinkram leisten könnt“, sagte er.
„Ich schau morgen noch einmal vorbei“, verabschiedete er sich schließlich. „Wann müsst Ihr da raus?“
„Um spätestens sieben Uhr.“
„Gut, um sechs bin ich da.“
Dann nahm er die Laika an die Leine und verließ den Baumarkt. Über einen kleinen Umweg gelangte er wieder in seine Wohnung. Maria war mittlerweile einkaufen gewesen und hatte einen Laib Brot, Butter und Marmelade für ihre neuen Freunde mitgebracht und außerdem ein paar Konservendosen, eine Packung Instantkaffee, Zucker und Kondensmilch. „Zum Frühstück“, sagte sie. „Bringen wir ihnen morgen.“
Werner war sehr froh darüber, dass seine Frau die beiden Afrikaner so mochte. Sie waren auch wirklich sehr angenehme Leute! Mbwanes erster Eindruck hatte ihn also nicht getäuscht!

Am nächsten Morgen war Werner schon um halb sechs aus den Federn. Laika hatte ihre erste Nacht im neuen Zuhause offenbar ganz angenehm verbracht, denn das erste, was er tun musste, war, sie aus dem Bett zu schmeißen. Aber sie sah ihn so vorwurfsvoll an, dass er seiner Maria klar machte, die Dackeldame habe in Zukunft Anspruch darauf, im Ehebett zu übernachten. Maria grinste nur zustimmend.
Dann frühstückte Werner eine Kleinigkeit und machte sich mit Laika auf den Weg. Die machte brav ihr Häufchen und er putzte es mit einem Plastiksäckchen weg. Bald waren die beiden am Baustoffmarkt angekommen.
Issa ließ sie herein und Werner packte das Frühstück aus.
Mbwane war im Büro an der Arbeit. Und zwar hatte er gestern Abend noch einen Spaziergang zum Supermarkt in der Johann-Steinböck-Straße unternommen und sich dort einen billigen Malkasten mit Aquarellfarben sowie Zeichenkarton besorgt. Die drei Zehneuroscheine von Werner waren damit so gut wie weg., aber dafür hatte Mbwane die halbe Nacht lang gemalt!
Auf dem Schreibtisch lagen nun sechs Blätter, die alle Dackelhunde zeigten! Genau genommen waren es sechs verschiedene Dackel mit unterschiedlichen Färbungen. Da gab es einen graubraunen, einen hellbraunen und einen beinahe rothaarigen Dackel. Und außerdem ein Hundeporträt, den Kopf eines weiteren Dackels mit beinahe schwarzem Fell. Nur die saufarbene Laika war nicht dabei!
Was Werner überraschte, war die Qualität der Bilder. Mbwane hatte sich offenbar das Aussehen eines Dackels sehr genau eingeprägt.
Auf Werners Frage versicherte er noch einmal, dass er nie zuvor versucht hätte, zu malen. Der Bursche war also offenbar so etwas wie ein Naturtalent!

Werner überlegte, ob es nicht möglich wäre, die Aquarelle zu verkaufen. Allerdings, Bilder von einem Farbigen würden im konservativen Umland von Wien kaum Interesse finden.
Trotzdem machte er dem Afrikaner den Vorschlag, seine Bilder anzubieten.
Mbwane war Feuer und Flamme. Er überlegte, seine Bilder am Parkplatz des großen Supermarkts, in dem er den Malkasten gekauft hatte, auszustellen. Immerhin gab es nebenan eine große Hornbach-Filiale und dort kamen Kunden hin, die möglicherweise Interesse an Bildern haben könnten.
Mit seinem Enthusiasmus steckte er den Werner innerhalb kürzester Zeit an. Der Afrikaner freute sich unbändig auf die Gelegenheit, durch seiner eigenen Hände Arbeit etwas Geld zu verdienen und Werner gönnte ihm die Freude.
Rasch waren die Aquarelle zusammengesucht und dann zogen alle vier los.

Am Ziel betrat Werner als erste Amtshandlung den Baumarkt und ließ dort Rahmen für die Aquarelle anfertigen. Nach etwa 20 Minuten waren er die sechs Gemälde fertig gerahmt und er traf wieder auf Mbwane. In einem der Einkaufswagen wurden nun die Bilder zum Verkauf drapiert.
Da fuhr plötzlich ein älterer VW-Käfer auf den Parkplatz. Es war Frau Schneider, das Frauchen der blinden Sissi.
Werner schob den Einkaufswagen mit den Gemälden an sie heran. „Frau Schneider, Hundebilder!“, rief er.
Frau Schneider war sehr interessiert. „Meine Sissi wär mir lieber als die fremden Hunde“, meinte sie aber dann.
„Mbwane, can you paint the small dog here?“, fragte er seinen neuen Freund und deutete auf Sissi.
„Sure! Immediately?“ Werner nickte.
Frau Schneider holte einen weiteren Einkaufswagen und setzte ihre Hündin da hinein. Die benahm sich dabei ganz brav und roch dauernd an Frau Schneiders Händen.
„Gehen Sie ruhig einkaufen“, sagte Werner. „Ich passe auf Sissi auf.“
„Lieber nicht“, sagte Frau Schneider. „Sissi ist ja blind und muss mich dauernd riechen. Ich geh später hinein.“
Frau Schneider blieb bei der alten Dackeldame und kraulte sie ein wenig. Sissi blieb ganz ruhig in ihrem Einkaufswagen sitzen.

In den nächsten dreißig Minuten fertigte Mbwane ein großartiges Bild der Hündin an. Frau Schneider war begeistert. Sogar den etwas hilflosen Blick der blinden Augen des Dackels hatte er exakt getroffen! Frau Schneider gab ihm fünfzig Euro, übernahm das Aquarell, sperrte Sissi in ihr Auto und trug das Bild ins Innere des Hornbach-Marktes, um es rahmen zu lassen. Mbwane war vollkommen aus dem Häuschen, weil er so viel Geld für sein Dackelporträt erhalten hatte!
Issa nahm ihm das Geld ab und verfügte sich in den Supermarkt. Dabei leuchteten ihre Augen: Es würde heute genug zu essen geben für die beiden!
Mbwane zog mittlerweile mit seinen anderen Aquarellen über den Parkplatz. Die meisten Besucher wimmelten ihn zwar sofort ab, aber einige wenige sahen sich die Bilder doch genau an. Schließlich kam er zurück und hatte dreißig Dollar in der Hosentasche, aber das Porträt des dunkel gefärbten Dackels war weg.

Von diesem Zeitpunkt an ging es bergauf mit den beiden Abdallahs: Mbwane malte täglich seine Hundebilder, verkaufte täglich einige davon am Parkplatz vor dem Supermarkt und es gab keinen Hunger mehr für die beiden. Mit der Hilfe der Glöckners konnten die Abdallahs dann bald in eine kleine Untermietwohnung ziehen – und die Firma Hornbach hat in ihrem Warenangebot seit neuestem immer ein paar Hundeaquarelle. Mbwane und Issa sind mittlerweile ganz integriert in Brunn, lernen beide die deutsche Sprache und ihrer Zukunft steht eigentlich nichts mehr im Wege. Mbwane plant jetzt übrigens, für den Wiener Tierschutzverein einen Kalender mit seinen Aquarellen.

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