KunstGeschichten

KunstGeschichte: Der Papa wird’s schon richten

Immer war sein Vater zur Stelle, um ihm Schwierigkeiten zu ersparen - sei es in Schule, Studium oder bei der Berufswahl. Daher ist Veit Bock sehr zuversichtlich, dass ihm sein alter Herr auch dieses Mal aus der Bredouille hilft. Lesen Sie in unserer neuen KunstGeschichte über eine nicht genehmigte Verkaufsausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum.

In den frühen 1960er Jahren kannte jeder in Wien das populäre Couplet aus dem Kabarettprogramm „Spiegel vor'm G'sicht“, dessen Text und Musik Gerhard Bronner im Jahre 1958 geschrieben hatte. Helmut Qualtinger hat es unnachahmlich gesungen:

„Der Papa wird’s schon richten,
der Papa wird’s schon richten,
das g'hört doch zu den Pflichten,
von jedem Herrn Papa.
Und brauch ich einen Posten,
dann lasst er sich's was kosten,
sonst frag ich mich, zu was denn
is er sonst da?“

In der „Nummer“, wie Gerhard Bronner seine Lieder gern nannte, ging es auch um einen Unfall mit einem Porsche, der für einen Fußgänger tödlich ausgegangen war, aber der Papa konnte dafür sorgen, dass die Polizeiakte unauffindbar und des Sohnes Führerschein nicht gefährdet war.

Auf Grund dieses Textes trat der damalige österreichische Nationalratspräsident Felix Hurdes zurück, der es seinem Sohn in eben dieser Art „gerichtet“ hatte. Ein sehr schönes Beispiel für die Macht des Kabaretts in Österreich!
Allerdings traten sehr viele Politiker nicht zurück, die ihren Söhnen lukrative Posten verschafft hatten. Dazu war diese Methode, den Nachwuchs „unterzubringen“, damals zu populär. „Vitamin B“ (B wie Beziehungen) spielt aber heute keineswegs mehr die herausragende Rolle, die es damals innegehabt hatte.
Oder vielleicht doch?

Sektionschef Dr. Uwe Bock war unter anderem für die staatlichen Kunstförderungen zuständig. Museen, Theater, Festivals, Orchester, was in Österreich mit Kultur zu tun hatte, waren auf die Subventionen angewiesen, die Dr. Bock vergeben konnte. Oder die Kunstschaffenden behaupteten zumindest, auf Förderungen nicht verzichten zu können. Denn wenn vom Staat Subvention zu holen war, dann holte man sich diese natürlich!

Dessen Sohn, der auf den etwas altmodischen Namen Veit hörte, bekam deshalb schon sehr früh mit, dass mit Kunst in Österreich auch etwas zu verdienen wäre, wenn man beim Publikum nicht so beliebt war. Allerdings musste in diesem Fall Vater Staat einspringen.

Dem jungen Veit Bock, der in sehr wohlhabenden Verhältnissen aufwuchs, war sehr wohl bewusst, dass er zu den Privilegierten gehörte. Ausgestattet mit einer geradezu sagenhaften Faulheit, kam er trotzdem ohne Probleme im Gymnasium bis in die achte Klasse und die Matura bestand er auch ohne Schwierigkeiten, wozu eine großzügige Spende seines Vaters an die Schule beigetragen haben mochte.

Aber jetzt wurde es schwieriger. Für Vater Uwe kam selbstverständlich nur das Studium der Rechtswissenschaften in Frage. Sein Sohn Veit würde Verwaltungsbeamter werden. Und zwar selbstverständlich ein höherer Beamter!
So begann Veit gehorsam das Studium. Im Hörsaal war er zwar kaum anzutreffen, aber „der Sohn vom Sektionschef Bock“ war an der Universität bald ziemlich populär, da er immer bestens informiert war, wo eine der Partys stattfinden würde, die von jungen Künstlern häufig veranstaltet werden. Den Zugang zur Szene der Bohemiens hatte Veit natürlich durch die Kontakte seines Vaters erhalten.

Veit fühlte sich in den Kreisen der jungen Künstler überaus wohl. Zwar ging es eher locker zu, was Alkohol und Cannabis betraf – und ein paar ganz miese Typen waren auch darunter. Aber denen konnte man relativ einfach aus dem Weg gehen.

Papa Uwe hatte mittlerweile begriffen, dass Veit nie seine Prüfungen bestehen werde, wenn man ihn selbständig arbeiten ließ. Er hatte daher einige Juristen aus dem Ministerium verpflichtet, dem Veit zu Hause Nachhilfeunterricht zu geben. Und dank des Organisationstalentes seines Vaters funktionierte alles ganz gut. Veit meldete sich für Prüfungen bei jenen Professoren an, zu denen Vater Uwe ein gutes Verhältnis aufgebaut hatte und an deren Prüfungsfragen er herankam. Der Unterricht der Nachhilfelehrer trug Früchte und im vierten Semester lag Veit immer noch im Plan. Er war noch nirgends durch gerasselt.
Dann, im sechsten Semester, lernte er Lena Stahl kennen. Und zwar bei einer sehr wilden Künstlerparty in der Donaustadt.

Es gab da eine Art „Vernissage“ in kleinem, privatem Kreis in einem Reihenhaus nahe Aspern. Es war eines jener kleinen Häuser, die die Gemeinde Wien in den 1930er Jahren errichtet hatte. Der Künstler hieß Alfons Forster und dessen Gemälde waren zum Vergessen. Aber zwischen den meist schwarzen unförmigen Farbklecksen des Alfons hingen ein paar sehr hübsche, farbenfrohe Temperagemälde, die von einer ungeheuren Fantasie zeugten und die nur mit „Lena“ signiert waren.
Die Malerin selbst saß zusammengesunken in einer Ecke und sprach kein Wort. Durch eine kurze Frage hatte Veit herausgefunden, wer die elend aussehende blutjunge Frau war.

Veit sprach sie an: „Geht's Ihnen net gut?“
„Mir is so schlecht! Scheiß Joint“, jammerte Lena.
„I rauch des Glumpert eh nimmer“, bestätigte Veit. „Wenn's einer braucht, bitte. Aber i brauch's bestimmt net!“
„I aa nimmer. War mein erster Joint! Der Alfons hat mi überred't.“
„Lassen S' des lieber in Zukunft“, riet Veit.
„I möcht heim“, sagte Lena. „Aber i glaub, fahren kann i nimmer...“
„Dann bring ich Sie nach Haus“, bot Veit an.
Lena musterte ihn eingehend. Da stand ein junger Mann ohne Bart vor ihr, aber mit silberblauer, gestreifter Krawatte, der einen recht seriösen Eindruck machte. Und jetzt stellte er sich sogar in aller Form vor: „Veit Bock mein Name. Jusstudent.“
„I bin die Lena Stahl“, sagte Lena und deutete auf ihre Gemälde. „Da hängt was von mir.“
„I weiß“, meinte Veit. „Das beste is von Ihnen. Die Arbeiten vom Forster san alle zum Wegschmeißen.“

Lena stand wackelig auf. Erstaunt sah Veit, dass sie ziemlich groß war. Aber dann zog sich die junge Dame die Schuhe aus und war plötzlich um gut fünfzehn Zentimeter kleiner.
„I glaub, i muss bröckelhusten[1]“, sagte sie kläglich. „Komm gleich wieder.“ Und damit taumelte sie ins Bad.

Veit wartete etwa fünf Minuten auf sie. Dann tauchte sie wieder auf und es schien ihr besser zu gehen. Jedenfalls trug sie ihre Schuhe mit den hohen Absätzen wieder und sie sah auch wesentlich frischer aus.
Gemeinsam verließen sie das kleine Reihenhaus. Veit führte seine neue Bekannte ein kurzes Stück die Gasse entlang und öffnete die Beifahrertür seines BMW. Vater Uwe hatte natürlich auf einem standesgemäßen fahrbaren Untersatz für seinen Sprössling bestanden.

„Anständiger Hobel“, sagte Lena anerkennend. „I fahr a gebrauchte, motorisierte Einkaufstaschen auf Radln.“
„Na ja, mein Papa besteht auf einer standesgemäßen Schüssel“, erklärte Veit. „Wo soll's denn hin gehen?“
„Nach Floridsdorf rüber, bitte. Die Prager Straße raus.“
„Kein Problem“. Veit fuhr los. Lena inspizierte den Innenraum von Veits Auto.
„Was macht denn Ihr Herr Papa?“, fragte sie dann.
„Sektionschef im Unterrichtsministerium. Deshalb mach i ja Jus. Der Papa will mich dann auch ins Ministerium bringen.“
„Und was macht er dort, Ihr Vater?“ Lena war anscheinend plötzlich an Veits persönlichen Verhältnissen interessiert.
„Unter anderem die Subventionen für Museen, Theater und Orchester“, gab Veit Auskunft.

Eine Zeit lang schwieg Lena. Dann fragte sie mit einer gewissen Hochachtung in der Stimme: „Tatsächlich? Im Ernst?“
Veit lachte. „Irgendwer muss ja dafür auch zuständig sein“, sagte er dann.
„Du meine Güte! Das wär was! Subvention! Da könnt' i nur mehr malen und den Job beim AMS[2] aufgeben!“
„Sie müssen nebenbei noch was arbeiten? Können S' denn net vom Malen leben?“ Veit wunderte sich. Die Gemälde waren seiner Meinung nach ausgezeichnet.
„I bin ja net magersüchtig“, meinte Lena sarkastisch. „Wenn i im Jahr drei bis vier Gemälde verkaufen kann, is das viel! Und fressen will i auch was – und die Miete, und das Auto. Von Kunst kann man net leben.“
„Außer man heißt Hermann Nitsch oder Ernst Fuchs“, stimmte Veit zu.
„Eben. I bin nur die Lena, die niemand kennt“, bestätigte die Malerin.

Eine Zeit lang sagte niemand mehr etwas, dann räusperte sich Veit und kündigte an: „Na, i werd' mit'm Papa einmal reden. Aber Subvention is sicher net drin! Der Papa schlagt sich mehr mit den Kürzungen der Subventionen herum. Aber vielleicht weiß er was.“
„Das wär super“, sagte Lena. „So, jetzt da vorn an der Ampel links bitte!“
Dann bat Lena den Veit, zu halten. Ob er noch rasch mitkommen wolle, sich ein paar Bilder anzusehen? Und einen Kaffee vielleicht?

Selbstverständlich sagte Veit ja. Bald hatte er einen Parkplatz gefunden und als er mit Lena die kurze Strecke zu ihrem Wohnhaus mitkam, fühlte er das wohlbekannte Kribbeln im Bauch, das ihm sagte, heute Abend wäre noch so manches möglich...
Das Bauchgefühl hatte Veit nicht getrogen. Es wurde dann noch ein toller Abend und der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Allerdings änderte sich vorerst nicht viel, was die persönlichen Verhältnisse der beiden anbelangte. Lena verwaltete beim AMS nach wie vor die Zahlung der Arbeitslosenunterstützung und malte weiterhin in ihrer Freizeit, Veit schaffte den zweiten Studienabschnitt mit tatkräftiger Hilfe seines Vaters Uwe und er strengte sich sogar ein bisschen mehr an, um seiner Lena endlich die bisher versagt gebliebene Anerkennung verschaffen zu können. So besuchte er regelmäßig die Pflichtübungen, die Vorlesungen allerdings nur sporadisch. Aber es reichte.
Insgeheim hoffte Veit, Papa Uwe werde ihm die Leitung irgendeines Museums verschaffen. Und er, der Direktor Veit Bock würde daraufhin Werke der großen Malerin Lena Stahl ankaufen und seiner Freundin damit zur nötigen Publicity verhelfen.

Lenas Gemälde faszinierten vor allem durch die Dinge, die sie nicht zeigten. Nebel war eines der Elemente, die sie häufig verwendete. Etwa eine dunkle Dorfstraße mit Laternen an beiden Seiten, die in der Ferne im Nebel verschwammen, oder Nebel an einem Seeufer mit einem schemenhaften Ausflugsdampfer zwischen den einzelnen Nebelbänken.
Es waren raffinierte Motive, die den Betrachter in eine unwirkliche, traumähnliche Stimmung versetzten. Veit hatte einige der Bilder fotografiert und trug die Fotos immer bei sich. Mitunter gelang es ihm, eines der Gemälde zu verkaufen, aber die Dinger waren nicht billig. Veit forderte ein Minimum von 1.500,- Euro, obwohl Lena selbst sie billiger abgegeben hätte.

„Lena, die Dinger sind noch wesentlich mehr wert als das“, erklärte er oft seiner Freundin. „Wenn du gleich jetzt die Preise hoch hältst, kriegst du viel mehr Anerkennung. Und Anerkennung braucht man, um höhere Preise zu kriegen! Also verlang' gleich mehr!“ Und Lena war damit zufrieden, ihre finanzielle Situation besserte sich.
Über ein Jahr lang ging das so fort. Dann trat Veit zum ersten Staatsexamen an.

Vater Uwe trug aus seiner Privatschatulle einiges bei, um das Prüfungsgebiet möglichst einzugrenzen und hatte auch hier wieder Erfolg. Nach neun Semestern hatte Veit sein Studium abgeschlossen und durfte sich Magister juris nennen. Und diese viereinhalb Jahre waren gar nicht so schlimm gewesen. Es ist eben sehr hilfreich, wenn der Herr Papa Sektionschef ist – und eine Menge Leute kennt.
Nun erhob sich die Frage: Wohin mit dem frischgebackenen Juristen? Auslandsjahr oder Referendariat konnte sich Veit schenken. Eine richterliche Laufbahn kam für ihn ohnehin nicht in Frage. Vater Uwe startete die Suche nach einer möglichst passenden Position für seinen Sohn.

Als erstes stieß Dr. Uwe Bock auf eine Ausschreibung des Heeresgeschichtlichen Museums. Dort wurde zwar ein Militärhistoriker gesucht, aber solche Kleinigkeiten interessierten Papa Uwe nicht im Geringsten. Militärgeschichte konnte man lernen.

Aber Sohn Veit protestierte heftig. Erstens hatte er die Nase voll vom Lernen und zweitens ging es ihm um Lena und deren Gemälde! Zwar hingen im Museum auf dem Arsenalgelände etliche Gemälde, aber die zeigten hauptsächlich Schlachten und waren mindestens zweihundert Jahre alt. Lenas Malereien passten da überhaupt nicht dazu.

Es kam zu einem hässlichen Auftritt zwischen Vater und Sohn. Uwe ging es vor allem darum, Veit eine Ausgangsbasis zu verschaffen. „Du musst ja net im Arsenal bleiben, Veit! Aber dann hast den Fuß in der Tür! Vielleicht ergibt sich einmal was im Museumsquartier, dann kannst leicht wechseln.“

„Das HGM untersteht nicht den Bundesmuseen, sondern dem Verteidigungsministerium!“, gab Veit zu bedenken.
„Na und? San aa Beamte dort! Alles Kollegen! Mach dir da keine Gedanken! Greif zu und gib a Ruh! Der Papa wird’s schon richten!“

Schließlich gab Veit nach. Der akademische Grad des Magisters wurde vom Ministerium akzeptiert und Veit wurde als Assistent im Heeresgeschichtlichen Museum aufgenommen.
Das Museum ist Teil des Arsenals und dieses, entstanden aufgrund der Geschehnisse 1848/1849, ist der erste Ringstraßenbau Wiens, obwohl er von der Ringstraße mehr als zwei Kilometer entfernt steht. Initiiert von Kaiser Franz Josef sollte das Arsenal, auf strategisch wichtiger Position auf der Höhe der Arsenalterrasse südöstlich der Innenstadt gelegen, die eigene Bevölkerung beschießen können. Die beiden Bahnhöfe der Wien — Gloggnitzer und der Raaber Bahnhof — durften sogar eine gewisse Höhe nicht überschreiten, um den ungehinderten Artilleriebeschuss Wiens zu ermöglichen. Kaum ein Wiener weiß das heute noch. So menschenfreundlich war der „alte“ Kaiser, zumindest in seiner Jugend, als es um die Ausschaltung sämtlicher demokratischen Bestrebungen gegangen war!
Dieser erste „Ringstraßenbau“ also, das vom Dänen Theophil von Hansen 1856 fertig gestellte Gebäude, im historischen Stil mit byzantinisch–maurischen Formen errichtet, war das erste Museum, das schon als echter „Museumsbau“ geplant war. Veit Bock fand sich bald in den Sammlungen zurecht.

Einige Zeit nach dem Antritt seiner neuen Stellung lud er Lena ein, am Wochenende eine kleine Privatführung für sie zu veranstalten.
Um ehrlich zu sein, die ausgestellten Objekte interessierten Lena überhaupt nicht. Was sollte sie auch mit Waffen, Uniformen, Modellen von Schiffen und historischen Gemälden anfangen?
Aber einen zusätzlichen, leeren Raum entdeckten die beiden auf ihrem sonntäglichen Rundgang. Besser gesagt, einen zusätzlichen Saal. In ihm waren ursprünglich Medaillen ausgestellt gewesen, die nun in die Depots zurück geschafft worden waren, weil die meisten von ihnen aus dem Dritten Reich stammten.

In Veits Hirn regte sich vage der Gedanke, hier ein „Lena Stahl-Museum“ einzurichten.
Lena war von der Idee begeistert. Endlich einen Raum zu haben, in dem sie ihre Werke einer breiten Öffentlichkeit präsentieren konnte, war für sie die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches. Veit allerdings dachte eher an die praktische Seite: Den Ausstellungsraum zum Verkauf der Bilder zu nutzen.
Gleich am Montag machte sich Veit an die Umsetzung seines noch sehr vagen Planes.
Er befragte zunächst das Personal: Was denn mit dem leeren Ausstellungssaal beabsichtigt wäre.
Noch nichts Konkretes, antworteten die Kollegen. Das hänge davon ab, ob aus den anderen Museen Ausstellungsstücke abgetreten werden könnten. Das Technische Museum hätte da vielleicht was, etwa einige automatische Waffen. Aber auch die Waffenkammer des Kunsthistorischen käme in Frage.

Veit sprach beim Chef vor und erklärte ihm, man könne den leeren Saal bis zur Klärung der Frage eventuell nutzen. Er habe da eine Malerin an der Hand, die bereit wäre, ihre Werke dem Museum leihweise und kostenlos zu überlassen. Keinerlei Risiko für das HGM, aber eine zusätzliche Dienstleistung.
Der Chef verlangte, etwas von den Werken zu sehen. Weil wenn es sich um das übliche, moderne Zeug handelte, dann wäre nicht der geringste Bezug zum HGM gegeben.
Veit hatte ja die Fotos der Gemälde dabei und legte sie dem Chef vor.

„Wer hat die gemalt?“, fragte der. „Eine Nebelkrähe? Bisserl viel Nebel auf den Bildern.“
Veit zog daraufhin ein Verkaufsgespräch ab, dessen sich ein professioneller Handelsvertreter nicht hätte zu schämen brauchen. Von der Kunst des Weglassens sprach er, dass es gerade das heutige Publikum ansprechen würde, wenn man Teile eines Gemäldes nur andeutete, dass gerade der Nebel etwas sehr geheimnisvolles in die Werke bringen würde, — kurz, dass es sich um die bedeutendste Stilrichtung der Postmoderne handelte. Das HGM würde durch diese Malerin nur gewinnen!
„Aber was is der Bezug zu unserem Haus?“, wurde Veit gefragt.
Der würde hergestellt durch den Hinweis, dass gerade das Verteidigungsministerium eines der modernsten und aufgeschlossenen Ministerien wäre und die Bevölkerung nicht nur zu schützen, sondern auch weiterzubilden und zu erfreuen trachte. Die Gemälde wären doch außerdem eine Auflockerung der historischen Ausstellungsstücke.

Dann ging es um die Kosten.
Es gäbe praktisch keine, argumentierte Veit. Die Ausstellungsstücke wären Leihgaben, der Platz wäre vorhanden — und um die Gestaltung des Saales werde er, Veit Bock, sich selbst kümmern. Eventuell mit Unterstützung der Malerin.
Mit den Worten: „Na, wenn S' glauben...“ erhielt Veit schließlich die Genehmigung.

Schon am darauf folgenden Wochenende nahm das Lena Stahl-Museum Formen an. Lena, überglücklich, endlich eine gewisse Beachtung gefunden zu haben, schaffte alle ihre Gemälde ins Arsenal und Veit hatte einen der Aufseher des Museums als Hilfskraft, hauptsächlich zum montieren der Gemälde, abkommandiert.
Und diese Aufseher, ein gewisser Karl Spengler, verrechnete Überstunden für die Sonntagstätigkeit, die noch zu einem Nachspiel führen sollten.

Lenas finanzielle Situation besserte sich innerhalb kurzer Zeit schlagartig. Bereits einen Monat nach der Eröffnung des Lena Stahl-Museums nahm sie etwa zwei Mal monatlich jeweils zwischen 1.500,- und 2000,- Euro ein für verkaufte Gemälde. Schließlich musste Veit sie darauf aufmerksam machen, dass sie ab sofort eine Buchhaltung zu führen habe, weil diese Einnahmen zu versteuern wären. Lena unterzog sich dieser Verpflichtung mit großem Vergnügen. Nie hätte sie damit gerechnet, dass sie es als Malerin bis zur Steuerpflicht bringen würde!

Dann erschien ein Artikel über das neue Lena Stahl-Museum in einer Wochenzeitung. Im Internet wurde das Museum auch schon angeführt. Dann druckte eine große Tageszeitung in ihrer Wochenendbeilage ein Interview mit Lena ab, mit Foto. Und langsam wurde die junge Malerin, die fast ausschließlich mit ihren extrem hohen Absätzen umher lief, einigermaßen populär. Eine Zeitung witzelte, Lena Stahls Gemälde würden so viel Nebel zeigen, weil sie aufgrund ihres Schuhwerks mit dem Kopf in die Wolken rage.

Wenig Freude hatte Veit mit der neuen Entwicklung. Lena hatte kaum mehr Zeit für ihn. Sie malte im Akkord. Erstens gingen die Gemälde aus ihrem Museum so rasch weg, dass sie kaum mit dem Malen nachkam und zweitens begannen sich die Galerien für ihre Werke zu interessieren. Lena wurde langsam erfolgreich.
Höchstens einmal pro Woche ließ sie sich überreden, den Veit abends in ihrer kleinen Wohnung in Floridsdorf zu empfangen. Langsam begann es Veit zu bereuen, dass er seiner Lena die Sache mit dem eigenen Museum ermöglicht hatte.
Als es fast schon so weit war, dass Veit überlegte, sich eine zweite Freundin zuzulegen, erhielt er einen Anruf vom Bundesministerium für Landesverteidigung. Der Aufseher Karl Spengler hatte zwölf Überstunden am Sonntag abgerechnet. Was er denn da gemacht habe? Er selber wäre schon befragt worden und gäbe an, das Lena Stahl-Museum eingerichtet zu haben.
Das wäre korrekt, gab Veit Auskunft.

„Aber ein Lena Stahl Museum is hieramts unbekannt“, protestierte die Beamtin, die Veit angerufen hatte, eine gewisse Frau Amtsrat Hilde Eisvogel.
Veit begann zu erklären: Dass es sich nur um einen leer stehenden Saal handle, den niemand benötige und die Malerin Lena Stahl hier ihre Gemälde ausstelle.
„Na, so geht’s aber net, Herr Magister Bock!“
„Warum net? Hat doch niemand ein' Schaden durch die Ausstellung“, meinte Veit. „Und dem Heeresgeschichtlichen Museum kann a zusätzliche Attraktion nur gut tun!“
„Sie können doch net einfach a neues Museum aufmachen, Herr Magister! Dazu braucht's doch zumindest ein' Ministerratsbeschluss“, behauptete die Frau Amtsrat.

Veit seufzte. „Frau Amtsrat, vergessen S' das Ganze, sagen S' mir nur, was der Spengler zu kriegen hat und ich zahl ihm das privat. Und Sie lehnen die Auszahlung einfach ab.“
„Das wird ja immer schöner, Herr Magister! Jetzt geben Sie ganz offen zu, dass Sie beabsichtigen, einem Bundesbediensteten Schwarzgeld zukommen lassen wollen! Glauben Sie, der versteuert das?“
„Is doch eh nur a Trinkgeld! Und mir is es ehrlich gestanden wurscht, wenn der Spengler dem Finanzamt nix sagt.“
„Herr Magister!“ Die Frau Amtsrat Eisvogel klang total entrüstet. „Das ist ja ungeheuerlich! Das ist ganz einfach Anstiftung zur Steuerhinterziehung! Da werde ich einen Aktenvermerk anfertigen müssen!“

Jetzt hatte Veit die Nase voll. „Tun Sie das, Frau Amtsrat. Mit dem Spengler mach ich mir das schon aus. Der Depp hätte doch gar nicht an Sie abrechnen sollen.“
„Na, Sie werden noch von uns hören, Herr Magister Bock!“ Und dann legte die Frau Amtsrat ohne Gruß auf.

Veit war beunruhigt. Er war ja noch nicht lange hier angestellt und jetzt drohte ihm so eine alte Fuchtel aus dem Ministerium mit Folgen seiner unbedachten Aussagen.
Sicherheitshalber rief er seinen Vater an und schilderte ihm den Zwischenfall mit der Amtsrätin.
„Kennst du die Eisvogel?“, fragte Papa Bock. „Das is a Hantige[3]. Da werd' i die Umurken[4] einmal anrufen.“

Papa Bocks Anruf im Verteidigungsministerium war aber „für'n Hugo“, denn die Amtsrätin nutzte die Gelegenheit, einen Sektionschef eines anderen Ministeriums an der Strippe zu haben, für eine Demonstration ihrer eigenen Machtposition. Sie machte mit deutlichen Worten dem Sektionschef Bock klar, dass dieser sich um das Unterrichtsministerium zu kümmern habe und der Bereich Landesverteidigung ihn nichts anginge.

Kunst und Kultur lägen aber in der Kompetenz des Unterrichtsministeriums, konterte Bock. Es wäre ja nicht sein Fehler, dass ein Kunstmuseum aus irgendwelchen geheimnisvollen Gründen im Gebäude des Heeresgeschichtlichen Museum angesiedelt worden wäre.
„Ja, das wäre auch ein Punkt, der zu klären ist“, stimmte die Eisvogel zu. „Was hat eine Kunstausstellung in unserem Kompetenzbereich verloren?“
Das wusste der Sektionschef auch nicht. Veit hatte die Sache mit dem Lena Stahl-Museum seinem Vater gar nicht mitgeteilt.

Also erkundigte er sich bei seinem Sohn. Und als er erfuhr, dass das Museum offiziell gar nicht existierte, weil Veit einfach eigenmächtig gehandelt hatte, war plötzlich Feuer am Dach.
Sektionschef Uwe Bock war dermaßen beunruhigt, dass er sich sofort ein Taxi nahm und sich ins HGM fahren ließ. Sohn Veit empfing seinen Papa äußerst betreten.

Erst ließ sich Vater Uwe das Gespräch mit Veits Vorgesetztem schildern. Veit betonte, das der nur gemeint hatte: „Na, wenn S' glauben...“ und er daraus geschlossen hätte, die Genehmigung zu haben, das Lena Stahl-Museum einzurichten.

Papa Uwe tobte. „Na, wenn S' glauben“ wäre nicht ausreichend! Da müsse man ein Protokoll aufsetzen, die vorgesetzte Dienststelle informieren und abwarten, bis alles seinen amtlichen Weg durchlaufen habe! Man könne doch nicht einfach dort irgendwelche Gemälde aufhängen! Zumal so moderne Malereien ja ohnehin nur Mist wären!

Jetzt musste Veit protestieren. Das wäre kein Mist! Der Papa solle sich die Bilder doch einmal ansehen! Und so zog er den widerstrebenden Papa in den Saal des Lena Stahl-Museums.
Gegen seinen Willen war Papa Uwe von den Werken der Lena ziemlich beeindruckt. Weit entfernt vom romantischen Kitsch wirkten die Bilder mit ihren Nebelschwaden und dunklen Straßen geheimnisvoll und äußerst beeindruckend. Aber dann bemerkte der Sektionschef die kleinen Kärtchen neben den Gemälden, die die Mobiltelefonnummer der Lena Stahl angaben, sowie den Vermerk „Preis auf Anfrage“ trugen.

Uwe Bock explodierte. „Du kannst doch nicht in einem Museum Bilder verkaufen! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Das kann einen Skandal nach sich ziehen! Der Saal muss sofort geschlossen werden! Na, wenn das nur nicht mit einem Untersuchungsausschuss endet!“

Zähneknirschend sperrte Veit den Saal und schmiss ein junges Paar hinaus. „Wegen dringender Reinigungsarbeiten“ wäre der Saal die nächste Zeit geschlossen, behauptete er.
Dann ging aber Papa Uwe nochmals zurück und sah sich ein relativ kleinformatiges Gemälde an, das eine Waldlichtung bei Nebel zeigte und im Nebel schemenhaft eine Bache mit zwei Frischlingen.
„Das da is net schlecht“, meinte Papa Uwe und Sohn Veit merkte sich das natürlich.

Als sich Uwe Bock dann im Büro seines Sohnes von ihm verabschiedete, schärfte er ihm nochmals ein, das Lena Stahl Museum einfach aufzugeben. Er werde dem Trampel, der Eisvogel, schon klar machen, dass es sich nur um ein Experiment gehandelt habe.

Sohn Veit war natürlich nicht damit einverstanden. „Papa, die Waldlichtung im Nebel g'hört schon dir, wenn du ein' andern Platz für die Ausstellung find'st. Die Lena haut mi sonst bucklert, wenn i ihr das da abdreh! Und die Lena is a wirklich klasser Has!“
„Na, dann kommt's einmal zu mir, du und dei' Katz. Is es was ernstes?“
„Na ja, ernst, … das hängt ganz von dir ab. Wenn die Lena weiter machen kann, denk i schon...“

Auf der Fahrt in sein Büro dachte Uwe Bock an die letzten Jahre mit seinem Sohn. Na, jetzt war es anscheinend Zeit, den Sohnemann an eine junge Frau abzutreten. Früher oder später hatte es ja so kommen müssen. Er würde halt versuchen, was sich da für die Frau machen ließ. Dem Veit halt zuliebe.
Der Eisvogel kaufte er noch am selben Nachmittag „die Schneid ab“. Das Lena Stahl-Museum wäre ein Experiment des Verteidigungsministeriums gewesen, das ginge weder ihn selbst noch die Kollegin Eisvogel etwas an. Und im Übrigen wäre das Experiment ohnehin schon wieder eingestellt. Das Land Wien würde in Zukunft übernehmen.

Und dann telefonierte der Amtsrat mit dem Rathaus.
Die Magistratsabteilung 7, Kunst und Kultur, hatte aber anscheinend keinerlei Interesse, einen geeigneten Ausstellungsraum für die Katz seines Sohnes frei zu machen.
Aber bei der MA 18, Stadtentwicklung, wurde Uwe fündig. Da war man soeben im Begriff, die so genannten „Stadtbahnbögen“ zu verkaufen, jene Ziegelgewölbe, über denen die von Otto Wagner erbaute Stadtbahn, die heutige U6, den Gürtel entlang fährt.

Zunächst deponierte Uwe einmal die Absicht seines Ministeriums, einen dieser Stadtbahnbögen für eine Ausstellung zu nutzen. Ob denn nicht die Möglichkeit bestünde, einen dieser Bögen an den Bund zu vermieten?
Und sicherheitshalber rief Uwe Bock noch den Michael Häupl an, den Bürgermeister. Ihm erzählte er dasselbe noch einmal. Und dann fixierte er die Kaffeejause am Sonntag Nachmittag mit Sohn Veit und dessen Freundin Lena Stahl.
'Aber wehe, wenn diese Lena net wirklich eine klasse Katz is', murmelte er hinterher. Dann würde er die ganze Sache natürlich umgehend abblasen!

Er blies überhaupt nichts ab. Im Gegenteil!
Sein Sohn, Magister Veit Bock, hatte die Lena zuvor genau instruiert:
Das Lena Stahl Museum im HGM wäre geplatzt. Aber sein Vater, Sektionschef Uwe Bock würde versuchen, einen geeigneten Platz für eine Ausstellung zu finden. Eventuell einen Stadtbahnbogen im neunten Bezirk. Aber Lena wolle er vorher kennen lernen. Sie solle sich so seriös als möglich geben. Und das Gemälde mit der Waldlichtung und den Wildschweinen als Geschenk mitbringen.

Lena lief daraufhin sofort in ein Bekleidungsgeschäft und legte sich ein sehr seriöses, aber sexy geschnittenes Kostüm zu. Und Veit brachte ihr das Gemälde aus dem HGM mit, das seinem Vater so gefallen hatte.

Der Nachmittag bei Vater Uwe verlief höchst erfolgreich. Lena zog sich im Vorzimmer die Schuhe aus und stand plötzlich um fünfzehn Zentimeter kleiner da, was Papa Bock einfach faszinierte. Er griff sich einen ihrer Schuhe und maß sogar den Absatz nach. Lena lachte darüber und behauptete, diese Absätze einfach gewöhnt zu sein. Und dann überreichte ihm Lena das Gemälde.

Sektionschef Uwe Bock war nach dieser Nachmittagsjause ein Fan der Malerin Lena Stahl. Fortan stand für ihn fest, dass die Künstlerin so weit als möglich unterstützt werden müsse. Und seinem Sohn wünschte er alles Gute mit seiner Lena...
Lena Stahl heißt noch immer so, obwohl sie mit Veit Bock schon ein Jahr verheiratet ist. Nur die Verkaufsausstellung im Stadtbahnbogen betreibt sie nicht mehr. Sie hat sich etabliert und ihre Werke werden von namhaften Galerien vertrieben.
Nur dass der Stadtbahnbogen ans Unterrichtsministerium vermietet war, die (geringe) Miete aber von Herrn Veit Bock bezahlt worden war, das weiß heute keiner mehr.
In irgendwelchen Akten scheint diese Tatsache zwar auf – und bei entsprechender Suche wird man diese Unterlagen auch finden.
Aber niemand interessiert sich dafür.

Anmerkungen
[1] erbrechen
[2] Arbeitsmarktservice - das Arbeitsamt
[3] hantig = unfreundlich, grob
[4] Salatgurke

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