Ein Baum, ein Stein, ein Bach. Der Hauseingang, dem die niedrigstehende Sonne einen malerischen Hell-Dunkel-Kontrast schenkt. Und Wolken. Fixierungen des Flüchtigen. Was in den Jahrzehnten ab 1820 als Ölstudien entsteht und für uns Heutige bildwürdig erscheint, sind Ausschnitte, Details, zufällige Blickwinkel, die ohne große Erzählungen aus Bibel und Antike auskommen: „Die Befreiung der Natur“ nennen Florian Illies und Anna Christina Schütz deshalb ihre Ausstellung im Kunstpalast Düsseldorf. Torsten Kohlbrei hat sich für portalkunstgeschichte die rund 170 präsentierten Augenblicke angeschaut.
Ob Arnold Böcklin seinen „Teich mit Seerosen“ von ca. 1846 ein Bild genannt hat? Vielleicht ist er selbst überrascht, als diese Farbstreifen, die ihre Bindung an etwas Gegenständliches, Räumliches nahezu vollständig verloren haben, vor ihm entstehen – von ihm gemalt werden. Böcklins Arbeit markiert ein Extrem in dieser Ausstellung, doch es steht stellvertretend für die Freiheit, die sich Maler:innen im Medium der Ölstudie zutrauen.
Außerhalb der eigenen Werkstatt, auf Wanderungen und Reisen gelingen Bilder, die inzwischen „wegen ihrer Intimität und Spontanität […] oftmals weit mehr als die fertigen Ateliergemälde geschätzt werden“, so Florian Illies. Dies gilt insbesondere für die Arbeiten der Düsseldorfer Malerschule, die einen Schwerpunkt der Ausstellung darstellen. Viele Namen sind heute nur noch Spezialisten bekannt. Ihre Ölstudien überraschen jedoch durch einen neuen, fragmentierenden Blick, der Ausschnitte erfasst, die gelegentlich direkt an unsere alltägliche Handyfotografie erinnert.
Trotz der Aufmerksamkeit, die den Blättern bereits zu ihrer Entstehungszeit zugemessen wird, bleiben die Ölstudien zumeist unsigniert und gelten als Ateliermaterial, das nicht auf dem Kunstmarkt verkäuflich ist. Sie werden im Kreis der Malerkolleg:innen gezeigt und diskutiert, zum Teil – dies lernt man in der Ausstellung – wandern sie von Atelier zu Atelier und machen die Zuschreibung kompliziert.
Die kleinformatigen Arbeiten gruppiert die Düsseldorfer Ausstellung in neun Abteilungen. Jeweils ein Bild wird übergroß als Tapetendruck auf einer Wand dargestellt. Dieser Blickfang und die angenehm entspannten, aber doch inhaltlich reichen Einleitungstexte – hier zeigt sich der Autor im Kurator – sorgen dafür, dass die vom Thema eher akademische Ausstellung einen zwanglosen Kunstspaziergang eröffnet, dem beim Besuch an einem gewöhnlichen Museumsabend ungewöhnlich viele junge Kunstinteressierte folgen.
Nach der Hälfte der Ausstellung kommen die Besucher:innen in einen halbkreisförmigen Raum mit einem angedeuteten Zifferblatt auf dem Boden: Hier werden Bilder gezeigt, die unterschiedliche Tageszeiten abbilden: „Vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang“ dokumentiert, welche Faszination das natürliche Tageslicht bei den Maler:innen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgelöst hat. Indem die Erzählung an Bedeutung verliert, wächst das reine Interesse am Sichtbaren. Die Ölstudien zeugen von der intensiven Auseinandersetzung, mit dem, was erscheint und den Möglichkeiten einer angemessenen Abbildung des augenblicklich Gesehenen.
Unspektakulär und doch fesselnd löst die Ausstellung den allgemeinen Auftrag einer Museumsarbeit in oberflächlichen Zeiten ein: Sie feiert das Sehen und schult den konzentrierten Blick.
Mehr Licht. Die Befreiung der Natur
8. Februar – 7. Mai 2023
Kunstpalast
Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf
kunstpalast.de
Museum Behnhaus Drägerhaus
Lübeck
14. Juli – 15. Oktober 2023