Ausstellungsbesprechungen

Kurtfritz Handel, Retrospektive

[…] Als Laudator darf man es sich nicht entgehen lassen darauf hinzuweisen, dass wir heute einen Künstler in greifbarer Nähe haben, der eine der bekanntesten Kleinplastiken geschaffen hat, die weit über den deutschen Sprachraum hinaus jedem halbwegs aufmerksamen Menschen vertraut ist. Eine Berühmtheit. Wir kennen das Phänomen, ich nenne nur das Signet der Deutschen Bank:

vertrauter als ein Gemälde von Picasso, so vertraut, dass man diesen quer stehenden Balken gar nicht mehr als Hauptwerk der konkreten Kunst, geschaffen von Anton Stankowski, wahrnimmt. (Die Stuttgarter Staatsgalerie zeigte jüngst eine Retrospektive des Künstlers.) Doch zurück zu unsrer Kleinplastik. Wenn demnächst in Stuttgart die BAMBI-Verleihung stattfindet, werden wieder zahlreiche Stars die allseits bekannte Trophäe erhalten: einen echten Kurtfritz Handel in Händen.

 

Die Karriere des possierlichen Tieres ist beachtlich, und sein unerwartetes Geschlecht lässt uns aufhorchen. »Den« Bambi gibt es unbeanstandet bei Duden und Wahrig, und der Brockhaus kennt ihn auch. Die Plastik verweist demnach nicht auf Walt Disneys herzerweichendes Rührstück aus dem Wald der Rehe und Junghirsche, sondern auf den bekanntesten deutschen Medienpreis, der dem amerikanischen Schwertträger Oscar diese in der Branche zweitbekannteste Trophäe an die Seite stellt – als Dritten im Bunde könnte man noch den Goldenen Löwen aus Venedig hinzufügen. Franz Beckenbauer, Bill Clinton und Paulo Coelho, Johannes Heesters und Michael Jackson dürfen die vergoldete Bronzeplastik schon in ihren Vitrinen bewundern, wie sie in relaunchter Form seit dem Jahr 2000 im Rampenlicht steht. Den Bambi gab’s schon früher, fast ein halbes Jahrhundert ist es her, dass die Kunstgießerei Strassacker in Süßen den Guss des Preistieres übernahm. Von 1986 bis zu seiner Pensionierung 2003 war in der Gießerei auch Kurtfritz Handel als Bildhauer tätig, der dem Bambi sein neues Gesicht gab. Es war höchste Zeit, denn wie er meint, sah das alte Modell aus wie ein halblebiges Eichhörnchen.

 

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Das Idyll, das das zierliche Goldwild vermittelt, ist eigentlich gar nicht Handels Welt. Schon sein biographischer Horizont ist dafür viel zu weit. Geboren ist Handel 1941 im Süden der Karpaten, den Siebenbürger Alpen. 1961–67 studierte er Bildhauerei und Kunstgeschichte, unter anderem als Meisterschüler von Artur Vetro, der zwar im Westen nahezu unbekannt blieb, aber in Rumänien doch durch größere, präzise bearbeitete Denkmäler auffiel. Von 1967 an arbeitete Handel als Kunsterzieher, bis man ihm kündigte, weil er 1983 einen Aussiedlungsantrag gestellt hatte, dem 1985 stattgegeben wurde. Unter den Stationen, die er in der Bundesrepublik durchlief, war neben Tätigkeiten im Bildungsbereich auch die Anstellung in der Kunstgießerei. Nachdem er in den Ruhestand gegangen ist – aber hat ein Künstler je einen solchen? –widmet er sich vermehrt auch kirchlichen Aufträgen, wobei er auch indirekt an seine ganz frühen Restaurationsarbeiten in Rumänien anknüpfen kann. Die Friedhofskapelle in Frickenhausen-Linsenhofen, projektiert von dem Architekturbüro Klaus Dolde, trägt in der Ausgestaltung ganz Handels Handschrift. Zahlreiche Kunstreisen führten ihn durch Europa und bis hinaus in orientalische Fernen, wo er im Auftrag eines Prinzen eine Herde von Pferden schaffen sollte – allein der Terminplan verhinderte den großen Deal. Immerhin: Es wäre Stoff für einen Abenteuerroman.

 

Immer wieder Tiere. Kurtfritz Handel als Tierplastiker zu bezeichnen, griffe dennoch zu kurz, wiewohl er die Fauna mit Vorliebe in sein Werk integriert – allerdings gleich mit der ganzen Natur drumherum. Damit reiht sich der Künstler in die kleine Reihe von Bildhauern ein, die sich dem Sujet der Landschaft und der Platztopographie verschrieben haben – Theo Bechteler, David Smith und allen voran Alberto Giacometti sind hier beispielhaft zu nennen. Die Landschaft als Domäne der Malerei ist eine Herausforderung für den Plastiker, die figurative Darstellung mithin ein formales Problem und Bekenntnis – das trifft Tier und Mensch, Baum und Strauch, Straße und Haus gleichermaßen.

 

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Dem Zufall will Handel nichts und Hilfskräften nur ausnahmsweise die Ausführung der Bronzegüsse überlassen, dazu ist er viel zu sehr Perfektionist. So gab er auch noch bei der letzten Oberflächenbehandlung der Bronze den letzten Schliff. Dieses Credo ist auch Programm: Kurtfritz Handel versteht es, selbst das Flüchtige wohlüberlegt in eine überzeugende Form zu gießen. Und wenn er im Hinblick auf eine seiner dargestellten Szenen gerne von einem »Schnappschuss« spricht, sind diesem bereits viele Zeichnungen vorangegangen. Nicht zuletzt ist es jedoch eine präzise Beobachtungsgabe, die selbst noch in der Konzentration auf das Wesenhafte und die hintergründig-poetische Dichte seiner bronzenen Schilderungen unverkennbar bleibt.

 

Kurtfritz Handel verführt den Betrachter zum Erzählerischen. In vorwiegend heiteren und scheinbar leicht-beschwingten Szenen entwirft der Bildhauer anekdotische Augen-Blicke, die man frohgemut aufgreift, noch bevor man feststellt, dass die Geschichten auch böse enden können. Nehmen wir etwa das Werk mit dem trügerischen Titel »Idyll« von 1997, wo wir – auf eine Kuhweide verwiesen – dem imaginierten Gesumm der Fliegen lauschen, aus dem zweifellos für Paarhufer beglückenden Moment des Wiederkäuens eine Geschichte pastoraler Anmut ersinnen. Und plötzlich werden wir – bei genauer Betrachtung auch einige der Rindviecher – gewahr, dass in der Erde ein überdimensionaler Wetzstahl steckt, der aus den süßen Träumen ein Trauma werden lässt, zumindest für die Kühe.

 

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Handel zwingt uns nicht in eine Erzählung hinein, doch bietet er unzählige Anlässe zu fabulieren. Dass er dabei in der Tierplastik Mataré und Marini verpflichtet ist, wie er in der Figurenauffassung auf Giacometti, aber auch auf die etruskische Skulptur Bezug nimmt, ist Zeichen für den existenzialistischen Ernst seiner Bildwerke, die sich nicht zu schade sind, unserem Dasein fasziniert und mit einer Portion Witz zu huldigen. Meine Lieblingsplastik darf ich Ihnen verraten: Es ist eine Kuh, die einen überdimensionalen Schatten wirft – hier trifft sich Realität und deren Transformation in der Fiktion.

 

Dass dem Werk ein szenisches Moment eingeschrieben ist, liegt freilich an der Einbindung der Figurengruppen in ihre jeweilige Umgebung. Das klingt banal, birgt aber eine spektakuläre Pointe. Die Plastiken Handels bedienen sich der Gestaltungsmöglichkeiten der Malerei. In der kurzen Tradition der Landschafts- und der Städteplastik nimmt der Siebenbürger Künstler, dem der Begriff der Heimat – als Verlust und Neugewinn, Erinnerung und verinnerlichte Wahrnehmung – zum Antrieb des gesamten Schaffens geworden ist, eine herausragende Stellung ein. Die sich über rund zwei Meter erstreckende »Große Wurmlinger Landschaft« aus dem Jahr 2000 kommt einem Modell geologischer Formationen nahe, ist aber zugleich schon wegen der vier Räder an senkrecht nach unten verlängerten Landschaftsreliefs ein Stück transportabler Heimat, das heißt, eine künstlerisch gestaltete Naturvision.

 

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Wie kaum ein zweiter vermag es Handel, das Spiel des Lichts und die Harlekinaden überlanger Schatten mit naturalistischer Hingabe in die Gesetze der dritten Dimension zu übertragen. Schon die Kunst des Weglassens ist beeindruckend: So entwirft er uns eine Winterlandschaft, in der scheinbar die erste Sonne Ackerfurchen freilegt, und in einem Positiv-Negativ-Ausgleich gießt Handel sozusagen den Untergrund, die noch schneebedeckte Oberfläche spart er aus. Hierin besteht der Reiz der Handelschen Welt. Sie geht unter die Haut.

 

Hülle und Leerraum, Licht und Schatten korrespondieren auch in den Architekturbildern miteinander. Die Wände werden zum Modelliergrund für durchaus malerische Impressionen – ich denke hier an die stimmungsvollen Motive aus dem Mittelmeerraum wie »Boulevard« oder »Piazza«. Selten ist die Mittagssonne so entschieden Thema der Plastik gewesen. Freilich geht ein Bildhauer naturgemäß auch mit den Verhältnissen von Masse und Volumen um, auch wenn sie in älteren Arbeiten Kurtfritz Handels aus den 80er Jahren noch dominierender sind – mehr und mehr gewann ein der Malerei entlehnter Symbolismus die Oberhand, der dann im rhythmischen Spiel der Dingwelt aufging.

 

Vom Rhythmus zeugen auch die Zeichnungen, die in klarer und doch rasch gesetzter Strichführung die skulpturalen Bilder vorbereiten. Auf sie kann ich hier nicht mehr näher eingehen, aber ich möchte sie ihnen doch ans Herz legen. Die Rhythmik mag von der Musik herrühren, mit der sich Kurtfritz Handel intensiv beschäftigt hat – der Jazz hat es ihm angetan; zahlreiche Figurengruppen nehmen darauf Bezug. In diesem Zusammenhang steht noch ein Themenkomplex aus, den zu erwähnen ich nicht versäumen darf: die menschliche Figur und das Porträt.

 

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Was für sein ganzes Werk mit unterschiedlicher Gewichtung gilt, bleibt auch im Menschenbild nicht ausgespart. Zum einen das Bekenntnis zur bildhauerischen Tradition, wenn er etwa etruskische oder gar archaische Elemente in seinen überlängten Mädchengestalten anklingen lässt; zum andern die Nähe zur Karikatur, wenn er liebevoll die Schuhplattlerkultur auf die Schippe nimmt; und dann ist auch das formale Spiel allgegenwärtig, in dem sich Handel ganz eigenständig bewegt. In vielen Porträt-Torsi und -Szenen kehrt er das Innere nach außen, dreht er sozusagen den Spieß um: In dem ergreifenden Bildnis »Vaters Abschied« von 1994 stützt sich der alte Herr nicht auf den vor ihm befindlichen Tisch, nein, der Tisch lehnt sich eher an ihn an, gibt ihm Halt; oder der auf einer Bank sitzende »Einsame« aus dem Jahr 1990 ist sich selbst seine eigene Sitzgelegenheit, und wieder ein anderer Mann schaut sich – »Sein Herz suchend«, so der Titel – in die Jacke und findet: nichts, oder formal gesprochen: eine durchgreifende Aussparung. Um zu dieser ernüchternden Erkenntnis zu kommen, hat sich dieser Mensch, so scheint es, erst auf einen Marmorsockel, wie auf ein Siegerpodest begeben müssen. Der Schalk kann durchaus ernst auftreten, wie dem Ernst zuweilen der Schalk im Nacken sitzt. Bei den Porträts zeigt sich besonders, dass Kurtfritz Handel – der sich gern als Handwerker bezeichnet – zu keinen Zugeständnissen an den Zeitgeist bereit ist. »Ich lebe in meiner Zeit«. Das kommt seinen porträtierten Zeitgenossen zugute. Durchweg begegnen wir echten Charakterköpfen.

 

Mit einem letzten Schwung komme ich zurück zum Tier. Auch hier legt er frei: Eine »Fressende Ziege« mit offenem Leib reckt sich sehnsuchtsvoll nach einem wohl grünen Zweig und bleibt doch bloße Verdauungsmaschine, so wie die »Milchkuh« mit einem überdimensionierten Euter keine fleisch-, sondern knochengewordene Produktionsstelle geworden ist. Und wo die Oberfläche doch zum tragen kommt, wird ihr Schöpfer zum Verhaltensforscher, der anderweitig, mit der Leichtigkeit des Humoristen, in die Tiefe dringt. Die Tiere seiner Weidebilder sind Kleinode der Bewegungspsychologie, ob nun eine Reihe von Schafen blindlings ihrem Leitschaf folgt, oder ob eine Kuhherde den Berghang hinabwogt und im Morast bzw. im Wasser stecken bleibt.

 

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Hinter den Tierdarstellungen scheint eine Liebe zur Kreatur auf, die das Menschenbild gleichermaßen umfängt; das Verbindende und Verbindliche ist im Landschaftsraum gewährleistet, weil die tierischen Protagonisten nicht isoliert werden, sondern in einen vom Menschen kultivierten – und auch bedrohten – Ambiente leben. Hier mag man einen Reflex aus der ländlich geprägten Siebenbürger Heimat erkennen, wenn es nicht allgemein auf eine naturbezogene Lebenskultur referiert. Unter all diesen lebenden, liebenden, leidenden Wesen fällt das Bambi, das offiziell ohnehin zu einem »er« denaturiert wurde, ein wenig aus dem Rahmen. Doch wird man der Trophäe als Werk des unbestechlichen Beobachters Kurtfritz Handel den Unschuldsblick nicht mehr so ohne weiteres abnehmen. Und das ist gut so.

 

 

 

Öffnungszeiten

Sa 16–18 Uhr, So 11–18 Uhr

Am Sonntag, 1. Oktober 2006, führt Kurtfritz Handel ab 14 Uhr durch die

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