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Lange Nacht der Museen, Frankfurt am Main, 24. April 2010. Ein Erlebnisbericht

Allein die Zahlen sind beachtlich: in einem Zeitraum von 7 Stunden haben in Frankfurt zur Nacht der Museen annähernd 50 Museen, Galerien und Einrichtungen ihre Tore bis 2 Uhr nachts für die Besucher geöffnet. Ein riesiger Andrang suchte sich seinen individuellen Weg zwischen dem Städel, der Schirn Kunsthalle - den Leuchttürmen des kulturellen Lebens in Frankfurt - und den kleineren, aber nicht zu verkennenden Orten der Stadt. Bei der Vielzahl offener Museen und Einrichtungen und der noch größeren Zahl an Events, Führungen und Partys kann man leicht den Überblick verlieren. Von seinen Begegnungen und Erlebnissen berichtet unser Autor Jan Hillgärtner, der sich ins kulturell angelegte Nachtleben gestürzt hat.

Eines vorweg: eine lange Nacht der Museen ist vor allem ein Event, das tausende Besucher anzieht und ihnen die Museumswelt nahe zu bringen versucht. Wer mit der Erwartung eines ruhigen Kunstgenusses, womöglich gar der Kontemplation an einem solchen Event teilnimmt, wird sicherlich enttäuscht werden. Akzeptiert man jedoch diese Rahmenbedingungen, kann man nichtsdestotrotz auf seine Kosten kommen.

Das Goethe-Haus ist beispielsweise ein guter Ausgangspunkt für einen Rundgang. In den zwei Ausstellungsbereichen wird dem Besucher die Person Goethes anhand des häuslichen Inventars nahe gebracht, im neuen Teil des Museums findet sich eine Dauerausstellung mit Kunstwerken um den Dichter herum. Hier dürfen natürlich Werke des mit Goethe eng befreundeten Johann Heinrich Wilhelm Tischbein und Johann Heinrich Füssli, sowie das wahrscheinlich bekannteste Portrait des Dichters, »Goethe in der Campagna«, nicht fehlen. Einzig der Ausgang der Sammlung mit Werken der Romantik und den Zeugnissen einer künstlerischen Huldigung des Genies scheint ein Bild zu verfestigen, dessen Realitätsanspruch fraglich bleibt: Goethes Beziehung zur Romantik ist, bedenkt man den Rauswurf Heines aus seinem Hause, sicherlich in der Form idealistisch, wie es die ausgestellten Werke suggerieren.

Einen radikalen Bruch mit diesen Kunstformen bot die zweite Station auf dem langen Rundgang durch Frankfurt: das Museum für Moderne Kunst. In der aktuellen Ausstellung »Radical Conceptual« hat das allein architektonisch beachtenswerte Haus eine sehr breite Mischung aktueller Positionen konzeptueller Kunst zusammengetragen. Während man den Hals reckt und mit einem auf die Decke gerichteten Blick Cerith Wyn Evans´ zwei Räume umfassende Neon-Installation »… Rinsed with mercury« taumelnd durchschreitet, merkt man spätestens beim unfreiwilligen Zusammenstoß mit anderen Besuchern, dass die Räume sich merklich zu füllen beginnen, ein für Museen jenseits der großen Ausstellungen bemerkenswertes Erlebnis. Das Schweizerische Künstlerduo Fischli/Weiss ist ebenfalls mit einer Installation vertreten, die beim ersten Anblick nicht unbedingt eindeutig als Kunst identifiziert werden kann. Was aussieht wie eine versehentlich offen gelassene Tür, der Anblick von Sägen, Messern und anderen Werkzeugen scheint den Einblick hinter die Kulissen des Museumsbetriebs in die Welt der Werkstätten und Hausmeister zu geben. Tatsächlich aber, dies zeigt erst der genauere Blick auf die Arbeit »Raum unter der Treppe«, sind alle diese Gegenstände nicht nur künstlich in den Raum des Museums übertragen, sie sind darüber hinaus aus geschäumten Kunststoff gefertigt und für die praktische Arbeit denkbar ungeeignet.

Wummernde Bässe ermöglichen das Auffinden der Schirn Kunsthalle, die praktisch einen Katzensprung vom Museum für Moderne Kunst entfernt liegt. Ein DJ und eine Tanzfläche, die um 21 Uhr jedoch noch denkbar leer ist, sorgen in der Kunsthalle für eine stetige Beschallung. Voll hingegen sind die beiden Ausstellungen zu Georges Seurat und Uwe Lausen. Der französische Pointillist ist sicherlich einer der Höhepunkte, die es in der Nacht zu erleben gibt, einen tiefen Eindruck des Werks kann man jedoch nicht bekommen, da man in einer Reihe von Besuchern vor hauptsächlich kleinformatige Arbeiten in kurzer Zeit durch die Ausstellung geschoben wird. Uwe Lausens großflächige, im Bereich der Pop Art zu verortende malerische Arbeiten hingegen eigenen sich für die Präsentation in einem solchen Rahmen bestens. Die Werke, die sich häufig um die Themenfelder Gewalt und Körperlichkeit drehen, ergeben eine spannende, wenn auch wahrscheinlich ungewollte Harmonie: Die häufig abschreckende Wirkung findet in einer gedrängten und heißen Atmosphäre statt, die zudem noch akustisch durch treibende Musik, Gelächter und Gespräche untermalt wird. Die dadurch erzeugte Stimmung wirkt ungemütlich und untermalt auf sonderbare Art und Weise die von den Bildern ausgehende Wirklichkeit, die besonders bei der expressiven Pop Art im Museum eher gezähmt und gegängelt erscheint.

Verhältnismäßig still, was wahrscheinlich mit den privaten Fotos deutscher Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängt, ist es wiederum im Frankfurter Historischen Museum. Der Krieg, der in zahlreichen Gemälden und Kunstwerken Eingang gefunden hat und dank historischer Forschung auch heute noch nach gut 65 Jahren im Bewusstsein der deutschen Allgemeinheit verankert ist, ist in dieser Ausstellung gleichsam „von unten“ ausgestellt. Das Bild des Krieges, das sich hier präsentiert, ist nicht das Bild der Politiker und der Generalität, genauso wenig wie es das Bild des Schreckens, des Todes und der Konzentrationslager ist. Erschreckend ist diese Ausstellung jedoch trotzdem. Es ist nicht das offensichtliche Leid der Menschen, die in einen Krieg involviert werden, es sind vielmehr an vielen Stellen die kleinen Details, die die Gewalt und das Elend dokumentieren. In den ausgestellten Fotoalben findet sich etwa eine Leerstelle, an der Angehörige eines Soldaten ein Foto herausgenommen haben, das ein zerschossenes Haus darstellt, wie man es an dem Untertitel nachlesen kann. Oder die Darstellung der Frontrealität, jenseits der Logik und der Bildsprache des Propagandaministeriums. Dort, wo sich Soldaten neben ihren Pferden waschen oder beim Polenfeldzug mit der eigenen Uniform den Gegner parodistisch nachahmen, bekommen die Nachgeborenen einen Eindruck von der bitteren Realität des Kriegsalltags.

Nach mittlerweile drei Museen, an den Grenzen der Aufnahmemöglichkeit angelangt, macht man sich gegen 23 Uhr noch dazu auf, dem Städel einen Besuch abzustatten. Angesichts einer ca. 50 Meter langen Schlange und geschätzter 30-60 Minuten Wartezeit entschließe ich mich dazu, das Gesehene auf sich beruhen zu lassen und mich nicht in einen weiteren Besucherkonvoi einzuordnen, um in Trippelschritten meine Aufmerksamkeit wechselweise auf die Werke der Kirchner-Retrospektive und meinen Vordermann richten zu müssen. Bei einem gemütlichen abschließenden Spaziergang am Museumskai entlang beginnt sich auch ein Fazit zu verfestigen: die Frankfurter Lange Nacht der Museen ist, gemessen an den hohen Besucherzahlen, sicherlich ein Event mit einer hohen Attraktivität vor allem für ein jüngeres Publikum, das sich auch dieses Jahr wieder in Scharen einfand. Wer eine solche Veranstaltung besucht, sollte sich darüber im Klaren sein und die großen Museen wenn nicht vermeiden, so doch vielleicht besser zu Beginn oder zum Ende hin besuchen, wenn sich der Besucherverkehr auf einem erträglichen Niveau hält. Nicht entgehen lassen sollte man sich, das musste ich selbst als Nicht-Frankfurter im Nachhinein feststellen, dass besonders kleine Einrichtungen, die Galerien und Museen im Rahmen von derlei Veranstaltungen häufig ein ambitioniertes Programm bieten und so für Besucher attraktiv werden.

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