Buchrezensionen

Larissa Kikol: Tollste Kunst – Kindliche Ästhetik in der zeitgenössischen Kunst, transcript Verlag 2017

Oh, schöne Kinderzeit! Mit Sehnsucht denken die meisten von uns an ihre Kindheit zurück; sie steht für Sorglosigkeit, Spiel und Leichtigkeit. So scheint es auch zahlreichen Künstlern der Gegenwart zu gehen – sie erheben das Kindliche zum Vorbild ihrer Ästhetik. Larissa Kikol hat in ihrer Dissertation untersucht. Ihre Studie hat Spunk Seipel unter die Lupe genommen.

Die Ausstellung als Spielplatz. In den letzten Jahren war das ein gar nicht so seltenes Phänomen in Galerien und Museen. Auch wenn die Besucher, anders als auf realen Spielplätzen, nichts berühren dürfen. Die riesigen Bilder an den Wänden dieser Ausstellungen wirken wie Kinderzeichnungen, selbst wenn die Materialien und das Format jedem klar machen, dass es sich um Kunst handelt.

Die Anlehnung an kindliche Ästhetik und Malkünste ist eine häufige Erscheinung in der aktuellen Kunst. Doch eine grundlegende wissenschaftliche Untersuchung dieses Phänomens fehlte bislang. Larissa Kikol beschreibt in ihrer nun veröffentlichten Dissertation »Tollste Kunst- Kindliche Ästhetik in der zeitgenössischen Kunst« die künstlerischen Strategien, die hinter diesem Trend stecken.

Kikol konzentriert sich dabei auf die westliche Kunst der letzten zwanzig Jahre. In kurzen Rückblicken auf die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts stellt sie frühe Arbeiten von Künstlern und ihre Strategien der Aneignung einer kindlichen Ästhetik vor. Es ist dem Text anzumerken, dass ihr diese Kapitel der Kunstgeschichte bei weitem nicht so nahe liegen, wie die Kunst ihrer Favoriten Jonathan Meese, André Butzer, Tal R und David Shrigley. Dennoch wird im kunsthistorischen Rückblick deutlich, wie wichtig die Entwicklung und Etablierung des »Nichtkönnens« in der Kunst war. Die Entdeckung des kindlichen Krickel-Krackel als Ursprung des schöpferischen Akts des Menschen ist eben keine Selbstverständlichkeit. Ebenso wenig selbstverständlich ist es, dieses Krickel-Krackel in die Kunst eines erwachsenen, ausgebildeten Künstlers zu integrieren oder gar als nachahmenswertes Vorbild zu sehen. Dada, Dubuffet und die Kunstgruppe Cobra bilden die Grundlage für die »kindliche Kunst« von heute. Dies gilt für die Etablierung einer solchen Ästhetik in Museen und auf dem Kunstmarkt, als auch für die künstlerische Strategien der Künstler.

Besonders hervorzuheben ist Kikols Ansatz, die Ästhetik der kindlichen Kunst kulturgeschichtlich einzuordnen. Statt künstlerischer Unfähigkeit und Unreife in den ersten Malversuchen zu erkennen, wird seit Entdeckung des Kindes als kreativem Menschen immer stärker ein utopisch reiner Zustand mit dem Gekritzel verbunden. Der Kritzel wird zum Beispiel bei Günther Förg zum Urlaut. Das Malen wie ein Kind wird zu einer Befreiung vom Ballast der Kunstgeschichte und ist zugleich ein Konzentrat dessen, was menschliche Kunst ausmacht. Ein Punkt in der Rezeption aktueller Kunst, der bislang viel zu selten wahrgenommen wird.

Larissa Kikols Augenmerk liegt vor allem auf die Untersuchung der marktstrategischen Aspekte der Künstler. Wollen Künstler und Sammler sich mit »kindlicher Kunst« in eine vermeintliche glückliche Kindheit zurückversetzen? Ist diese Kunst eine Wohlfühlkunst? Kikol sieht das kritisch. Zwar fehlen in ihrer Arbeit Künstler, die wie Louise Bourgeois die Kindheit als Albtraum zeigen, aber Kikol machte eben doch die Grenzen zwischen der Kunst von Kindern und der angeeigneten kindlichen Ästhetik durch Künstler deutlich.

Man kann der Autorin vorwerfen, zu wenige Künstler, noch dazu fast ausschließlich weiße Männer, zu konzentrieren, die fast alle das Image eines Modekünstlers haben. Aber bei aktuellen Trends in der Kunst ist das eben manchmal so. Ihr Buch zeugt jedenfalls von großer Sachkenntnis und einem kritischem Geist. Es ist eine empfehlenswerte Lektüre für all jene, die sich mit künstlerischen Strategien für einen überbordenden Kunstmarkt auseinandersetzen wollen und speziell mit diesem Phänomen. Der Kunstraum als Spielplatz wird so als berechnete Strategie einiger marktaffiner Künstler entlarvt.

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