Ausstellungsbesprechungen

Last & Lost. Bilder eines verschwindenden Europas

Dass Europa in der jüngsten Zeit in einem starken Wandel begriffen ist, dessen sind wir uns bewusst. Europäische Orte und Landschaften verwandeln sich vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen – sie sind verlassen, verfallen oder verschwinden ganz.

16 Foto- und Videokünstler aus ganz Europa haben sich auf eine Spurensuche des Verschwindens begeben und sich mit Regionen auseinandergesetzt, die auf der Schattenseite der Globalisierung stehen. Interesse erweckten dabei nicht die „Blühenden Landschaften“, sondern die Ruinen und fragmentarischen Überreste einer Epoche. Geprägt sind diese „Orte des Verschwindens“ zum einen durch das Ende der kommunistischen Staatssysteme und den Fall der Grenzen, zum anderen durch das Wegbrechen dörflicher Strukturen und den Niedergang vieler Industriezweige. Die Arbeiten der Ausstellung beleuchten die Orte als Sinnbilder der Krise und des Umbruchs und stellen so einen reizvollen Dialog mit dem Betrachter her.

Die fotografischen Arbeiten präsentieren sich sowohl in monumentalen Architekturbildern, als auch in poetisch anmutenden Landschaftsaufnahmen oder surrealen Straßenfotos. Die Fotografien muten meist kühl und distanziert an, sind ohne Nostalgie oder Pathos. Auf den kritischen Kommentar zu den Ursachen des Verschwindens wird in den höchst ästhetischen Arbeiten absichtlich verzichtet – Kritik bleibt also gänzlich dem Betrachter überlassen.

Was aber zeigen nun die Arbeiten genau? In der sich auf drei Etagen erstreckenden Ausstellung begegnet dem Besucher etwa die interessant aufgebaute, dreizehnminütige Videoarbeit „Der Tag, der mit dem Hahn beginnt und mit den Hunden endet“ (2005) von Aurelia Mihai, der es gelingt, mit wenigen Szenen, die ineinander geblendet werden, ein Stück rumänischen Alltags einzufangen. Die Kamera blickt mal von nah, mal von fern, aber stets aus der Vogelperspektive, auf das Wellblechdach eines Hauses. Wirklich interessant wird diese Arbeit besonders durch die Zeit, die sie sich nimmt, um zu beobachten und den Wandel zu dokumentieren.

Nur wenige Schritte von diesen Arbeiten getrennt, begegnen dem Besucher die Arbeiten Renate Nieblers. Die in München lebende Fotografin spürt im oberpfälzischen Sulzbach-Rosenberg den Überresten eines industriellen Ballungsraumes nach. Ihre Bilder der stillgelegten Maxhütte zeigen die marode Schönheit einer zum Abbruch bestimmten Industriekathedrale. Und das Wort „Kathedrale“ ist hier keineswegs eine Übertreibung, denn Niebler ist es gelungen, die Monumentalität des eisernen Gebälks mit dessen Fragilität und Verwundbarkeit in Einklang zu setzen. Es nimmt also nicht Wunder, dass der Besucher bisweilen andächtig vor den Licht durchfluteten Arbeiten verweilt und sich von dessen starker Präsenz faszinieren lässt.

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Noch im gleichen Raum befinden sich die vom Zauber „Vergessener Farben“ durchdrungenen Arbeiten Hanns Ottes. Der 1955 in Salzburg geborene Künstler wurde durch den Essay Dagmar Leupolds aus dem Buch „LAST & LOST“ inspiriert, woraufhin er sich in das ehemalige Sanatorium Hohenlychen in der Uckermark begeben hat. Trotz der problematischen Vergangenheit des Gebäudes als Nazi-Lazarett und Stützpunkt der sowjetischen Armee hat Leupold dort jenen Zauber vergangener und vergessener Farben für seine Fotografien neu entdeckt. Um diesen Zauber nachvollziehen zu können, seien die Worte Vetle Lid Larsseens herangezogen, der über die Ausdruckskraft und Traditionalität der Farben folgende wertschätzende Worte findet: „Es gibt ebenso viele Arten des Verfalls, wie es Orte gibt. Ich bin durch Venedig spaziert und habe hinter mir Skandinavier gehört, die über den Verfall klagten. Doch der Unterschied zwischen Patina und Verfalls ist ebenso groß wie der zwischen einem Fünfzigjährigen und einer ausgestopften Leiche. Die Patina hat in der europäischen Geistesgeschichte stets Fürsprecher gefunden. Nicht nur die Romantiker verehrten das Überwucherte, Verbrauchte, Organische. Die Zeit selbst ist immer als Wert empfunden worden.“ [Vetle Lid Larssen]

Im obersten Stockwerk dann stoßen wir zunächst auf die Ruhe verströmenden Arbeiten Sven Erik Kleins. Der 1974 in Illertissen geborene Künstler hat sich mit der Landschaft, in der der Mensch seine Spuren hinterlassen hat, beschäftigt. Die Bunker am Atlantikwall in der Normandie erscheinen als steinerne Zeugen einer vom Krieg geprägten Vergangenheit inmitten einer kraftvollen und doch beruhigend wirkenden Natur. Die Natur hat die einstige Monumentalität der Betonbunker überwunden und partiell scheint es zu einer Umarmung von grünen, sanft geschwungenen Hügeln und kühl-grauen, starren Kolossen zu kommen.

Einige Schritte davon entfernt gelangen wir zu verfallenen Flugzeugen, Zäunen oder Plakaten – Relikte eines längst der Zeit anheim gefallenen „Eisernen Vorhangs“. Die 1976 in Sofia geborene Fotokünstlerin Vesselina Nikolaeva hat sich die verlassenen Grenzanlagen zwischen Bulgarien und der Türkei zum Thema gewählt. Einstmals Teil des Eisernen Vorhangs, sind sie zu surreal erscheinenden Orten geworden, die seit nun mehr 15 Jahren dem Verfall preisgegeben sind.

Die Künstler machen dem Besucher viele Angebote, um auf die zu Anfang gestellten Fragen eine Antwort zu finden und so versucht es auch der in Istanbul geborene Volkan Kiziltunc, der in seinen poetischen, sepiagetönten Schwarz-Weiß-Fotografien ein Porträt der Peripherie Istanbuls präsentiert. Mit seinen streng komponierten, atmosphärisch aufgeladenen Bildern begibt er sich auf eine archäologische Spurensuche zwischen Landschaftsräumen und verlassenen Ruinen der Zivilisation. So stehen wir vor einer Aufnahme eines verfallenen Treppenhauses – die Kamera blickt dabei über die Brüstung hinweg und vermittelt ein Gefühl der Bodenlosigkeit und Angst vor der Tiefe.

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Einzig ein mächtiger Haken, an dem einst wohl Waren über einen Flaschenzug nach oben gezogen wurden, verleiht dem Betrachter Halt und Sicherheit. Es ist eine wundervolle, aussagekräftige Aufnahme, die den Betrachter nicht so schnell entweichen lässt, sondern ihn bannt und zum weiteren Betrachten und Erkunden auffordert. Ein lobenswertes Beiwerk, das die gesamte Ausstellung begleitet, sind die prägnanten Zitate, die den Arbeiten begleitend zur Seite gestellt sind. Und genau ein solches Zitat – hier von Mircea Cãrtãrescu – sei zu den Arbeiten von Kiziltunc herangezogen: „… Daher auch mein Beruf: Ruinenbauer. Meine Berufung: Ruinenarchitekt. Mein Laster: Ruinenvoyeur. Fragt mich nicht nach vergessenen und verlassenen Orten in Europa. Mutter selbst war schon ein Ort. Ich selbst bin ein solcher Ort.“ [Mircea Cãrtãrescu]

Insgesamt ist der Städtischen Galerie Neunkirchen eine wundervolle Ausstellung gelungen, die zum Verweilen einlädt. Ausdruckstarke, außergewöhnliche und in höchstem Maße ästhetische Arbeiten haben sich hier unter einem Dach zusammengefunden und warten nur darauf entdeckt zu werden, damit sie zu einem lebendigen Dialog beitragen können. In diesem Sinne sei diese Ausstellung all denjenigen empfohlen, die aus einer Ausstellung mehr „mitnehmen“ möchten als nur einen flüchtigen Eindruck!

 

Weitere Informationen


Öffnungszeiten
Di, Mi, Fr 10-12.30 und 14-17 Uhr /Do 10-12.30 und 14-18 Uhr
Sa 14-17 Uhr, So und an Feiertagen 14-18 Uhr

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