Buchrezensionen, Rezensionen

Laurenz-Stiftung / Schaulager Basel (Hg.): Matthew Barney. Prayer Sheet with the Wound and the Nail, Schwabe 2010

Auf der Grundposition, dass die Form nur Gestalt annehmen kann, wenn Sie gegen einen Widerstand ankämpft, basiert der 1988 begonnene und seither regelmässig erweiterte Werkkomplex »Drawing Restraint« des amerikanischen Künstlers Matthew Barney (*1967). Unter selbstauferlegten physischen und psychischen Beeinträchtigungen führt Barney dabei künstlerische Aktionen durch, aus denen als »sekundäre Formen« Zeichnungen, Skulpturen, Schauvitrinen, Fotografien und Filme hervorgehen. Günter Baumann hat sich den Katalog zur Ausstellung im Schaulager Basel einmal genau angesehen.

Matthew Barney © Cover Schwabe Verlag
Matthew Barney © Cover Schwabe Verlag

Der Katalog, oder besser: das Begleitbuch zur Baseler Matthew-Barney-Ausstellung 2010 erschließt sich erst auf den zweiten oder dritten Blick, was bei den komplexen Performances, die der 1967 in San Francisco geborene Künstler präsentiert, nicht wundert. Immerhin muss auch der Leser – wie schon der Besucher der Ausstellung – zunächst die vagen Pfade christliche Gemäldetradition des ausgehenden 15., des 16. und 17. Jahrhunderts (Baldung-Grien, Dürer, Schongauer u.a.) passieren, um weniger an ein Ziel als parallel zu diesen historischen Etappen an die Aktionen Barneys herangeführt zu werden. Er hat sie »Drawing Restraint« (was so viel heißt wie ›Zeichnungsverhinderung‹) genannt: Zeichnen als Extremsport. Der Freizeit-Footballspieler Barney bremst sich selbst bewusst aus durch elastische Bänder, verstellte Wege u.a., um die Wände mit unhandlichen Zeichengeräten traktieren zu können, oder er schafft sich durch fragwürdige Hilfsmittel wie einem Trampolin erst einen Handlungsspielraum, um auch an der Decke zeichnen zu können. Dahinter steckt die Überzeugung, dass »die Form nur dann Gestalt annehmen (kann), wenn sie gegen einen Widerstand kämpft«. Wenn schon die Ausstellung mit den Dokumenten der Performances vorlieb nehmen muss, so hat ein Katalog die undankbare Aufgabe der Verwaltung solcher künstlerischen Äußerungen, die in Fotos und Zeichnungen sowie Vitrinenobjekten und Videos festgehalten sind. Die beteiligten Abteilungen, von der Redaktion bis zur Gestaltung, haben das bravourös gelöst: Ausgehend von einem klugen Essay zu Barneys »Prayer Sheet with the Wound and the Nail« (Gebetsblatt mit der Wunde und dem Kreuzesnagel) von Neville Wakefield, einem anspruchsvollen Gespräch zwischen Adam Philips und Matthew Barney über privatmythische, magische und psychische Zusammenhänge und einem Überblick Bodo Brinkmanns über die bereits erwähnten Alten Meister der Kunst, wird dem Leser das wohl noch nicht abgeschlossenen Performance-Projekt »Drawing Restraint« (1987–2010) vorgestellt, eine Bildstrecke im Anschluss daran gibt die Ausstellungsanordnung des »Prayer Sheet«-Ensembles im Basler Schaulager wieder. Um ein einheitliches Bild der physikalisch-ästhetischen Arbeit – der Aura von Kraftüberwindung und Widerstand, Aufstieg und Scheitern – zu vermitteln, die den Sisyphos-Mythos im Anschluss an Albert Camus ganz neu schreibt, schließt der Band mit einem umfangreichen Verzeichnis der ausgestellten Werke sowie einer erschöpfend runden Bibliographie ab. Eingebettet ist der Band in der Publikationsreihe »Schaulager-Hefte«, die die Arbeit des Basler Hauses nach außen vermittelt. Im Fall von Barneys Rundumkunstwerk arbeitete die Laurenz-Stiftung, die dahinter steht, mit dem New Yorker Museum of Modern Art zusammen.

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