Ausstellungsbesprechungen

Lichtgestöber. Der Winter im Impressionismus, Arp Museum Rolandseck, bis 14. April 2013

Vom lichten Schneegestöber bis zum frühlingshaften Tauwetter – der Winter in impressionistischen Gemälden hat viele Facetten. Hinzu kommt der Blick früher Fotografen wie Eugène Cuvelier oder Bisson Frères, die den Winterlandschaften von Monet, Sisley, Liebermann u.a. gegenüberstellt werden. Rainer K. Wick hat sich die wechselseitige Beeinflussung von Fotografie und Malerei angeschaut.

Die fortschreitende Erderwärmung, die Klimaforschern und umweltbewussten Bürgern Sorgen bereitet, auf die die Politik aber bisher mit kaum mehr als populistischer Rhetorik und im Ergebnis mageren internationalen Konferenzen reagiert, hat in den letzten Jahrzehnten u.a. dazu geführt, dass in Mitteleuropa Schnee zur Rarität geworden ist. Daran, dass das im 19. Jahrhundert ganz anders war und dass die Bildende Kunst darauf sehr direkt reagiert hat, erinnert die zauberhafte Ausstellung im Arp Museum in Remagen-Rolandseck. Ihr Titel: »Lichtgestöber. Der Winter im Impressionismus«.

»Lichtgestöber« ist eine jener glücklichen Begriffsschöpfungen, die Eingang in den Duden finden sollten. Denn treffender lässt sich kaum in einem einzigen Wort zusammenfassen, worum es hier geht, nämlich um das für die impressionistische Malerei zentrale Phänomen des Lichtes unter den besonderen Bedingungen jener Form des festen Niederschlags, die als Schnee bezeichnet wird.

Schneelandschaften als Gegenstand der Malerei sind keine Erfindung der Impressionisten. Man denke nur an die detailreichen, erzählerischen Schneebilder von Pieter Bruegel aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, oder an die Gemälde Caspar David Friedrichs wie etwa »Hünengrab im Schnee« (1807), »Mönch im Schnee« (1807/08) oder »Klosterfriedhof im Schnee« (1817/18) – Träger romantischer Stimmungen, Hinweis auf menschliches Verlorensein, Vorahnungen des Todes.

Und das Sterben wird ganz konkret in einem zeittypischen Historiengemälde des französischen Schlachtenmalers Éduard Bernard Swebach, das im Arp Museum den impressionistischen Schneelandschaften kontrastierend gegenübergestellt wird. »Retraite de Russie« von 1838 zeigt in eindringlicher Weise den verlustreichen Rückzug der napoleonischen Truppen aus Russland im Winter 1812 – eine düstere Szene mit einem im Schnee liegenden, verendeten Pferd und einem entkräfteten und verwundeten Soldaten im Vordergrund und verstreut herumliegenden Leichen im Mittelgrund. Hier geht es nicht – wie einige Jahrzehnte später – um die Visualisierung von Schnee als einem ästhetischen Phänomen, sondern um ein dramatisch inszeniertes historisches Ereignis, das sich bei Kälte, Eis und Schnee in einer dem Menschen feindlichen Natur abgespielt hat.

Gegen die in Frankreich vom sogenannten Salon favorisierte „offizielle“, an den Idealen des Klassizismus ausgerichtete Historienmalerei opponierten um die Mitte des 19. Jahrhunderts realistische Maler wie Gustave Courbet oder die Künstler der Schule von Barbizon, die eine von akademischen Fesseln befreite Landschaftsmalerei, die „paysage intime“, pflegten und damit dem seit den 1860er Jahren heraufziehenden Impressionismus entscheidende Impulse gaben.

Impressionisten wie Monet, Sisley und Pissarro revolutionierten die Kunst, indem sie an die Stelle einer mit historischen, mythologischen und religiösen Inhalten befrachteten Kunst eine Malerei des reinen Sehens, der spontanen Wiedergabe mehr oder minder flüchtiger Wahrnehmungsreize setzten. Mit seinem 1872 entstandenen Bild der aufgehenden Sonne in den morgendlichen Nebelschwaden im Hafen von Le Havre, das Claude Monet schlicht »Impression« nannte, schuf er das Programmwerk des Impressionismus. Es ging um die künstlerische Fixierung eines unwiederholbaren Augenblicks, um die malerische Niederschrift einer spezifischen Atmosphäre, um Licht und Farbe. Durch ihre Praxis als Freilichtmaler hatten die Impressionisten erkannt, dass die Gegenstände nicht nur die ihnen eigene, charakteristische Lokalfarbe besitzen, sondern dass es die von den jeweiligen Lichtverhältnissen abhängige Eindrucksfarbe ist, die die farbige Erscheinung eines Objektes maßgeblich mitbestimmt. Und sie hatten gesehen, dass ein Schatten nicht einfach als abgedunkelter Lokalton zu behandeln ist, sondern dass er farbig ist und sogar als Komplementärfarbe der gegebenen Gegenstandsfarbe erscheinen kann.

Um dies zu demonstrieren, eignet sich nichts besser als die Darstellung von Schnee. Vor allem bei Sonnenschein nimmt das „neutrale“ Weiß des Schnees einen gelblichen Farbton an, und die Schatten erscheinen blauviolett. Camille Pissarros herrliches Bild »Schnee in Louveciennes« von 1872, eines der typischsten der Ausstellung, zeigt das in überzeugender Weise. Und Renoir belehrte einen Malerkollegen: »Weiß existiert nicht in der Natur. Sie haben über dem Schnee Himmel. Ihr Himmel ist blau, dieses Blau muss im Schnee erscheinen. Morgens ist Grün und Gelb im Himmel. Auch diese Farben müssen im Schnee auftauchen… «

Dass Weiß also keineswegs gleich Weiß ist, was auch der Architekt Richard Meier mit der gleichzeitig in Rolandseck gezeigten Schau seiner Bauprojekte bekräftigt, kann in der Ausstellung an zahlreichen hochkarätigen Schneelandschaften französischer und deutscher Impressionisten studiert werden – darunter allein sieben Monets. Großartig dessen »Train dans la neige« von 1875 aus dem Musée Marmottan mit der knapp angedeuteten, skizzenhaft erfassten Dampflok, aber auch die späten, flächigen, in Norwegen gemalten Schneelandschaften des Jahres 1895. Nicht fehlen darf das Dreigestirn des deutschen Impressionismus Liebermann, Slevogt und Corinth, dessen mit heftigem Pinselstrich hingefetzter »Walchensee im Winter« von 1923 ebenso fasziniert wie das stille, in sich ruhende Bild »Waldweg im Winter« von Christian Rohlfs aus dem Jahr 1889. Und mit Werken von Vincent van Gogh, Paul Gauguin, Edvard Munch und August Macke öffnet die Ausstellung ein Fenster, das einen Ausblick auf künstlerische Entwicklungen gewährt, die auf den Impressionismus folgten.

Fragt man nach den Gründen für die Vorliebe der Impressionisten für Winterlandschaften, so lässt sich zunächst die besondere ästhetische Faszination des Phänomens „Schnee“ anführen, die das Ephemere dieses Aggregatzustandes durchaus einschließt (es gibt etliche Bilder, die bei Tauwetter entstanden sind). Hinzu kommt aber ein klimageschichtliches Faktum, das in der Ausstellung ausdrücklich thematisiert wird, nämlich die Tatsache, dass die Winter der 1860er bis 1890er Jahre ausgesprochen schneereich und kalt waren – in Paris mit Temperaturen bis zu -24° Celsius und im Durchschnitt ca. 4° Celsius niedriger als heute. Kein Grund für einen eingefleischten Pleinairisten, im Atelier zu überwintern, sondern im Gegenteil, eine Herausforderung, der Kälte zu trotzen und die Staffelei draußen vor dem Motiv aufzustellen.

Dass die Kuratorin der Ausstellung, Susanne Blöcker, den Gemälden der Impressionisten eine Reihe fotografischer Aufnahmen prominenter Fotografen hinzugesellt hat, ist eine Bereicherung, da sich hier ein spannender Dialog zwischen Malerei und „Lichtbildnerei“ ergibt. Allerdings überzeugen diese Gegenüberstellungen nur dort, wo Fotografien der sogenannten Piktorialisten wie Prescott Adamson oder Alfred Stieglitz gezeigt werden, die im Fahrwasser der impressionistischen Malerei flüchtige Lichterscheinungen, atmosphärische Eindrücke, momentane Stimmungen und zufällige Bewegungen zu erfassen suchten und sich dabei bewusst des Mittels der künstlerischen Unschärfe („out of focus“) bedienten und die fotografischen Bilder zusätzlich z.B. mit Hilfe von Edeldruckverfahren so manipulierten, dass sie „malerisch“ erschienen.

Doch es gibt auch ein Missverständnis: Mögen die Schneelandschaften von Albert Renger-Patzsch, des herausragenden Vertreters der Fotografie der Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre, motivisch in durchaus reizvoller Weise mit einigen impressionistischen Werken korrespondieren, so muss doch daran erinnert werden, dass der von Renger praktizierte fotografische „Präzisionismus“ einer programmatischen Zurückweisung des älteren, am Impressionismus orientierten Piktorialismus gleichkam. Mag der in der Fotogeschichte nicht so bewanderte Besucher hier auch unnötig in die Irre geführt werden, so kann das abschließende Fazit dennoch nur lauten: eine fabelhafte Ausstellung, deren Besuch unbedingt zu empfehlen ist.

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