Ausstellungsbesprechungen

Lichtmaler – Kunstphotographie um 1900, Städtische Wessenberg-Galerie, Konstanz, bis 5. Februar 2012

Um 1900 führten die altehrwürdige Malerei und junge Fotografie einen Konkurrenzkampf. Die Ausstellung erkundet diese verschlungene Geschichte wechselnder Blicke und wandernder Bilder anhand von Originalfotografien, aber auch seltenen Dokumenten, die aus einer Privatsammlung stammen. Günter Baumann zieht Bilanz.

Die Fotografie und die Malerei waren nicht immer ein Herz und eine Seele, auch wenn man mittlerweile weiß, dass sich die Maler des 19. Jahrhunderts öfters der neuen Technik bedienten, als sie selbst zugaben. Die offizielle Lesart zielte auf Konkurrenz ab, die von beiden Seiten geschürt wurde, auch wenn die Fotografie in ihren Anfängen der Malerei nur ab und zu der Malerei das Wasser reichen konnte. Spannender ist es, sich die Jahre um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert anzusehen, als sich das neue Medium selbst Konkurrenz machte und als die Malerei weniger um die Fotografie buhlte als umgekehrt.

Die Städtische Wessenberg-Galerie in Konstanz präsentiert Bilder aus einer Privatsammlung, erstaunliche Beispiele aus der Zeit um 1900. Die Gattung der Lichtbildnerei – so wurde die Fotografie ursprünglich genannt – erfreute sich zu dieser Jahrhundertwende großer Beliebtheit. Der Titel »Lichtmaler« weist auf die Ambivalenz hin, unter der die Fotografen arbeiteten: einerseits auf eine Technik konzentriert, die auf das Licht angewiesen war, und andrerseits bestrebt, sich der Malerei anzunähern, die um 1900 alles andere als realistisch orientiert war.

Thema der Ausstellung ist die Wechselwirkung einer unfreiwilligen Wahlverwandtschaft. Ohne dass die Fotografie im Konstanzer Museum einen Sammlungsschwerpunkt bilden würde, war die Leiterin Barbara Stark gern bereit, sie in ihrem Haus zu zeigen, nicht zuletzt wegen der Präsenz der Malerei aus der Jahrhundertwende. Entstanden ist die Schau in Verbindung mit der Universität Konstanz, konkret mit den Professoren Felix Thürlemann und Bernd Stiegler und ihren Schülern aus dem Projektseminar »Piktorialistische Photographie«. Gemeinsam warfen sie einen Blick auf die einschlägige Chronologie jener Jahre und fanden nicht nur bislang ungezeigte Bilddokumente, sondern auch damalige Neuentdeckungen wie den Gummidruck, der der Fotografie ungeahnte Möglichkeiten in der Darstellung eröffnete.

Naturgemäß ist die Namensliste im noch immer jungen Medium knapp, gemessen an der retrospektiven Größe, die das Museum mit über 130 Arbeiten ausgerichtet hat. Aber die Spannung liegt in der dialogischen Struktur der Ausstellung. Der ausgesprochene Kunstfotograf Henry Peach Robinson, der auch schon mal die Bilder zugunsten der inhaltlichen Symbolik oder der formalen Strenge manipulierte, steht gegen den naturalistischen Chronisten Peter Henry Emerson, der auf das authentische Produkt aus war. Der Pionier August Kotzsch kommt mit seinen Personen- und Landschaftsporträts groß in Szene. Darüber hinaus wird anhand der Fotografien der Diskurs über den Realitätsanspruch angefacht, den der Symbolismus in der Malerei jener Zeit kaum von selbst angestoßen hätte: Nun sitzen die Gattungen in einem Boot und müssen sich – ob gewünscht oder nicht – arrangieren. Der erstmals in der zweiten Hälfte des Jahres eingesetzte Gummidruck stammt von den Brüdern Hofmeister, die Stimmungsbilder erzielen wollten. Vielleicht befremdlich, aber ausgerechnet die technischen Fortschritte näherten die Fotografie der freien Malerei an.

Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Gattung hatte fraglos auch die Aktfotografie, die von den Ausläufern der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts profitiere und die freizügigen Sujets innerhalb der Malstile um 1900 (Präraffaeliten, Symbolisten, Jugendstil) nutzen konnte. Zu einem großen Teil war sie allerdings im homoerotischen Bereich angesiedelt, was man in der Malerei eher latent wahrnahm. Das dürfte darauf hinweisen, dass die Fotografie noch nicht den Stellenwert in der Öffentlichkeit hatte wie die Malerei, immerhin war die Homophilie strafrechtlich relevant; andrerseits entstanden die Nacktbilder oft im Kontext reformpädagogischer Ideen und konnten so unter den Deckmantel platonischer Freundschaftsmodelle schlüpfen.

Interessant ist hierbei eine anonyme, scheinbar im sportlich-alltäglichen Umfeld gemachte Fotografie von etwa 1930, die einen Jüngling »im Reif« zeigt. Im vorbildlich gestalteten Katalog, der von dem universitären Kollektiv erarbeitet wurde, wird deutlich, dass das Bild eine spiegelbildliche Replik einer offenkundig realistischen Fotografie von Wilhelm von Gloeden (1926) darstellt, die wiederum auf ein idealistisch-spätklassizistisches Gemälde von Jean-Hippolyte Flandrin (1855) rekurriert. Verallgemeinert kann man sagen, dass die Fotografie um 1900 die Kräfte, die realistische und idealistische Tendenzen in der Kunst gegeneinander und über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, aufgebaut haben, aushebelt: Im Spiel mit der Wahrnehmung vermag dieses Medium beides in Einklang zu bringen.

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