Ausstellungsbesprechungen

Los Carpinteros - Silence Your Eyes, Kunstverein Hannover, bis 3. Februar 2013

Die kubanische Künstlergruppe Los Carpinteros verbindet in virtuosen Zeichnungen und raumgreifenden Skulpturen freie und angewandte Kunst auf intelligente wie humorvolle Weise zu visuellen Allegorien der Gegenwart. Bettina Maria Brosowsky hat sich ihre Ausstellung im Kunstverein Hannover angeschaut.

Seit Mitte Januar 2013 benötigen Kubaner keine Ausreisegenehmigung mehr, wenn sie ihr Land verlassen möchten. Damit wird eine der härtesten Beschränkungen aufgehoben, unter denen die Kubaner seit fast einem halben Jahrhundert zu leiden haben: Sie waren de facto Gefangene auf ihrer Insel. Ein Ausreisevisum kostete 150 US-Dollar (in Devisen) und war bei einem durchschnittlichen Monatslohn von umgerechnet 20 US-Dollar für die meisten Kubaner unerschwinglich.

Ganz selbstverständlich erwähnen einige kubanische Künstler wie Carlos Garaicoa und auch das Duo Los Carpinteros, dass sie sowohl in Havanna als auch in Madrid Studios unterhalten. Diesen Umstand scheint kein Kurator zu hinterfragen, auch nicht, welchen Spagat zwischen ideologischer Konformität (auf Kuba) und möglicher Autonomie (in Europa) dies für die betreffenden Künstler und ihr Ausdrucksverlangen bedeuten könnte.

Los Carpinteros, das sind Marco Castillo (geboren 1971) und Dagoberto Rodríguez (geboren 1969), die seit ihrem Studienanschluss 1994/95 in Havanna gemeinsam arbeiten. Der Kunstverein Hannover zeigt in Kooperation mit dem Kunstmuseum im schweizerischen Thun eine umfassende Werkschau des Duos, von frühen Realisierungen ab 1999 bis zu ganz aktuellen. Los Carpinteros arbeiten, wie der Name – zu deutsch: die Schreiner – vermuten lässt, meist im dreidimensionalen Bereich, ihnen geht es um die Welt der Dinge, die auch aus den Fugen geraten kann. Sie reflektieren die sozialistische Mangelwirtschaft in Kuba und – als Gegenpol, Statussymbole des westlichen, vorrangig US- amerikanischen Alltags – die sie in ihrer Dingwelt umdeuten.

Zu der ersten Gruppe zählt beispielsweise das Skulpturenarrangement »Downtown« von 2002/03. Es adaptiert die Konturen markanter Gebäude aus Havanna und Miami, wegen der großen Anzahl kubanischer Exilanten gern als »zweitgrößte Stadt Kubas« bezeichnet. Die Gebäudeumrisse werden verkleinert in funktionsfähige, wenngleich nicht sonderlich praktikable Schubladenschränke aus edlem Tropenholz übertragen. Das private Heim erfährt somit eine Invasion durch die repräsentative Öffentlichkeit und Ikonen des Urbanen, ohne dass daraus jedoch eine Bereicherung des individuellen Umfelds, gar der Lebensqualität entstünde.

Zu der zweiten Gruppe zählt das große, mehrteilige Objekt aus dem Jahr 2010 »Nationale Befreiungsbewegung«. Es besteht aus zwei respektablen schwarzen, vollkommen funktionstüchtigen Barbecue-Apparaten auf Rädern, inklusive Deckel und Grillrost jeweils in fünfzackiger Sternenform ausgebildet. Das Symbol revolutionärer Ambition schlechthin wird zu einem trivialen Gebrauchsgegenstand amerikanischer Alltagskultur degradiert. Ein weiteres Objekt von 2005 ist ein perfekter Mini-Swimmingpool mit blauer Mosaikauskleidung, Wasserfilter und Umwälzpumpe. Allerdings zeigt er unverkennbar die Kontur eines Flugzeugträgers, die Sprungtürme sind die notwendigen Navigationsaufbauten. Der »American Way of Life« somit als mobile, martialische Drohkulisse?

Man könnte den Humor hinter all diesen Objekten als surreale Möglichkeitsform lesen, oder als Subversion deuten, in dem Rahmen, wie sie unter einer kubanischen Kulturbürokratie offensichtlich möglich ist. Für eine norddeutsche Rezipientin kommt die Ironie dann vielleicht doch etwas zu plakativ daher, um zu einer vertieften Auseinandersetzung zu ermuntern. Ihr Auge verfängt sich viel lieber in vier großformatigen schwarz-weißen Fotografien aus dem Jahr 1999. Sie zeigen Eingänge zu simplen Schutzbauten, die bis in die 1980er Jahre überall auf Kuba von der Bevölkerung angelegt werden mussten. Das Feindbild des amerikanischen Aggressors wurde offiziell beschworen, eine Kriegsparanoia zum kooperativen Zusammenhalt geschürt. Die simplen Erdtunnel indes, mit leichten Gittern verschlossen, hätten jedoch wohl nicht den geringsten Schutz geboten. So bewerten Los Carpinteros die Bauaktivitäten als unfreiwillige kollektive Konzeptkunst, die sie mit einer stillen Fotoserie dokumentierten.

In Zeiten nach Marcel Duchamp bedeute Künstler zu sein, wohl eher eine Einstellung, die Dinge zu sehen, als etwas zu produzieren – so sagte es Ai Weiwei einmal recht weise.

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