Buchrezensionen, Rezensionen

Lydia Haustein: Global Icons, Göttingen 2008

Gleich beim ersten Durchblättern von „Global Icons“ fällt eine wesentliche Stärke des Buches auf. Die Bild- und Künstlerauswahl von Lydia Haustein ist beeindruckend. Die Kunsthistorikerin hat für ihre wissenschaftliche Studie Bilder ausgewählt, die verschiedene Aneignungsprozesse von global präsenten Bildern dokumentieren: Auseinandersetzungen mit westlichen Markenzeichen, ironische Kommentare zur Freiheitsstatue oder der künstlerische Umgang mit 9/11.

Zu sehen sind nicht nur Fotografien, Installationen oder Videostills westlicher, südamerikanischer, asiatischer oder afrikanischer Künstler und Künstlerinnen, sondern auch Bilder der Alltagskultur: Werbung, Plakate oder T-Shirts. Man merkt, dass „Global Icons“ das Ergebnis zahlreicher Forschungsaufenthalte in Lateinamerika, Asien und Afrika ist. Denn die ausgewählten Bilder sind im aktuellen Kunstdiskurs noch nicht sehr präsent.
Die Fotomontage „Follow me“ von Wang Qingsong (2003), die über zwei Seiten (146-147) abgebildet ist, zeigt einen chinesischen Lehrer hinter einem Tisch sitzend. Mit dem Zeigestock verweist er auf eine überdimensionale riesige Tafel hinter ihm. Sie ist von oben bis unten vollgekritzelt mit verschiedenen Farben, unterschiedlichen Sprachen, zahlreichen Formeln und westlichen Warenzeichen. Dieses Bild illustriert das Thema des Buches sehr anschaulich. Es scheint zu fragen: Wie geht man mit der Vielzahl verschiedener Sprachen und Bildproduktionen in einer global vernetzten Welt um? Welche bildhaften Differenzierungen gibt es in verschiedenen Gesellschaften und welche Schwierigkeiten bei der Übersetzung von einer Kultur in die andere tauchen in Bild und Schrift auf? Und genau wie „Global Icons“ als wissenschaftliche Studie bietet das Bild unüberschaubar viel Information.
Im Kapitel „Globale Ikonen - Politische Ikonen“ mit den Unterkapiteln „9/11 – die Katastrophe als Medienereignis“  und „Dämonische und charismatische Ikonen“ wird deutlich, dass Lydia Haustein am überzeugendsten ist, wenn sie konsequent an einem Thema arbeitet. In dem Kapitel bringt sie Beispiele dafür, wie Künstler aus aller Welt mit Bildern des Schreckens umgehen und wie die Twin Towers erst durch die Zerstörung zur „apokalyptischen Ikone des neuen Jahrtausends“ wurden. Auf diesen Seiten (193-212) wird ihre Methode, sich an Aby Warburgs Atlasmodel Mnemosyne  zu orientieren, am deutlichsten. Auch die Vermischung von Bild- und Textanalyse und die Kombination aus Bildern des Alltags und Kunst funktioniert hier sehr gut.
Ansonsten ist das Buch mehr Diskursanalyse als Weiterführung von Aby Warburgs Atlasmodel, mehr eine Text- als eine Bildanalyse. Gliedernde Kapitel wie „Überwältigungen – Der Blick zwischen Magie und Technik“ oder „Der Atlas als Werkzeug der Navigation“ klingen schön, strukturieren das ganze Konzept aber nur bedingt.  Eine klare Systematik oder einführende und abschließende Anmerkungen sucht man vergebens. Eher scheint „Global Icons“ den persönlichen Strukturen der Autorin zu folgen. Mit globalen Bildproduktionen innerhalb und außerhalb der Kunstdiskurse hat sie sich einen riesigen Themenblock vorgenommen, und eine etwas nachvollziehbarere Struktur wäre wünschenswert.

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Lydia Haustein zitiert viel und wechselt sehr schnell zwischen den Themen. Sie kommt von der Politik eines Putin über den Karikaturenstreit zu Bill Gates Bildarchiv. Sie hangelt sich scheinbar leichtfüßig von Zitaten eines Erwin Panofsky über die von Aby Warburg zu Marshall Mc Luhan - und positioniert sich so einerseits in der Kunstgeschichte und der Medientheorie. Andererseits zitiert sie ebenso routiniert den Soziologen Niklas Luhmann wie den indischen Ethnologen Arjun Appadurai. Lydia Haustein hat ein umfangreiches Wissensarchiv zusammengestellt. Es ist beeindruckend, wie sie sämtliche Diskurse fachlich versiert kommentieren kann. Aber für den Leser sind ihre schnellen Themen- und Diskurswechsel schwer nachvollziehbar. Man fühlt sich als Leser nicht wahrgenommen, sondern in einer Art Stakkato mit Fachtermini und Zitaten bombardiert. An vielen Stellen wünscht man sich mehr Konzentration auf einzelne Themenblöcke und fragt sich: Was ist das Ziel und wer ist ihre Zielgruppe? Kunsthistoriker? Psychologen? Globalisierungskritiker? Physiker? Oder schreibt sie nur für sich?
Selbst Kunstwissenschaftler, die die meisten Namen und Terminologien kennen, drohen in der kulturwissenschaftlichen Begriffs- und Namensflut zu ertrinken. Lydia Haustein schleudert mit Begriffen und einzeln gut klingenden Sätzen nur so um sich und definiert oder erläutert wenig. Was heißt ein Satz wie: „Nicht länger euklidisch kausal, sondern mit Modellen und Begriffen der Chaostheorie oder Quantenphysik vergleicht Arjun Appadurai die kulturellen Konfigurationen und deren Wirkungen auf weitgehend geschlossenen Gesellschaften“. Inwiefern Chaostheorie möchte man fragen, inwiefern Quantenphysik? So ein Satz erfordert eine kurze Erläuterung. Aber der nächste Satz beschäftigt sich schon wieder mit „fraktalen Prozessen“. Man ahnt natürlich, was sie meint, aber mit genau dieser Ahnung und einer Aneinanderreihung von Zitaten und Fachtermini wird man in diesem Buch alleingelassen.
Inhaltlich ist das Buch gerade durch den transdisziplinären Ansatz besonders für Kunst- und Kulturwissenschaftler ein bedeutendes Werk. Alle erwähnten Themen, wie mediale Inszenierungen kultureller Identitäten und ihre Rezeptionsgeschichte oder bildhafte und sprachliche Medienrealität, bieten brandaktuellen Stoff für weitere Forschung. „Global Icons“ von Lydia Haustein enthält wegweisende Ansätze zu einer modernen Kunstgeschichte. Es hebt die Grenze von Kunst und Alltagkultur auf und ebnet so den Weg für eine global verstandene Bildwissenschaft. Die sprachlichen Labyrinthe zu durchqueren lohnt sich also, denn das Buch hält Wesentliches über den aktuellen Diskurs zum Umgang mit global präsenten Bildern bereit.

Einige der besprochenen Künstler und Künstlerinnen:
Xu Bing (China), Nicole Guiraud (Algerien), Jake & Dinos Chapman, Zbigniew Libera (Polen), Chéri Samba (DR Kongo) Ma Han (China), Atul Dodiya (Indien) Wang Qingsong (China), Fiona Tan (Indonesien), George Adéagbo (Benin), Michèle Magema (Kongo-Kinshasa), Makoto Aida (Japan) Luc Tuymans (Belgien), Thomas Hirschhorn (Schweiz), Allan Sekula (USA), Ulrike Ottinger (D), Jane Alexander (Südafrika), Sokari Douglas Camp (Nigeria), Bill Kouélany (Kongo – Brazzaville).
 

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