Ausstellungsbesprechungen

Lydia Linke - Auslese, Galerie Kunsthof Jena, bis 3. März 2011

Die gebürtige Rudolstädterin und Bazonnale 02-Künstlerin Lydia Linke zeigt in ihren Malereien und Grafiken realistisch dargestellte Personen mit ihren Konflikten und Gefühlen in der menschlichen Lebenswelt. Eine Entschlüsselung dieser Aussagen und der Zugang zu ihren malerischen und grafischen Werken stellen sich als denkbar schwierig dar. Rowena Fuß hat trotzdem einen Versuch gewagt.

Lydia Linke bietet in ihrer Ausstellung mit dem Titel »Auslese« einen spannenden Einblick in ihr Werk und verdeutlicht gleichzeitig die Notwendigkeit einer Vermittlung von zeitgenössischer Kunst. Beim Blick auf die linke Wand neben dem Eingang zur Galerie im Kunsthof Jena prallt man auf ein Bildertrio, das es in sich hat. Neben den ironischen Titeln »die roten schuhe II«, »keine lust auf rote schuhe« und »die roten schuhe I« verbergen sich drei Selbstbildnisse der Künstlerin mit Zylinder, Jacke und (im ersten und letzten Fall) einem Stuhl, Weinflaschen und dem eindringlichen Blick Lydia Linkes.

Auffällig an »die roten schuhe II« und »I« ist nicht nur der Fakt, das sie scheinbar in der verkehrten Reihenfolge hängen. In »I« sind die Konturen Lydia Linkes noch sehr schemenhaft, besonders ihr linkes Bein scheint noch mit dem grau-weißen Hintergrund verbunden zu sein. Vollständig herausgearbeitet sind nur der Kopf und die nackte Brust der Künstlerin. Vielleicht handelt es sich hier um die Andeutung einer künstlerischen Selbstfindung, die am Anfang einer Arbeit steht: Aus einem bisher grauen, ungenauen Einheitsbrei kristallisiert sich das Kernthema – hier: das Individuum – heraus. Ein wenig ironisch wirken hierbei die Weinflaschen, die um den Stuhl angedeutet sind. In »die roten schuhe II« scheint der Bildfindungsprozess abgeschlossen zu sein, da Lydia Linke den Betrachter nun auch frontal anblickt.

Eine weitere Auffälligkeit an diesem Bild sind die rot-weißen Streifen der Jacke, der Zylinder und der schwarze Strich auf der Wange Linkes. Bei mir ergaben sich dabei zwei Assoziationen: Die erste betrifft das viel bekannte Plakat »I want you for U.S. Army«, die zweite den Film »Clockwork Orange«. Darin wird eine Gesellschaftskritik deutlich gemacht, indem der Hauptprotagonist Alex stets der Verlierer ist: von seinen Droogs (den Freunden) verraten, als Mörder eingesperrt, als Versuchsobjekt von der Wissenschaft missbraucht und zu guter Letzt entschuldigt sich der Innenminister bei Alex, was nur dazu dient, das Image der angeschlagenen Regierung wieder zu polieren. Jede Institution tut das aus ihrer Sicht moralisch Richtige, verfolgt dabei aber stets nur eigene Interessen auf Kosten des Individuums.

Hier schließt sich die Assoziation zum US-Plakat an, denn auf Kosten des Individuums wurde zuerst im Irak und dann in Afghanistan von der US-amerikanischen Regierung ein sinnloser Krieg geführt.

Die roten Schuhe, die den Titel des Bildertrios ausmachen, stellen u. a. ein altes Sinnbild für Freiheit dar, da Unfreie und Sklaven in der Antike über kein eigenes Schuhwerk verfügten. Im 15. bis 16. Jahrhundert war der Bundschuh zudem das Feldzeichen der aufständischen Bauern.

Was »die roten schuhe I« und »II« thematisieren, ist also das wieder greifbare Individuum, das sich aus dem grauen Einheitsbrei der Gesellschaft schält. Es soll sich seine Freiheit nicht rauben lassen, sondern zurückerobern. – Wie das jeder macht, ist jedem selbst überlassen. So ist »keine lust auf rote schuhe« ein weiterer ironischer Verweis auf die Freiheit des Individuums, die hier im Herumprobieren mit dem Zylinder bzw. dem Spiel mit der Förmlichkeit besteht.

Den Faden der »roten schuhe« spinnt das Bild »waffenverweigerer« fort, das an der gegenüberliegenden Wand hängt. Ein alternativer, an der Nase gepiercter und mit einer rosafarbenen Brille sowie Helm ausgestatteter junger Mensch schaut hier den Betrachter an. In Rot steht am rechten unteren Bildrand die Parole »auf die waffenverweigerer«, stark verwischt steht in Schwarz darunter »ich scheiß auf die (nicht mehr lesbar)«. Lydia Linke thematisiert hier offensichtlich den individuellen eigentümlichen Umgang mit Krieg, Waffen und denen, die sich davon distanzieren.

Abschließend sind noch einige Fineliner-Zeichnungen ausgestellt, die Schafs- oder Babyköpfe zum Motiv haben sowie ihr Bildertrio »träumer I«, »aufbruch« und »träumer II«, dessen Figuren den Versuch zu unternehmen scheinen, aus dem braun-weißen Hintergrund auszubrechen.

Fazit: Gehen Sie in die Galerie des Kunsthofs und sprechen Sie mit dem netten Galerieteam gemeinsam über die Bilder! Es lohnt sich!

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